Wer kennt sie nicht, die Menschen, die sich an einem Abend mit gutem Essen und einem Glas Wein über die Ungerechtigkeit der Welt empören. Und...
Wer kennt sie nicht, die Menschen, die sich an einem Abend mit gutem Essen und einem Glas Wein über die Ungerechtigkeit der Welt empören. Und Veränderungen fordern. Aber tatenlos bleiben. Vielleicht gehört man ja selbst zu ihnen.
Für Lars Hansen hat sich an einem solchen Abend, einem Weihnachtsessen mit Freunden vor zehn Jahren, etwas geändert: "Wir sprachen darüber, wie wichtig es ist, anderen zu helfen", erzählt er. Hansen hat den Worten Taten folgen lassen. Der 46-Jährige, Ermittler beim Landeskriminalamt, fährt regelmäßig mit dem "Mitternachtsbus". Auch sein Freund und Kollege Jörg Lorenzen (54) macht bei dem Projekt der Diakonie mit. Die Haltestellen des Busses: die sogenannten Platten, die Schlafplätze der Obdachlosen am Bahnhof Altona, an der Mönckebergstraße und am Gerhart-Hauptmann-Platz.
Gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen bringen Hansen und Lorenzen den Obdachlosen heiße Getränke, Decken und Schlafsäcke - finanziert durch Spenden. Und sie sprechen mit den Wohnungslosen, kennen ihre Namen und ihre Geschichten.
"Niemand soll erfrieren", sagt Hansen nüchtern. Lorenzen nickt.
Die beiden sind kernige Männer, wache Typen, keine Zweifler. Sie machen kein großes Ding aus ihrem Engagement. Für sie ist es selbstverständlich und notwendig und daher kaum der Rede wert. Nur selten, in wenigen Situationen, überkommt sie ein Gefühl der Sprachlosigkeit: "Einmal sagte ein Obdachloser ,schön, dass es dich gibt'", erzählt Lorenzen. "Ein so einfacher Satz, hat mich aber umgehauen." Lorenzen, der als Schießlehrer bei der Polizei arbeitet, engagiert sich zudem als "Zeitschenker". So nennt der Verein Nestwärme jene Menschen, die Familien mit chronisch kranken und schwerstbehinderten Kindern helfen. Einmal pro Woche unterstützt Lorenzen eine alleinerziehende Mutter und ihren geistig behinderten Sohn (6). Der Sechsjährige leidet an frühkindlichem Autismus. Er kann nicht sprechen, nimmt seine Umwelt nur eingeschränkt wahr.
Jeden Dienstagnachmittag holt Lorenzen den Jungen zu Hause ab, geht mit ihm toben auf einem Spielplatz im Stadtpark, danach in ein Cafe. "Justin lebt von Ritualen", sagt Lorenzen. "Alles muss so sein wie immer." Im Cafe kauft Lorenzen dem Jungen einen Kakao, jeden Dienstag, seit dreizehn Monaten. Wenn Justin auf Toilette muss, geht Lorenzen mit ihm aufs Damenklo - weil sie dort das erste Mal waren, kann Justin nicht auf die Herrentoilette gehen, er würde davor stehen bleiben, sich nicht mehr bewegen können.
Manchmal wirft sich Justin auf den Boden, schlägt um sich und schreit. Er hat sehr viel Kraft. Dann wieder ist er ganz zärtlich, legt fremden Menschen seine Hände ums Gesicht, als würde er sie streicheln wollen.
Lorenzen und Hansen sind sich einig: Das, was sie geben, bekommen sie in anderer Form zurück - durch einen liebevollen Dank, durch eine kleine Hand, die über ihr Gesicht streicht. Es sind diese wunderbaren Momente, in denen sie dann einfach sprachlos sind.
Die bisher
erschienenen Folgen der Serie finden Sie im Internet unter
www.abendblatt.de/yeswecan