Millionen Menschen haben das Buch “Die Wüstenblume“ der Somalierin Waris Dirie gelesen, waren entsetzt und zu Tränen gerührt, als sie erfuhren, wie...
Millionen Menschen haben das Buch "Die Wüstenblume" der Somalierin Waris Dirie gelesen, waren entsetzt und zu Tränen gerührt, als sie erfuhren, wie die kleine Waris als Fünfjährige beschnitten wurde, wie Schamlippen und Klitoris brutal und ohne Betäubung mit einer schartigen Rasierklinge entfernt wurde. Und wenn diese Leser dann erfuhren, dass 150 Millionen Frauen in35 Ländern der Erde von diesem grausamen Ritual betroffen sind, dass viele der kleinen Mädchen an Blutverlust und Schock sterben, dass die meisten Betroffenen lebenslang an den Folgen leiden, dass in ihrer Hochzeitsnacht die zugenähte Scheide mit Gewalt geöffnet wird, dann haben sie tiefes Mitleid empfunden.
Dem früheren Hamburger Konditor Rüdiger Nehberg aus Rausdorf reichte bloße Empörung nicht. Vor acht Jahren nahm der Überlebensexperte "Sir Vival", der ohne technische Hilfsmittel Wüsten, Dschungel und Ozeane überquerte und der bereits das Regenwald-Volk der Yanomami vor der Auslöschung rettete, den Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung auf. Er schien zunächst völlig aussichtslos zu sein. Nehberg und seine Lebensgefährtin Annette Weber gründeten die Organisation "Target", fuhren in jene Länder, in denen beschnitten wird, waren Augenzeugen von Beschneidungen an schreienden kleinen Mädchen und filmten sie, gerieten dabei an den Rand ihrer psychischen Belastbarkeit. Und Nehberg kam auf eine brilliante Idee, die vorher noch niemand hatte: Wenn die Tradition aus vorislamischer Zeit stammt, dann könnte man doch die Kraft des Islams gegen sie richten? Und das taten die beiden mit "Target", bereisten unermüdlich islamische Länder und wiesen darauf hin, dass die Genitalverstümmelung nicht im Koran stehe, ja dem Islam widerspreche.
Die Strategie ging auf: Zunächst verbot das äthiopische Volk der Afar auf Nehbergs und Webers Initiative die Beschneidung. Dann, im November 2006, der gigantische Erfolg: Eine von "Target" initiierte Versammlung höchster islamischer Würdenträger erließ in der Al-Azhar-Universität von Kairo, dem Zentrum islamischer Gelehrsamkeit, eine Fatwa für die ganze islamische Welt. Ihr Kernsatz: "Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Verbrechen. Sie verstößt gegen höchste Werte des Islam". Nehberg, der jüngst das Bundesverdienstkreuz erhielt, fasste diese Fatwa in ein "Goldenes Buch", das vier Millionen Mal gedruckt und als Predigtgrundlage allen Imamen der islamischen Welt in die Hand gedrückt werden soll.
Jetzt sind die beiden Menschenrechtler gerade aus Mauretanien zurückgekommen. In einer feierlichen Zeremonie im Nationalmuseum von Nouakchott haben sich die höchsten Islam-Gelehrten des Landes der Fatwa von Kairo angeschlossen. Und wollen mittels des "Goldenen Buches" künftig alle Mädchen Mauretaniens vor der Verstümmelung schützen.
Ein Hamburger schreibt islamische Religionsgeschichte. Yes - we can!
Die bisher erschienenen Folgen finden Sie im Internet unter
www.abendblatt.de/yeswecan