Die Betreuerin des Rauhen Hauses sowie der zuständige ASD-Mitarbeiter sollen sich nicht an geltende Vorschriften zur Dokumentation und Kontrolle über das Kindeswohl gehalten haben. Bilder zum Fall Lara.

Im Fall der mit neun Monaten gestorbenen, unterernährten Lara aus Wilhelmburg hat es klare Versäumnisse der Behörden gegeben. Zu diesem Ergebnis kommt ein vorläufiger "Expertenbericht zum Fall Lara R.", den Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) am Freitag gemeinsam mit Mittes Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) und Friedemann Green, Leiter des Rauhen Hauses, vorgestellt hat.

Im Bericht wurde der Hilfeverlauf und die Betreuung von Lara und ihrer Familie durch den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) und die Diakoniestation "Rauhes Haus" überprüft. Danach hätten sich vor allem die Betreuerin vom Rauhen Haus sowie der zuständige ASD-Mitarbeiter nicht an geltende Vorschriften zur Dokumentation und Kontrolle gehalten. Der ASD Wilhelmsburg habe seinen Auftrag "Kontrolle über das Kindeswohl" nicht mehr wahrgenommen, heißt es in dem Bericht.

Mit dem Wechsel der Fallzuständigkeit vom ASD Süderelbe zum personell schlecht ausgestatteten ASD Wilhelmsburg im Zuge der Bezirksreform sei das Kindeswohl aus dem Blick geraten, so der Bericht. Nicht einmal die Geburt des Kindes sei in der Akte vermerkt. Weder der ASD noch die Betreuerin hätten eine "über Wochen und sogar Monate anhaltende" Mangelernährung des Kindes bemerkt.

Den Grund dafür sieht Sozialsenator Wersich, in dessen Haus der Bericht erarbeitet wurde, in einer gewissen Betriebsblindheit der Mitarbeiter. "Der Kern des Problems" sei eine "fachliche Expertenfalle", so Wersich. Routine und Erfahrung hätten zu einem "unkritischen Blick" geführt. Die vorhandenen Rechtsgrundlagen würden hingegen ausreichen und eine "fachlich und rechtlich eindeutige Grundlage zum fachlich richtigen Handeln" darstellen, heißt es in dem Bericht. Die Verantwortung sei also vordergründig nicht bei der Behörde, sondern bei den betreuenden Mitarbeitern zu suchen.

Markus Schreiber sah das etwas anders. Er stellte sich vor den ASD Wilhelmsburg, der trotz Stellenaufstockung nur "bedingt handlungsfähig" sei. Zurzeit seien vier Stellen unbesetzt, weil er wegen des geringen Gehaltes keine qualifizierten Mitarbeiter finden würde. "Die Kollegen verdienen so viel wie eine Kassiererin bei Aldi", sagte Schreiber. Als Konsequenz aus dem Fall Lara will er das Personal der Geschäftsstelle des ASD um eine weitere Kraft aufstocken sowie einen zusätzlichen Kinderschutzkoordinator einsetzen.

Der Leiter des Rauhen Hauses, Friedemann Green, kündigte für die Zukunft das "Vier-Augen-Prinzip" an. Zwei Mitarbeiter sollten sich unabhängig voneinander um die Betreuung kümmern. Im Fall der kleinen Lara sei die Zusammenarbeit mit Laras Mutter schwierig gewesen. Die 18-jährige Mutter habe immer wieder ihre ablehnende Haltung gegenüber Hilfsangeboten deutlich gemacht. Die betreuende Sozialarbeiterin ist unterdessen vom Dienst freigestellt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Frau, auch wenn die genaue Todesursache von Lara bisher noch nicht geklärt ist. Die Rechtsmediziner hätten bisher kein abschließendes Gutachten vorgelegt, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Lara war am 11. März tot in einer Wohnung gefunden worden. Laut Obduktion war Lara unterernährt, wog mit 4,8 Kilogramm nur halb so viel wie normal.

Die Opposition sah den vorgelegten Bericht kritisch. Carola Veit (SPD) bezeichnete ihn als "irreführend". Er gebe in erster Linie "die Sichtweise des verantwortlichen Sozialsenators wieder - ohne dass die Sozialbehörde auch Gegenstand der Kritik wäre", sagt Veit. Mit dem Papier verschaffe sich Wersich einen "Freispruch in eigener Sache" und schiebe die Verantwortung nach unten ab. "Senator Wersich drückt sich um seine Verantwortung. Denn wenn er sie übernehmen würde, müsste er zurücktreten", sagte Veit.

Mehmet Yildiz (Die Linke) sagte: "Ein Bericht von externen Sachverständigen hätte vermutlich mehr zur Aufklärung beitragen können. Es hat sich gezeigt, dass die besten Anweisungen und Hilfeplanungen nichts helfen, wenn nicht ausreichend Personal für die Umsetzung bereitsteht."