Siegen. Eines von Siegens bekanntesten Cafés steht vor dem Aus: Das Naschwerk ist insolvent. Chef Markus Podzimek über Hintergründe und Hoffnungen.

Das Naschwerk hat Insolvenz angemeldet. Grund für die Pleite ist der Hauptstandort im Sieg Carré in Siegen, der seit der Corona-Pandemie zum finanziellen Problemfall wurde, wie Inhaber Markus Podzimek im Gespräch mit der Redaktion erklärt. Mit Ausnahme der nach wie vor gut laufenden Samstage „fehlen uns 2000 Euro pro Tag in der Kasse“.

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„Es ist eine Scheißsituation“, bringt der 48-Jährige unumwunden auf den Punkt. „Für uns als Unternehmen, als Familie, für mich persönlich.“ Den Grundstein für das Naschwerk legte 1912 Gustav Heimann mit der Eröffnung der „Konditorei-Confiserie Heimann“, seitdem ist es ein Familienbetrieb mit heute rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Standorten Neunkirchen, Wilnsdorf und Siegen. Letzteren gibt es im Sieg Carré seit 2006, „und es lief 15 Jahre lang toll“, sagt Markus Podzimek. „Wir sind nicht reich geworden, aber wir kamen gut über die Runden.“ Dann seien Corona und die Lockdowns mit den wochenlangen Schließungen in Einzelhandel und Gastronomie gekommen.

Siegen: Ehemaliges Naschwerk-Zugpferd im Sieg Carré wird zum wirtschaftlichen Problem

Seitdem ziehe die Filiale im Sieg Carré das gesamte Unternehmen massiv runter. Der höchst prominente Standort sei zwar „unser Baby; das, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind“, sagt der Chef. Allerdings habe sich daraus ein „Krebsgeschwür“ entwickelt, wie er es nennt. Es handele sich um „einen gigantisch großen Standort, der enorme Kosten verursacht“, diese aber mittlerweile nicht mehr einspiele. Die monatlichen Kosten verteilt über alle Naschwerk-Einheiten und -Dependancen lägen bei rund 200.000 Euro. „Und wenn dann der größte Umsatzbringer weg ist....“

Markus Podzimek hat für „Das Naschwerk“ Insolvenz angemeldet. Der Standort im Sieg Carré sei aufgrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen für das Unternehmen zum Sargnagel geworden, erklärt der Inhaber. (Archivbild)
Markus Podzimek hat für „Das Naschwerk“ Insolvenz angemeldet. Der Standort im Sieg Carré sei aufgrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen für das Unternehmen zum Sargnagel geworden, erklärt der Inhaber. (Archivbild) © WP | Hendrik Schulz

Ein toxischer Cocktail aus verschiedenen Zutaten.
Markus Podzimek von „Das Naschwerk“ über die Gründe für die Insolvenz

Zu Beginn der Pandemie sei er noch zuversichtlich gewesen. „Wir dachten, wenn der Spuk vorbei ist, geht es wieder“, sagt Markus Podzimek. Doch die Kundinnen und Kunden seien nicht in dem Maß zurückgekehrt, dass das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht wurde. Hinzukomme, dass Corona nur ein Aspekt in „einem toxischen Cocktail aus verschiedenen Zutaten“ sei. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine führte zu Verunsicherung, Inflation und einer Explosion der Energiekosten. Diese seien „in die Höhe geschnellt“ und lägen alleine für den Standort Siegen nun bei 6000 Euro monatlich. Personalkosten seien ebenfalls gestiegen, Einkaufspreise für Material und Zutaten hätten sich um locker 30 Prozent gesteigert. Und dann sei zum Jahresanfang der Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie von den zuvor vergünstigten 7 auf dann wieder 19 Prozent angehoben worden. „Wir können das nicht alles an die Kunden weitergeben“, macht Markus Podzimek deutlich. Die Menschen müssten selbst mit der wirtschaftlichen Lage zurechtkommen und würden schon jetzt vor allem am kleinen Luxus im Alltag sparen. Das sehe er auch daran, dass manche Stammkundinnen und -kunden, die früher mehrmals pro Woche gekommen seien, nun nur noch einmal pro Woche zu Gast wären. Das Zusammenspiel so vieler Faktoren sei ausschlaggebend für das Aus. „Eine Sache kriegt man vielleicht noch gestemmt. Aber nicht so viele Baustellen gleichzeitig. Das ist brutal.“

Es ist eine Scheißsituation.
Markus Podzimek, Naschwerk-Inhaber, über die Insolvenz.

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„Wir wussten im letzten Jahr schon, dass Siegen ein Riesenproblem ist“, sagt der Naschwerk-Inhaber. Trotz aller Anstrengungen und Hoffnungen sei irgendwann klar gewesen: „Wir müssen den üblen Weg in die Insolvenz gehen.“ Dies sei ein Schritt, „von dem ich mir nicht habe vorstellen können, dass ich ihn mal gehen muss.“ Nun wolle er das machen, „bevor noch andere betroffen sind“ – andere, die Ansprüche gegenüber dem Unternehmen hätten, die Markus Podzimek aber nicht hängen lassen möchte. Die Insolvenz meldete er am Dienstag beim Amtsgericht Siegen an. Die Belegschaft wurde am Mittwoch informiert. „Das war nicht einfach.“ Manche Mitarbeiter seien 40 Jahre im Unternehmen. „Das hat natürlich Emotionen hervorgerufen.“

„Das Naschwerk“ ist breit aufgestellt. Manche Produkte, etwa Pralinen, Schokolade und Eiscreme, gibt es auch in Einzelhandelsgeschäften zu kaufen.
„Das Naschwerk“ ist breit aufgestellt. Manche Produkte, etwa Pralinen, Schokolade und Eiscreme, gibt es auch in Einzelhandelsgeschäften zu kaufen. © WP | Hendrik Schulz

Wir werden nicht aufgeben. Wir haben immer gute Ideen und sind mega kreativ.
Markus Podzimek, Inhaber von „Das Naschwerk“, will sich von der Insolvenz nicht unterkriegen lassen.

Siegen: Naschwerk ist pleite – Hoffnung darauf, Standorte Neunkirchen und Wilnsdorf zu retten

In den kommenden Tagen soll ein Insolvenzverwalter bestellt werden. „Wir sind gut vorbereitet“, hebt Markus Podzimek hervor. Er wünscht sich, dass die Standorte Neunkirchen und Wilnsdorf sowie das Onlinegeschäft erhalten bleiben können. „Das ist das Ziel“, betont er, „wir sind ja sehr breit aufgestellt.“ Er merkt allerdings auch an, dass die wesentlichen Entscheidungen nun in anderen Händen liegen werden. Er hofft, dass rund die Hälfte des Teams die Jobs behalten kann, und sei bereit, sich dafür reinzuhängen. Er macht jedoch auch keinen Hehl daraus, dass die wirtschaftlichen und politischen Vorgaben den Optimismus etwas dämpfen. „Wir arbeiten wirklich gerne und haben Spaß an unserem Beruf. Aber wir haben derzeit keinen Spaß an den Rahmenbedingungen.“ Dennoch: „Wir werden nicht aufgeben. Wir haben immer gute Ideen und sind mega kreativ.“

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Nicht betroffen von der Insolvenz ist die „Podzimek GmbH“, die Anfang April die „Eisdielerei“ am Scheinerplatz in Siegen eröffnet hat – in den Räumen des nach einer Razzia von der Polizei geschlossenen Eiscafé „Al Teatro“, das als Stützpunkt der süditalienischen Mafia in den Fokus der Ermittler geraten war (und auf dessen spezielle Historie der Name „Eisdielerei“ ironisch anspielt). Mit diesem Projekt gehe Ehefrau Tordis Podzimek einen „eigenen Weg“, sagt Markus Podzimek – hier liege ein Konzept zugrunde, das auf den veränderten Rahmenbedingungen basiere: „Wie Starbucks mit Eis“, erklärt der 48-Jährige. Eiscreme und Getränke gebe es an der Theke, die Gäste würden dort ordern und ihre Bestellungen dann zu den Tischen mitnehmen. Ein solches Modell ermöglicht es, mit weniger Personal auszukommen. Die Qualität bleibe hoch, „da stehen wir ja auch für“, unterstreicht Markus Podzimek, der seiner Frau natürlich mit seinem Knowhow zur Seite steht. Auf einen großen Gastrobetrieb wie den im Sieg Carré lasse sich das allerdings nicht anwenden. In der kleineren Location am Scheinerplatz erweise sich das Modell als „ein Konzept, das toll angenommen wird“, sagt der Naschwerk-Inhaber. Es zeige sich auch daran: „Der Zeitgeist ändert sich.“

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