Siegen. Razzia: Die kleine Eisdiele Al Teatro in der Siegener Innenstadt war ein Stützpunkt für Drogen und Geldwäsche der kalabrischen ‘Ndrangheta in NRW

Der Schlag der Ermittlungsbehörden gegen die süditalienische Mafia-Organisation „‘Ndrangheta“ reicht bis nach Siegen. Am Mittwochmorgen, kurz vor 4 Uhr, rückt das Landeskriminalamt (LKA) mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften zur kleinen Eisdiele „Al Teatro“ am Scheinerplatz, schräg gegenüber des Apollo-Theaters, aus. Die Ermittler gehen dem dringenden Verdacht nach, dass Eis hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr soll es um Drogengeld, Geldwäsche, kriminelle Logistik gegangen sein. Die kalabrische ‘Ndrangheta, vergleichsweise unbekannt, gilt als mächtigste und gefährlichste Mafia-Organisation Italiens, womöglich der ganzen Welt. Sie ist international in den Drogenhandel, vor allem mit Kokain, verstrickt.

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„Jetzt wird gerade zusammengepackt“, sagt Niklas Zankowski, Sprecher der Kreispolizeibehörde, gegen 8 Uhr. Die Einsatzkräfte haben das Al Teatro versiegelt, Eis und Zutaten entsorgt – das wird nicht mehr benötigt, die Stadt Siegen hat dem Lokal die Gewerbeerlaubnis entzogen. Sichergestellte Beweismittel wurden in zwei Lkw abtransportiert, neben Dokumenten das gesamte Inventar der Eisdiele, inklusive Tische und Stühle der Außenterrasse. Zeitgleich wurden Wohnhäuser in Siegen und Netphen durchsucht, mutmaßlich die Meldeadressen der Beschuldigten.

LKA: In Siegener Eisdiele Al Teatro wird Drogengeld gewaschen, Schmuggel organisiert

Siegen war einer der Schwerpunkte des Einsatzes, der sich über ganz Europa erstreckt. In NRW wird laut LKA rund 35 Beschuldigten Mitgliedschaft oder Unterstützung einer kriminellen ausländischen Vereinigung (unter anderem bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie gewerbs- und bandenmäßige Geldwäsche) vorgeworfen. Sieben davon, laut Ermittlern blutsverwandt, gehören zum Al Teatro, ihnen wird demnach vorgeworfen, das Eiscafé in Siegen betrieben zu haben, auf Befehl eines hochrangigen ‘Ndrangheta-Mitglieds aus San Luca, Hochburg der Organisation im süditalienischen Kalabrien.

Ein großes Polizeiaufgebot rückt am Mittwochmorgen in Siegen an.
Ein großes Polizeiaufgebot rückt am Mittwochmorgen in Siegen an. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Dieser Pate soll nach Erkenntnissen der italienischen Strafverfolgungsbehörden ein führender Verantwortlicher im internationalen Kokainhandel sein und einen Teil seiner Drogengewinne (laut LKA 400.000 Euro) in die kleine Siegener Eisdiele investiert haben, im Gegenzug floss ein Teil der Einnahmen an die höherrangigen Mitglieder der ‘Ndrangheta. Das Al Teatro diente demnach dazu, illegales Drogengeld zu waschen und auch als Logistikstützpunkt der ‘Ndrangheta in NRW. Vor diesem Hintergrund verwundert es rückblickend auch nicht, dass das Eis im Al Teatro auffällig teuer in auffällig kleinen Portionen verkauft wurde – in der Innenstadt gibt es diverse Eiscafés, die für eine deutlich größere Kugel erheblich besseren Speiseeises sehr viel weniger Geld verlangten.

Zwei Brüder betreiben für die Mafia das Eiscafé Al Teatro in Siegen

Polizei und Staatsanwaltschaft stellen Beweismaterial in der Eisdiele Al Teatro neben dem Apollo-Theater in Siegen sicher.
Polizei und Staatsanwaltschaft stellen Beweismaterial in der Eisdiele Al Teatro neben dem Apollo-Theater in Siegen sicher. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Im Fokus des Gesamtverfahrens steht ein 62 Jahre alter Mann aus dem Raum Hattingen, er wird als Hauptbeschuldigter geführt. Er soll Kopf eines professionell agierenden, internationalen Drogen-Netzwerks mit derzeit 17 Mitgliedern sein. Für die Bosse in Süditalien soll er vor allem Kokain geschmuggelt haben. Die Gruppe bekam die Drogen aus den Niederlanden und Belgien, transportierte sie dann mit Fahrzeugen, in die spezielle Verstecke eingebaut waren, nach Italien. Die Mafia-Gruppe aus NRW soll etwa 900 Kilogramm Kokain in mindestens 58 Schmuggelfahrten alleine zwischen Februar 2018 und November 2022 nach Italien transportiert haben. Eine im Vergleich geringe Menge: Allein die ‘Ndrangheta soll jährlich tonnenweise Kokain nach Europa importieren.

„Statthalter“ der Mafia organisiert für die ‘Ndrangheta den Drogenhandel in Europa

Der Hauptbeschuldigte habe als eine Art Statthalter fungiert – er entschied, wer dem Netzwerk beitreten durfte, hielt Kontakt zu internationalen Auftraggebern (Kokain wird überwiegend von kolumbianischen Kartellen produziert), koordinierte Geldflüsse und Schmuggelfahrten. In den Jahren 2008/09 soll der 62-Jährige mindestens eine Tonne Kokain nach Italien transportiert haben. Mehrere Beschuldigte aus seinem Netzwerk werden zudem verdächtigt, mit Marihuana und Amphetamin im Kilobereich gehandelt zu haben.

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Weitere Durchsuchungen fanden in zahlreichen Städten NRWs, in Rheinland-Pfalz und Thüringen statt, außerdem in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien. Insgesamt 500 Einsatzkräfte waren allein in NRW beteiligt, darunter die Einsatzhundertschaft, das Spezialeinsatzkommando und Diensthundeführer. Gegen 16 Beschuldigte lagen Haftbefehle vor, die vollstreckt wurden. Die Ermittlungen fanden über mehrere Jahre zusammen mit zahlreichen Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland statt, auch Europol und Eurojust waren beteiligt.