Dortmund. Die Staatsanwaltschaft muss einräumen, die Vorwürfe nicht beweisen zu können. Genau das bringt den Ermittlern harsche Kritik ein.
Viele schwarze Roben. Ein halbes Dutzend Anwälte sitzt da. Mit dem Daumen trommelt Antonio G. (26) auf den Tisch, dann biegt er die Finger durch, bis sie knacken. Hinter ihm an einer langen Tischreihe mit ihren Verteidigern sitzen die Brüder Antonio und Francesco M. (38 und 39), wippen mit den Beinen oder finden mit ihrem Blick nirgendwo Halt. Doch die Anzeichen der Nervosität verfliegen alsbald: Die drei Männer verlassen den Saal 129 im Landgericht Dortmund mit einem erleichterten Lächeln. Alles deutet in dem aufwendigen Prozess um eine Eisdiele in Siegen als mutmaßliche Mafia-Basis auf einen Freispruch hin. Am Montag wird das Urteil gesprochen in einem Fall, der viele unangenehme Fragen zurücklässt.
Mafia-Prozess: Staatsanwaltschaft beantragt Freispruch
Die finale Wendung hatte sich in den vergangenen Monaten bereits angedeutet, weil es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen war, zweifelsfreie Beweise einzubringen. Dies musste Julius Sterzel in seinem sehr knappen Plädoyer am Donnerstagmorgen einräumen. „Die Tatvorwürfe lassen sich nicht mehr aufrechterhalten“, sagte der Staatsanwalt. „Die Beweismittel reichen nicht aus, um die Schuld festzustellen, demzufolge sind die Angeklagten freizusprechen, was ich hiermit beantrage.“
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Wenngleich Fragen blieben, wie er sagt: Woher habe das Geld für die Eröffnung der Eisdiele gestammt? Und wie hätten es die Angeklagten geschafft, „deutlich über ihre Verhältnisse“ zu leben. Auf eine Art, die „nicht mit dem Einkommen der Angeklagten in Einklang zu bringen“ sei, wie Sterzel formulierte.
Im Verfahren war von Casino- und Bordellbesuchen die Rede, von angeschafften Luxusgütern wie einer Rolex für 18.000 Euro, von Shoppingtouren auf der Königsallee in Düsseldorf, von teurer Mode der Marken Gucci, Versace, Louis Vuitton, von Marmor auf dem Boden durchsuchter Objekte und goldenen Wasserhähnen. In diesem Zusammenhang erwähnte Staatsanwalt Sterzel in seinem Plädoyer explizit auch die Anschaffung eines VW Golf - was auf auf Seiten der Verteidigung für Erheiterung sorgte.
Banden- und gewerbsmäßige Geldwäsche?
Die Brüder Antonio und Francesco M. sollen die Eisdiele „Al teatro“ in der Siegener City seit 2017 als GmbH betrieben haben. Antonio G., der dritte Angeklagte, soll als Angestellter dort gearbeitet haben. Die Eisdiele soll den Ermittlern zufolge auch als Rückzugsort und Logistikstützpunkt der kalabrischen Mafia-Organisation ´Ndrangheta gedient haben. Verantworten muss sich das bisher offenbar nicht vorbestrafte Trio vor der Staatsschutzkammer wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung sowie banden- und gewerbsmäßiger Geldwäsche.
Nun sieht alles nach einem Freispruch aus. Weil die Anklage die Vorwürfe nicht ausreichend belegen konnte. Verbindungen zur ´Ndrangheta konnten nicht nachgewiesen werden. Welche Bedeutung Besuche in Siegen von Salvatore G., mutmaßlicher Strippenzieher und Geldgeber der Eisdielen-Geschäfte, der laut Staatsanwaltschaft in Italien als einer der führenden Köpfe der Mafia-Organisation im internationalen Drogenhandel gilt, hatten, konnte ebenfalls nicht geklärt werden.
„Oliver Huth, unser Profizeuge, hat überall sein Gesicht in die Kamera gehalten in seinem schicken blauen Anzug und hat was von dem Phänomen ´Ndrangheta und irgendwelchen Urteilen erzählt, was aber nichts mit diesem Verfahren zu tun hat.“
Wenn von Luxusmarken die Rede war, dann vermochte die Polizeibeamtin, die davon berichtete, nicht sicher zu sagen, ob es sich nicht womöglich um gefälschte Produkte handelte. Wenn von goldenen Wasserhähnen die Rede war, dann musste der Zeuge, ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA), einräumen, dass er nicht wisse, wie viel Karat diese gehabt hätten - oder ob es nicht am Ende vielleicht doch Messing gewesen sei. „Und ein gebrauchter Golf als Luxusgut?“, fragte Verteidigerin Denise Sommer. „Darüber freut sich die Marke VW sicherlich, aber das ist ein solides Auto. Es geht hier nicht um einen Lamborghini.“ Die Drei hätten Eis verkauft und „vielleicht mal zu viel Sahne bestellt“, wie ein Verteidiger im Laufe des Prozesses sagte. Der Rest sei zusammengesponnen, damit es gut klinge.
Noch einen Schritt weiter ging Verteidiger Ulrich Rust. Er rügte in seinem Plädoyer, dass es sich „bei diesem Verfahren um einen veritablen Justizskandal“ handele. „Was seitens der Staatsanwaltschaft und insbesondere von Seiten des LKA präsentiert worden ist, ist mehr als kritikwürdig.“ Angaben italienischer Behörden seien ohne ausreichende Prüfung übernommen worden. Besonders im Fokus der Verteidiger: Oliver Huth, Chef-Ermittler des LKA.
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Dieser spielt eine tragende Rolle in der True-Crime-Serie (wahre Kriminalfälle) „Jagd auf die Mafia“, die seit Dienstag auf Arte ausgestrahlt wird und auch in der ARD-Mediathek verfügbar ist. „Oliver Huth, unser Profizeuge“, ätzte Verteidigerin Denise Sommer, „hat überall sein Gesicht in die Kamera gehalten in seinem schicken blauen Anzug und hat was von dem Phänomen ´Ndrangheta und irgendwelchen Urteilen erzählt, was aber nichts mit diesem Verfahren zu tun hat.“ Sie hatte vergeblich beantragt, dass der LKA-Beamte als Zeuge nicht zugelassen werde, weil er zu den Geschehnissen nichts beitragen könne. „Das hat er jetzt nochmal unter Beweis gestellt. Es läuft eine True-Crime-Serie, bei der man sich fragen muss, wie viel davon ,true‘ ist. So ziemlich gar nichts. Es geht einzig und allein darum, dass Herr Huth mal wieder die Hauptfigur ist und wunderbar reißerisch Märchen über die ´Ndrangheta erzählt.“ In der Akte hätten Dinge gestanden, die die Ermittler hätten sehen wollen.
Letzten Blecheimer mitgenommen
Der Vorsitzende Richter Dirk Kienitz wird in seinem Urteil auch festlegen, wie die Angeklagten bei einem Freispruch für die erlittene Pein zu entschädigen sind. Rund 15 Monate saßen sie in Untersuchungshaft. Im Mai 2023 - im Rahmen der europaweiten Anti-Mafia-Operation „Eureka“ - seien die Ermittler nach Ausführungen eines weiteren Verteidigers, Reinhard Peters, mit drei 18-Tonnern angefahren gekommen und hätten 45 Tische, 110 Stühle, die Sonnenschirme, das Kassensystem, die Kühlschränke, die Kaffeemaschine und den Eiszubereiter eingezogen. „Selbst den letzten Blecheimer hat man noch mitgenommen“, sagt der Anwalt. „Die Eisdiele ist zerstört worden - und die Folgen müssen die Angeklagten tragen.“