Arnsberg. Migration, Corona, Kriminalität. 90 Minuten in einer Arnsberger Schule zeigen: Junge Menschen haben Vertrauen in die Politik verloren.

Am Ende des gut 90-minütigen Gesprächs geht es um Vertrauen. Vertrauen in die Politik, in den Staat, in die Wissenschaft, in die Medien. Es ist weg. Gestohlen von der Corona-Pandemie, von – so sagen sie hier – kriminellen Einwandern, von Politikern, die sich – so sagen sie hier – um die echten Sorgen der Menschen nicht mehr kümmerten, vom Fernsehen und den Zeitungen, die – so sagen sie hier – einseitig berichteten.

Im schmucklosen Klassenraum des Sauerland-Hellweg-Kollegs in Arnsberg sitzt ein gutes Dutzend Schüler, alle sind mindestens 18 Jahre alt, manche deutlich älter. Sie wollen das Abitur nachmachen. Einige haben die Parteiprogramme gelesen, politisch aktiv ist keiner. Es kann alles gesagt werden, so ist die Verabredung. Es darf auch darüber berichtet werden, allerdings ohne Nachnamen. Alle sind freiwillig hier, jene, die in dieser Doppelstunde fehlen, haben mutmaßlich keinen Bock auf eine Diskussion mit der Presse über Politik und Gesellschaft und über Deutschland.

Ohnehin ist das hier nur eine Momentaufnahme, ein kleiner Ausschnitt der Realität kurz vor den Bundestagswahlen. Aber ein eindrucksvoller. Es fängt vergleichsweise harmlos an, aber es hört nicht harmlos auf.

Sönke (22) aus Arnsberg-Neheim will Medizin studieren, die Politik vernachlässige die Interessen der jungen Menschen, sagt er. Mehr Studienplätze seien nötig. „Aber die Aufmerksamkeit liegt aktuell auf anderen Themen.“ Zum Beispiel Migration.

„Wählen zwischen Pest und Cholera“

Melanie (33) aus Arnsberg will wählen, „weil man wählen sollte“. Wen, das weiß sie noch nicht, sie will mal den Wahlomaten befragen. „Aber eigentlich kann man von den großen Parteien gar keine wählen. Das ist wie Pest und Cholera.“ Sie hätten es in dieser Legislaturperiode verbockt.

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Kurzum: Wir wollen uns gerne bei Ihnen einladen! Nicht zu Kaffee und Kuchen, sondern zum Gespräch. Weil wir der festen Überzeugung sind, dass in Zeiten, in denen sich die Gesellschaft zu polarisieren scheint, in der ganze Gruppen nicht mehr miteinander kommunizieren, der Dialog wichtiger denn je wird.

Sie sind eine Nachbarschaft, ein Freundeskreis, Arbeitskollegen, ein Verein, eine Familie oder sonst jede erdenkliche Gruppe von Menschen, die sonst nicht in den Medien zu Gehör kommt – dann würde wir dies gerne ändern und zu Ihnen kommen. Eine feste Tagesordnung soll es von unserer Seite bewusst nicht geben. Sie setzen die Themen: Wir wollen zuhören und uns mit Ihren Anliegen und Meinungen beschäftigen und auseinandersetzen.

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Ein junger Mann aus Sundern macht sich Gedanken über seine Rente und fragt sich, ob er überhaupt noch eine bekommen wird. „Die Politik sagt, wir sollen uns selber kümmern und Geld anlegen, und dann will sie alles besteuern. Man hat das Gefühl es wird alles entwertet, und am Ende ist alles Geld weg.“ Auch er ist von den so genannten alten Parteien wie CDU, SPD, FDP und Grüne enttäuscht. „Das ist seit Merkel nur noch schlimmer geworden“, sagt er.

Die anderen, die neuen Parteien, hätten „bessere Ansichten und klarere Strukturen“, etwa in der Flüchtlingspolitik und Energieversorgung. Eine Name wird nicht genannt, aber eigentlich ist allen klar, um welche Partei es geht.

„Das war ein riesiges Experiment an der Menschheit, die Verantwortlichen sollten bestraft werden.“

Jonas
über die Zeit der Corona-Pandemie

Diese Partei spreche die Themen an, „die junge Menschen bewegen und für unser Land relevant sind, vor allem die Missstände in der Flüchtlings- und Corona-Politik“, sagt einer. Ein großer Teil des Volkes sei da anderer Meinung als die führenden Politiker.

„Man wird sofort abgestempelt“

Ja, man könne zwar sagen, was man denke, aber dann müsse man mit Konsequenzen rechen, findet eine. „Die Akzeptanz für andere Meinungen ist nicht da, man wird sofort abgestempelt“, sagt sie. Auch wenn man zugebe, dass man eine bestimmt Partei wähle.

Mehr zum Thema „Zuhören und ausreden lassen“

Natürlich ist jetzt hier die Rede von der AfD. Nicht alle beteiligen sich an der Diskussion, aber ihre Blicke, ihre Kopfbewegungen machen deutlich, was sie denken. Dass sie ähnlicher Meinung sind.

Corona habe die Gesellschaft gespalten, Impfgegner seien verunglimpft, Kritiker nicht angehört worden. „Ich werde nicht vergessen, was in dieser Zeit passiert ist“, sagt einer. Es klingt fast wie eine Drohung. „Das war ein riesiges Experiment an der Menschheit, die Verantwortlichen sollten bestraft werden. Das war purer Faschismus.“

Aber das beherrschende Thema ist die Migration. „Es sind zu viele Menschen aus anderen Kulturen gekommen, die nicht zu uns passen“, ist ein Satz, der öfter fällt. Und: „Die möchte ich nicht hier haben. Aber wenn man das sagt, wird man gleich in die rechte Ecke gedrängt, gilt als Hetzer.“ Wer sich integriere und an die Regeln halte, sei willkommen. „Die anderen haben hier nichts zu suchen.“ Sogar selbst vor Jahrzehnten Zugewanderte würden sich nachts aus Angst vor Kriminalität nicht mehr auf die Straße wagen, so weit sei es gekommen.

Der Lautstärke-Pegel steigt, die Diskussion wird lebhafter, aber sie bleibt wertschätzend.

Straftäter aus anderen Kulturen sollten sofort abgeschoben werden, der deutsche Knast sei für die deutschen Straftäter, sagt einer. „Für unsere Bevölkerung wäre das eine Wohltat. Die fremde Kultur verträgt sich mit unserer nicht. Es sind riesige Parallelgesellschaften entstanden.“ Das Asylrecht müsse geändert werden, Deutschland müsse sich erst einmal „neu sortieren“, Strukturen aufbauen, um Integration überhaupt zu ermöglichen.

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„Dann müssen eben unschönere Maßnahmen ergriffen werden“

Kriminelle Einwanderer müsse man einfach an der Grenze aussetzen, wenn man sie nicht anders los werde, sagt einer.

Und wenn das Land sie dann nicht aufnimmt?

„Dann müssen eben unschönere Maßnahmen ergriffen werden. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“

In wenigen Tagen wird gewählt. Im schmucklosen Klassenraum des Sauerland-Hellweg-Kollegs haben die „Altparteien“ keine guten Karten. Das Vertrauen ist weg. Kann die Politik es überhaupt noch zurückgewinnen? Das gehe nur mit neuen Leuten, sagt einer, und die anderen nicken. Mit Taten, nicht mit Worten. „Die Alten haben es verbockt.“

Anmerkung der Redaktion: Die Studierenden der Abiturklasse K4 vom Sauerland-Hellweg-Kolleg fühlten sich in unserer Berichterstattung falsch wiedergegeben und aus ihrer Sicht zu Unrecht in die extrem rechte Ecke gedrängt. Der Autor dieses Textes hat sich deshalb nach der Veröffentlichung erneut einer Diskussion mit den Studierenden gestellt. Auf ihren Wunsch verwenden wir nun andere Fotos, um mögliche individuelle Nachteile für Betroffene zu verhindern. Die in dem veröffentlichten Text zitierten Aussagen sind jedoch so gefallen. Die Studierenden haben eine Stellungnahme abgegeben, die wir hier dokumentieren.