Menden. Sudhir Gurram aus dem Sauerland geht nach zwei Burnouts einen neuen Weg. Einblicke in eine boomende Branche. Und wovor Experten warnen.

Sudhir Gurrams tiefe Stimme wirkt beruhigend, sie zieht einen immer tiefer in den Bann. Die zuvor gehegte Skepsis nach der Lektüre über schwarze Schafe unter Mentalcoaches, über Manipulation und finanzielle Ausbeutung scheint weit weg. Der 60-Jährige strahlt Vertrauen aus - und sein Leitspruch: „Jede Veränderung beginnt in deinem Inneren“, weckt Neugierde.

Alles infrage gestellt

Der gebürtige Inder lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Seine „Praxis für bewusstes Sein“ im Sparkassen-Gebäude in Menden ist gut besucht. „Zu mir kommen Menschen, die mir sagen: ‚Ich bin unglücklich und ich weiß nicht warum‘.“ Menschen, wie Gurram fortführt, die oft alles hätten, aber sich leer fühlten. Viele seiner Klienten stellten alles infrage, ihre Familie, ihren Job, sich selbst. Er biete an, sich wieder selbst zu finden und die eigenen Potenziale auszuschöpfen, sagt der 60-Jährige.

Seinen Arbeitsansatz erklärt Sudhir Gurram an einem Beispiel: „Ich spiegele, was jemand selbst nicht sehen kann.“ Beim Mental Coaching lernten die Klienten, wie sie ihre Gedanken und Emotionen besser verstehen und verändern können. „Sie erfahren, wie sie negative Gedankenmuster überwinden und ihr Selbstbewusstsein stärken können. Außerdem werden Techniken vermittelt, um Stress abzubauen“, sagt Gurram. Der Bedarf sei groß, „weil die Reize von außen so extrem sind.“ Die meisten Menschen seien mit der Schnelllebigkeit der heutigen Welt überfordert.

Eine Buddha-Figur steht in seiner Praxis: Innehalten und Achtsamkeit sind für Sudhir Gurram wichtige Einstiege, um glücklich zu sein.
Eine Buddha-Figur steht in seiner Praxis: Innehalten und Achtsamkeit sind für Sudhir Gurram wichtige Einstiege, um glücklich zu sein. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

100 Euro die Stunde

Je nach Saison hat Sudhir Gurram 20 bis 25 Klienten im Monat. Sein Honorar beträgt durchschnittlich 100 Euro pro Stunde. Die Kosten werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Seine Klientel reiche von Studenten bis Unternehmer, von Hausfrauen bis Architektinnen. „Manche kommen, weil sie verstehen wollen, warum sie keinen passenden Partner finden, andere zweifeln, ob sie den richtigen Job gewählt haben.“ Allen gleich sei das Bedürfnis, eine innere Balance zu finden. „So wie eine Künstlerin, die zu mir kam, weil sie Angst vor der Öffentlichkeit hatte. So sehr, dass sie ihre Bilder nicht selbst in Ausstellungen präsentieren konnte.“ Er habe ihr helfen können, so wie einem Mitarbeiter einer Bank, der mit seiner Arbeit unzufrieden war und nun Entspannungskurse gibt. Zwei, die ihr Glücklichsein gefunden hätten.

Lifecoaching und Selbstoptimierung liegen im Trend - Interview mit Mentalcoach Sudhir Gurram in seiner Praxis in Menden am Donnerstag den 23.01.2025.  Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

„Wir sind nur eine kurze Zeit auf diesem Planeten und jeder hat immer die Wahl, was er noch tun beziehungsweise erreichen will, um glücklich zu werden.“

Sudhir Gurram
Mentalcoach aus Menden

Mentalcoaches gibt es in Deutschland mittlerweile viele. Der Job kommt ursprünglich aus dem Sportbereich. Fast alle Profisportler haben einen eigenen Mentalcoach. „Das körperliche Können gerät irgendwann an seine Grenzen, durch mentales Training können die Grenzen verschoben werden“, erklärt Sudhir Gurram, der bei Mentalcoach Thomas Baschab, der zahlreiche Spitzensportler wie Matthias Ginter, Felix Neureuther oder Ricco Groß betreut hat, seine Ausbildung absolvierte. Sechs Monate lang besuchte Gurram Baschabs Seminare. Er habe von seinem Lehrer viel gelernt.

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Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, führt Gurram ein Experiment aus: Hinstellen, Becken nach vorne fixieren und den Arm so weit nach hinten drehen, wie es möglich erscheint. Gesagt, getan. Die Stelle visuell markiert. Danach die Augen schließen und sich vorstellen, wie der Arm sich noch mindestes einen Meter weiterdreht. Tatsächlich gelingt es später viel weiter als man es für möglich gehalten hat. „Der Körper kann mehr als man denkt“, erklärt der 60-Jährige.

Warnung vor unseriösen Anbietern

Sabine Wöller vom Deutschen Coaching Verband weiß, dass sich unter den Mentalcoaches auch unseriöse Anbieter tummeln. „Es gibt Seriositätskriterien, die bei der Wahl eines Coaches helfen können“, berichtet sie. Dazu gehörten entsprechende Referenzen und Zertifikate von Verbänden. „Coaches, die ein Heilversprechen und schnell eine Therapie anbieten, sollten eher gemieden werden.“ Auch von Mentalcoaches, die ihre Klienten per Vertrag binden möchten, solle Abstand genommen werden. Sie empfiehlt, den Coach vorher kennenzulernen und im ersten Gespräch seine Qualifikationen und Referenzen abzufragen.

Und auch Christoph Grotepass von der Sekten-Info NRW warnt vor unqualifizierten Coaches, die nur auf den Zug aufspringen und sich an ihren Klienten eine goldene Nase verdienen wollten: Wer eine Gesamtlösung für das ganze Leben anbiete, Ideologien verbreite und einen esoterischen Ansatz verfolge, vor dem sei Vorsicht geboten. „Eine eierlegende Wollmilchsau muss kritisch betrachtet werden.“

Der Mentalcoach aus Menden arbeitet auch mit einem Tensor, einer Einhandrute, mit der er die Schwingungen des Gegenübers interpretiert.
Der Mentalcoach aus Menden arbeitet auch mit einem Tensor, einer Einhandrute, mit der er die Schwingungen des Gegenübers interpretiert. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Den Boom der Branche erklärt Sudhir Gurram, der Mentalcoach aus Menden, durch die ständig wachsenden Reize, die die Menschen heutzutage regelrecht bombardierten. Die zunehmende Flut an Informationen vor allem durch die Medien und sozialen Netzwerke trage dazu bei. Die Reize von außen nährten das Gefühl anhaltender Unsicherheit. „Früher, wenn die Menschen in einer Höhle in der Steinzeit einen Säbelzahntiger sahen, wurden Hormone ausgeschüttet. Dann hieß es Flucht oder Kampf.“ Für beides brauchte man viel Energie. Heutzutage werden laut des 60-Jährigen durch die meist negative Informationsflut die gleichen Hirnareale getriggert, aber der moderne Mensch sei nicht mehr zur Entschleunigung fähig. Das Immunsystem werde dabei in ständige Alarmbereitschaft versetzt. Durch die fehlende Regenerationszeiten sei man anfälliger für Krankheiten.

Kein geschützter Begriff

Laut Deutschem Coaching Verband e. V. ist „Coaching“ in Deutschland kein geschützter Begriff – jeder kann sich Coach nennen. Auf dem deutschen Coachingmarkt sind viele unseriöse „Coaches“ vertreten. Neben den ca. 14.000 ausgebildeten und professionellen Coaches gibt es noch ungefähr drei Mal so viele selbsternannte Coaches. Weitere Infos auch unter: www.dbvc.de

Selbst zweimal Burnout

Der Mentalcoach aus dem Sauerland ist gelernter Maschinenbauer. Er hat lange Zeit in führender Position eine Marketingabteilung eines Unternehmens aus dem Sauerland geleitet. Er betreute Projekte, war auf allen Kontinenten für die Firma unterwegs. „Ja, so lange, bis ich zweimal Burnout hatte.“ Seit fünf Jahren ist er nun Mentalcoach, in einem Dachverband ist er bisher noch nicht vertreten.

Mentalcoach Sudhir Gurram (60) erklärt in seiner Praxis in Menden, wie er seinen Klienten hilft, Familie, Job und sich selbst wieder in Einklang zu bringen.
Mentalcoach Sudhir Gurram (60) erklärt in seiner Praxis in Menden, wie er seinen Klienten hilft, Familie, Job und sich selbst wieder in Einklang zu bringen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Gurram führt seine demonstrative Gelassenheit auf seine Achtsamkeit im Alltag zurück: „Ich meditiere, vor allem Vipassana-Meditation.“ Mindestens einmal im Jahr begebe er sich zehn Tage in die Stille und vermeide jegliche Kommunikation, „noch nicht einmal Augenkontakt mit anderen Menschen“. Er konzentriere sich ganz auf sich selbst. Allen, die sich gestresst fühlten, empfiehlt er, sich Auszeiten zu nehmen: „Am Wochenende zum Beispiel kann man sich für mehrere Stunden zurückziehen und sich nur mit sich selbst beschäftigen. Ein- und ausatmen und inneren Frieden suchen.“

Glücklicher mit weniger Geld

„Jeder hat das Potenzial auf einer Glücks-Skala von 1 bis 10 auf 10 zu gelangen“, ist sich Gurram sicher. „Wir sind nur eine kurze Zeit auf diesem Planeten und jeder hat immer die Wahl, was er noch tun beziehungsweise erreichen will, um glücklich zu werden.“ Auch jenseits der 50 könne man seine Träume noch erfüllen. „Ich habe mit 55 komplett mein Leben umgekrempelt. Als Manager habe ich sehr viel Geld verdient, super gelebt. Jetzt verdiene ich weniger und bin glücklich.“