Hagen. Der Ärger über die Grundsteuer-Bescheide ist groß. Jetzt erklärt ein Experte des Steuerzahlerbundes, welche Chancen Bürger noch haben.

Entsetzen, mitunter blanke Wut löst das Thema Grundsteuer in diesen Tagen bei vielen Menschen aus. Für viele Immobilienbesitzer beginnt das Jahr mit einem Steuerschock. Der fällt durchaus unterschiedlich aus, je nachdem, ob Haus und Grund im ländlichen Raum stehen oder in einer Großstadt. Die Grundbesitzabgabenbescheide der Kommunen weisen häufig sprunghaft angestiegene Gebühren bei der Grundsteuer B aus. Ob das so in Ordnung ist, lässt sich überprüfen, Fehler immer noch korrigieren. „Jeder zehnte Grundsteuerbescheid ist falsch“, schätzt Steuerexperte Hans-Ulrich Liebern. Er ist Geschäftsführer des Bundes der Steuerzahler NRW und Experte rund um das Thema Grundsteuer. Für unsere Leserinnen und Leser nahm er sich jetzt zwei Stunden Zeit, um Hintergründe für den explosionsartigen Anstieg zu erläutern, Fragen zu beantworten und Tipps zu geben, wo noch etwas zu retten ist. Die häufigsten Fehler und Fragen im Überblick:

Interessantes zum Thema Grundsteuer

Fehler bei der Berechnung der Wohnfläche

Viele Immobilienbesitzer waren offenbar beim Ausfüllen überfordert. Manchmal sorgt schon ein verrutschtes Komma für eine horrende Summe, die in Zukunft zu zahlen ist. Viele Fehler, seien bei der Berechnung der Wohnfläche passiert, sagt Steuerexperte Liebern. Der Teufel liegt im Detail und beim genauen Messen. Nicht zur Wohnfläche zählen Abstellräume außerhalb der Wohnung, Treppenhäuser, Kellerräume und nicht ausgebaute Dachgeschosse. Zimmer mit Dachschräge werden nur bei mindestens zwei Meter Deckenhöhe voll berechnet, zwischen zwei und einem Meter nur zu fünfzig Prozent, darunter gar nicht.

Die richtige Art des Grundstücks angegeben?

Fehler können auch bei Angabe der Art des Grundstückes passieren, insbesondere, wenn Kommunen differenzierte Hebesätze anwenden, also unterschiedlich hohe Hebesätze für Einfamilienhäuser und gemischt bebaute Grundstücke erhebt. Ist es ein reines Wohnhaus, oder ein gemischt genutztes, in dem vielleicht noch ein Ladenlokal vorhanden ist? Hans-Ulrich Liebern erzählt von einem Fall, bei dem jemand sein Dreifamilienhaus als Einfamilienhaus angegeben hat, weil er es mittlerweile allein bewohnt. Für Einfamilienhäuser ist die Grundsteuer allerdings im Durchschnitt erheblich gestiegen, ganz anders bei Zwei- und Mehrfamilienhäusern. Auch Besitzer unbebauter Grundstücke werden stark zur Kasse gebeten, während Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Flächen erheblich billiger geworden sind.

Was ist eine Kernsanierung?

Viele Fehler sind anscheinend auch bei der Angabe des Baujahres im Zusammenhang mit der Frage nach Kernsanierung passiert, die sich auf die Restnutzungsdauer des Gebäudes und damit erheblich auf den Wert und die Höhe der Grundsteuer auswirkt. In den seltensten Fällen liegt eine Kernsanierung vor. Dafür müsste ein Haus schon in einem Zug vom Keller bis zum Dach eher mehr als weniger runderneuert worden sein. Das ist selten. Einen weiteren durchaus nicht seltenen Fall von Missverständnis benennt Liebern: Der Besitzer einer Eigentumswohnung hat alle Garagen der Wohnanlage gegenüber dem Finanzamt angegeben statt nur seine eigene. Das wird dann teuer.

Wie es zu enormen Erhöhungen der Grundsteuer B kommt

In Westdeutschland beruhten die Berechnungen auf Daten aus dem Jahr 1964. Eigentlich hätte der Wert der Immobilien und Grundstücke alle sieben Jahre aktualisiert werden sollen, erläutert Steuerexperte Liebern. Dies sei aber bislang nie passiert. Inzwischen haben sich die Immobilienwerte natürlich erheblich verändert, in der Regel deutlich erhöht. Neu bewertet haben dies die Finanzämter. Deren Bescheide wurden bereits 2023 versendet und sind die Grundlage für die der Kommunen, die in diesen Tagen in fast ganz Nordrhein-Westfalen per Post ins Haus flattern.

Nach den Angaben der Besitzer hat das Finanzamt vor zwei Jahren einen Grundsteuerwert errechnet. Der ist ebenso wie die Steuermesszahl im Bescheid der Finanzbehörde aus dem Jahr 2023 abzulesen und ergibt den Grundsteuermessbetrag, den Basiswert für die Kommunen, mit dem sie die zu zahlende jährliche Grundsteuer berechnet haben. Messbetrag multipliziert mit dem Hebesatz ergibt die Summe, die nun im Grundbesitzabgabenbescheid steht.

1,4 Millionen Einsprüche in NRW ruhen

Fehler beim Ausfüllen von Behördenformularen können passieren. Das Gute, sagt Liebern, sie lassen sich noch korrigieren. Ein Grundstück, das vor der Neuberechnung reines Grünland war, wurde vom Finanzamt als Bauland eingestuft. Ein Einspruch beim Finanzamt wurde eingelegt. Ein weiterer gegen den Bescheid der Kommune sei nicht mehr nötig. Insgesamt, so Hans-Ulrich Liebern, seien in NRW 1,4 Millionen Einsprüche gegen die Bescheide aus dem Jahr 2023 eingelegt worden. Momentan ruhen alle Einsprüche. Vermutlich so lange, bis geklärt ist, ob die Grundsteuerreform verfassungswidrig ist. Aus Sicht des Bundes der Steuerzahler gibt es dafür mehrere Gründe.

NRZ Telefonaktion zur Grundsteuer
Hans-Ulrich Liebern, Geschäftsführer des Steuerzahlerbundes NRW, beantwortete am Samstag, 15. Februar 2025, kostenfrei die Fragen von Leserinnen der Westfalenpost und Westfälischen Rundschau zum Thema Grundsteuer. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Was kann ich nachträglich noch tun?

Wer jetzt noch feststellt, dass im Bescheid vom Finanzamt etwas nicht stimmt, weil die Behörde oder man selbst einen Fehler gemacht hat, kann zwar keinen Einspruch mehr einlegen, aber eine Korrektur beantragen. Musterformulare für die sogenannte „fehlerbeseitigende Fortschreibung“ gibt es beim Bund der Steuerzahler NRW unter „www.steuerzahler.de/nrw“. Wer bislang überhaupt keine Erklärung gegenüber dem Finanzamt eingereicht hat, ist geschätzt worden. In der Regel zu hoch, glaubt der Bund der Steuerzahler. Hier lohnt es sich, jetzt noch eine Erklärung abzugeben. In beiden Fällen sei es sinnvoll, dies bis zum 31. März zu tun, um rückwirkend ab 1. Januar 2025 weniger Grundsteuer zahlen zu müssen, wenn die Korrektur berechtigt ist.

Widerspruch gegen den Hebesatz der Kommune einlegen?

Als einzelner Bürger hat das wenig Sinn. Aussicht auf Erfolg hätte dies nur, wenn der Hebesatz eine „erdrosselnde Wirkung“ hätte, so heißt es in der Rechtsprechung. Auch wenn so mancher das Gefühl haben dürfte, dass genau dies der Fall sei, müsste der Hebesatz schon für die Allgemeinheit als zu hoch erachtet werden. Einige Kommunen haben ihre Hebesätze nicht angehoben, andere schon, um mit der neuen Berechnung wieder die gleichen Steuereinnahmen zu erzielen, die sogenannte „Aufkommensneutralität“ zu erreichen. Bürger dürften sich aber sehr wohl an ihre Verwaltung wenden und Transparenz bei der Berechnung einfordern oder Druck auf den Stadtrat ausüben - oder beides.

Die Schere bei den Hebesätzen klafft weit auseinander

Die höchsten Hebesätze für Wohngrundstücke in Nordrhein-Westfalen haben Lindlar (1245), Hagen (1139) und Witten (1110). Die niedrigsten Hebesätze gibt es in Verl (238), Schloß Holte-Stuckenbrock (310) und Harsewinkel (345/alle drei Kreis Gütersloh).

Was soll die Grundsteuer eigentlich?

Die Kommunen haben nur beschränkt Einnahmequellen. Von Bußgeldern fürs Falschparken kann eine Stadt nicht viel Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Neben der Gewerbesteuer der Unternehmen, in geringem Umfang auch der Umsatzsteuer, zählt die Grundsteuer zu den verlässlichen Einnahmequellen, um beispielsweise Schwimmbäder, Kitas, Schulen und Ähnliches zu finanzieren. Dass die Grundsteuer Infrastruktur für die Allgemeinheit mitfinanziert, es bei deren Berechnung aber keinen Personenfaktor gibt, hält der Bund der Steuerzahler für eine Schwäche. Ohnehin sei nicht gesagt, dass es bei der jetzigen Berechnung der Grundsteuer bleibe. Der Steuerzahlerbund rechnet mit einer erneuten Überprüfung, da die Reform viele Schwächen beinhalte und insgesamt möglicherweise verfassungswidrig ist. Stellt das Verfassungsgericht dies fest, wird die Steuer insgesamt neu berechnet, nicht nur für die 1,4 Millionen, die in NRW schon Einspruch gegen die Bescheide eingelegt hatten. „Davon profitieren dann alle“, sagt Hans-Ulrich Liebern.

Weitere Themen aus der Region: