Hagen. Sie verzichten auf Job-Garantie und Pension: Immer mehr Lehrer verlassen den Staatsdienst. Zwei Lehrerinnen schildern ihre Gründe.
In NRW geben immer mehr Lehrkräfte ihren Beruf auf. Dies bestätigte die Landesregierung NRW auf eine Anfrage der SPD-Politikerin Dilek Engin. Im Jahr 2024 haben insgesamt 291 verbeamtete Lehrkräfte und 393 tarifbeschäftigte Lehrkräfte den öffentlichen Schuldienst im Land Nordrhein-Westfalen verlassen, teilte die Landesregierung mit. Die meisten verbeamteten Lehrer, die ihre Stelle quittiert haben, waren zwischen 31 und 40 Jahren alt und somit noch am Anfang ihrer Karriere. Die Gründe hierfür scheinen aber höchst unterschiedlich zu sein. Zwei Lehrerinnen berichten.
„Ich habe drei Jahre gebraucht, um sicher zu sein“
„Nein, leicht ist diese Entscheidung nicht“, sagt Jasmin Brozulat. Sie hat zehn Jahre lang im Ennepe-Ruhr-Kreis an einer Grundschule als Sonderpädagogin gearbeitet, bis sie im Mai 2023 ihren Beruf aufgab. Stress und Überforderung waren aber nicht der Grund, warum sie gekündigt hat. „Das Umfeld der Schule war mir zu starr, zu langweilig“, berichtet die Pädagogin. Die Abwechslung habe ihr gefehlt. Außerdem habe sie ständig Vertretungen für ausgefallene Kollegen machen müssen, sodass ihre eigentliche Fachexpertise verloren gegangen sei.
„Die Entlassung aus dem Beamtenstatus habe ich nicht einen Moment bereut“, sagt Jasmin Brozulat, die in Dortmund lebt. Eine leichte Entscheidung sei das aber nicht gewesen. Sie kenne viele Lehrer, die teilweise unter ihrem Job leiden würden und darüber nachdenken würden, ihn zu kündigen. Den letzten Schritt, zu kündigen, gingen sie meist aber nicht. Diese Sicherheit aufzugeben brauche Zeit. „Jeder Mensch gibt diesen Status nicht einfach so auf. Ich habe drei Jahre gebraucht, um sicher zu sein“, berichtet sie. Danach war sie lange Zeit auf der Suche nach ihrer Bestimmung. In den rumänischen Karpaten hat sie Touristen auf Pferden begleitet, in der Schweiz auf einem Reiterhof gearbeitet und auch in einem Hotel in Dortmund. Wirklich ausgefüllt haben sie diese Jobs allerdings nicht. „Eigentlich habe ich nur acht Stunden vorm Computer gesessen“, berichtet sie etwa über ihre Arbeit im Hotel.
„Die Entlassung aus dem Beamtenstatus habe ich nicht einen Moment bereut.“
Bis jetzt. Nun hat sie eine Möglichkeit gefunden, Fachexpertise und Freiheit miteinander zu verbinden. Seit Ende Januar hat sie sich mit einer Lernakademie für Kinder in Dortmund selbstständig gemacht, in der sie bestimmte Lerntherapien anbietet. Mit dieser Entscheidung sei sie sehr glücklich. Die Lernakademie solle eine Alternative zum staatlichen Schulsystem sein, so die Sonderpädagogin.
Ehrliche Selbstreflexion
Nora Poschmann hat ihren Job als Lehrerin an einem Gymnasium im Ruhrgebiet gekündigt. Eine Entscheidung, die ihr vor drei Jahren auch nicht leicht gefallen ist, da sie eine Verbeamtung auf Lebenszeit hatte. Sie habe lange darüber nachgedacht, wie die nächsten Jahre aussehen würden. „Man muss brutal ehrlich in der Selbstreflexion sein“, erzählt sie. Dabei ist die ehemalige Englisch- und Biologielehrerin zu der Entscheidung gekommen, dass die Kündigung für sie das Beste ist. Auch wenn sie damit den sicheren Job und die Pension aufgibt.
Der Hauptgrund für ihre Kündigung sei das überdurchschnittlich hohe Arbeitspensum sowie ein - wie sie sagt - unkontrolliert wachsendes Maß an Anforderungen gewesen. Sie habe viel Zeit außerhalb des Unterrichts mit der Arbeit verbracht. Bis in den späten Abend hinein, an den Wochenenden und in den Ferien. „Der Aufwand überschreitet die Vorstellung mancher um Längen“, sagt Poschmann. Die Arbeit mit ihren Schülern fehle ihr aber sehr. Mit einigen ihrer Ehemaligen sei sie auch noch über Linked In, einem sozialen Netzwerk im Internet, vernetzt. „Den Kontakt zu den Schülern weiß ich sehr zu schätzen“, so die ehemalige Lehrerin, denn: „Dass ich mein Wissen nicht mehr mit der Klasse teilen kann und im Englischunterricht nicht mit meinen Schülern über politische Entwicklungen in den USA sprechen kann, ist sehr schade.“
„Man muss brutal ehrlich in der Selbstreflexion sein.“
Ein weiteres Problem sei, dass sehr wenig für die Zusammenarbeit innerhalb der Schulgemeinde getan werde. „Es ist dringend erforderlich, den Dialog zu Umgangsformen zwischen Lehrkräften, Eltern und Schülern anzustoßen und gemeinsam im Sinne der bestmöglichen Förderung der Kinder zusammenzuarbeiten. Immer wieder werden Grenzen überschritten, die zu Lasten der Zusammenarbeit gehen und schlussendlich den Lehrermangel oder Schulangst weiter antreiben“, erklärt die Lehrerin. Die Digitalisierung in den vergangenen Jahren habe für Lehrer auch negative Seiten. Man sei jederzeit digital erreichbar, nicht nur zu den Sprechzeiten.
Weltweites Problem
Ein Großteil ihrer Freunde arbeite noch als Lehrer und berichte oft von Unzufriedenheit und Erschöpfung. Dies beträfe verschiedene Schultypen. Aber das Problem gibt es nach ihrer Ansicht nicht nur in Deutschland. Auch Bekannte aus den USA oder Australien berichteten von einer angespannten Situation.
Heute arbeitet Nora Poschmann als Agile Coach. Sie berät Unternehmen zum Thema Zusammenarbeit ohne Hierarchien. Der Alltag sei ein ganz anderer. „Es ist schön, am Abend auch mal Feierabend und im Urlaub frei zu haben“, berichtet sie. Der Unterricht für das kommende Schuljahr habe in den Ferien vorbereitet werden müssen. Auch ihr Fach Englisch sei beim Korrigieren von Klassenarbeiten sehr zeitintensiv gewesen. Die Unterrichtszeit allein sei nur ein Teil der Arbeit. Ein vollkommen anderes Metier sei ihre jetzige Tätigkeit allerdings nicht, auch wenn es so klinge. „Ich kann viele Aspekte aus meinem Beruf als Lehrerin anwenden, wie die Zusammenarbeit mit Gruppen und das Beraten und Anleiten von Menschen.“
Gewerkschaft: Teilzeit ist Mittel gegen Lehrermangel
Die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) sieht massive Probleme im Lehrerberuf, die viele Lehrkräfte dazu bringen, den Dienst zu quittieren und sorgen auch dafür, dass es wenig Nachwuchs in diesem Bereich gibt. Die Ausweitung von Abordnungen und Einschränkung von Teilzeitmöglichkeiten, so wie es das Handlungskonzept der Bildungsministerin Dorothee Feller vorsieht, schrecke viele junge Menschen ab, so GEW-Sprecherin Steffi Klaus. Heute würde fast die Hälfte eines Jahrgangs an Studierenden auf dem Weg zum Referendariat abbrechen.
Teilzeit sei ein zentraler Aspekt. „Die Möglichkeit in jeder Lebensphase in Teilzeit zu arbeiten, würde den Beruf wieder attraktiver machen. Der Wunsch nach Teilzeit hat viele verschiedene Gründe - neben familiären - sind es immer auch wieder Gründe der Überlastung. “, so die GEW. „Um den Beruf wieder attraktiver zu machen, müssen wir denen, die schon lange dabei sind und den potenziellen Lehrkräften eine berufliche und finanzielle Perspektive mit guten Arbeitsbedingungen bieten.“
Lehrkräfte müssten immer mehr Verwaltungsaufgaben übernehmen, wodurch die pädagogische Arbeit auf der Strecke bliebe. Auch brauche es perspektivisch kleinere Klassen und eine bessere Schüler-Lehrer-Relation. Und zudem nicht nur mehr Geld für Bildung, sondern auch einen Sozialindex, damit Ressourcen an den Stellen zum Einsatz kämen, die sie am dringendsten benötigten, meint die GEW.
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