Siegen-Wittgenstein. Opfer und Täter des mutmaßlichen Missbrauchs stammen aus einer Familie. Das steigert die Anspannung bei vielen Beteiligten.

Der spektakuläre Fall eines Mädchens, das als Elfjährige ein Kind von seinem Stiefvater erwartet, löst großes Zuschauer- und Medieninteresse am Landgericht in Siegen aus. Die Justiz war darauf vorbereitet, auch wenn der Saal 183 nicht zu den größten Sälen im Haus gehört. „Wir haben eigens noch ein paar Stühle mehr in den Saal gestellt“, sagt die Vorsitzende Richterin der 2. Großen Strafkammer, Sabine Metz-Horst, als die Besucher auf die Minute pünktlich um 14 Uhr in den Saal strömen. Ein Justizangestellter hatte die Journalisten zuvor gebeten, die Besucher zuerst in den Raum zu lassen.

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Die Menschen außerhalb des Gerichts waren oft nicht so gut vorbereitet. Schon am Montag und Dienstag waren Reporter überregionaler Fernseh- und Radiosender im Wohnort der Familie, der auch der Tatort des mutmaßlichen Missbrauchsfalles ist, auf den Straßen unterwegs, um Stimmen aus der Bevölkerung zu dieser für viele unfassbare Tragödie zu sammeln. Viele Passanten winkten ab, wollten nicht in Kameras oder Mikrophone sprechen. Aber gut eine Stunde vor Prozessbeginn am Landgericht Siegen scheint sich die Hartnäckigkeit eines Boulevard-Senders auszuzahlen. Direkt aus dem Freundeskreis der Familie beantwortet ein Mann die Fragen des TV-Reporters. Die Familie des Opfers schickt den Mann mit dem Mikrophon wieder weg. Die Mutter des heute zwölfjährigen, mutmaßlichen Missbrauchsopfers wartet mit zwei Begleitpersonen abseits des Gerichtssaals auf den Start des Verfahrens.

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Die Nerven sind angespannt. Das sieht und spürt man. Wer sich davon nicht anstecken lässt, das sind die juristischen Profis. Die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst, Staatsanwältin Katharina Burchert, die Anwältin der Nebenklage Jennifer Sauer und Verteidiger Daniel Nierenz blieben gelassen - auch im Blitzlichtgewitter. Das lässt der Angeklagte mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze seines schwarzen Hoodies über sich ergehen, bis die Vorsitzende die Kamerateams und Fotografen aus dem Saal beordert. Zurück bleiben gut 25 Zuhörerinnen und Zuhörer, die Gerichtsreporter und eine Zeugin: die Mutter des mutmaßlichen Opfers. Sie verlässt den Saal erst nach einem Hinweis der Vorsitzenden Richterin. „Ich will meinem Mann ja nicht schaden“, sagt die Frau, die später im Verfahren noch als Zeugin aussagen will.

Dann beginnt das mit Spannung erwarteten Strafverfahren gegen den 38-jährigen Stiefvater, der nur Angaben zu seiner Person macht und ansonsten zu den schwerwiegenden Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schweigen will. Nach gut 45 Minuten ist der erste Prozesstag fast geräuschlos zu Ende gegangen. Aber nur fast! Denn auf dem Gang wartet noch ein Gericht. Die Familie hat den Freund des Angeklagten ins Visier genommen, der zuvor bereitwillig in die Kamera eines TV-Senders sprach und stellt ihn lautstark auf dem Gang zur Rede. Die Anspannung in der Familie, zu der mutmaßliches Opfer und mutmaßlicher Täter gehören, bleibt hoch.