Siegen. Verhandlung gegen Stiefvater, der Mädchen geschwängert haben soll, in Siegen gestartet. Warum Auftakt anders als erwartet lief.

Es lief beim Auftakt in diesen Missbrauchs-Prozess zunächst alles wie erwartet. Der Angeklagte, dem vorgeworfen wird, seine heute zwölf Jahre alte Stieftochter über Jahre missbraucht und schließlich geschwängert zu haben, schwieg. Die Kapuze seines schwarzen Pullovers weit über den Kopf gezogen und den Blick gesenkt, so versuchte der 38-Jährige, sich am ersten Verhandlungstag am Landgericht Siegen vor den zahlreichen Fotografen und Kamerateams zu schützen.

Dann aber sorgte das mutmaßliche Opfer, die Stieftochter, die im vergangenen Jahr im Alter von elf ein Kind zur Welt gebracht hat, für einen Paukenschlag. Zwar war das Mädchen, das unter Vormundschaft des Kreis-Jugendamtes steht, nicht anwesend, jedoch ließ sie eine Ankündigung vortragen, die den Prozess erheblich beeinflussen könnte.

Es sollte nicht die einzige Überraschung am ersten Verhandlungstag dieses aufsehenerregenden Falles sein.

Mädchen will nun doch aussagen

Anders als zunächst dem Gericht angekündigt, will die Zwölfjährige demnach doch nicht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sondern im Prozess gegen ihren Stiefvater aussagen, den ein DNA-Abgleich als biologischen Vater des Babys nachgewiesen hat. Diese Wendung hatte laut Darstellung der Vorsitzenden Richterin die Kammer am Dienstag erst eineinhalb Stunden vor Verhandlungsbeginn über den Vormund des Mädchens erreicht – und wohl selbst die Anwältin der Kindsmutter überrascht.

Stiefvater ist Kindsvater.
Mit Kapuze tief im Gesicht und gesenktem Blick saß der Angeklagte im Gerichtssaal. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wie es zu dem Sinneswandel gekommen sei, „kann ich nicht sagen“, erklärte Anwältin Jennifer Sauer, die laut eigener Aussage noch nie mit dem Mädchen gesprochen hat. Unklar sei auch, ob das Mädchen am zweiten Verhandlungstag am 23. Januar, wenn ihre Aussage vorgesehen ist, tatsächlich in der Verfassung sei, sich vor Gericht zu äußern. „Ich hoffe, dass sie sich dann auch noch dazu in der Lage sieht. Sie ist sehr traumatisiert, sehr schwankend“, sagte Jennifer Sauer, welche das Mädchen (beziehungsweise den Kreis als deren Vormund) als Nebenklagevertreterin vor Gericht betreut. „Ich habe die Hoffnung, dass eine Aussage ihr hilft, die Tat zu verarbeiten, und den Prozess voranbringt“, so Sauer später. Ein Restrisiko verbleibe jedoch.

Prozess am Landgericht Siegen am Dienstag den 14. Januar 2025 gegen einen Stiefvater der Kindsvater ist. Im Bild: Anwältin Jennifer Sauer. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

„Sie wird nichts sagen, solange der Angeklagte im Saal ist.“

Jennifer Sauer
Anwältin des Mädchens

Eines aber stehe fest. „Sie wird nichts sagen, solange der Angeklagte im Saal ist“, betonte Sauer. Zudem beantragte die Nebenklagevertreterin einen Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Aussage des Mädchens. Diesem wird die Kammer stattgeben, wie die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst ankündigte.

Um das Mädchen zu schützen, soll der angeklagte Stiefvater – der die Vorwürfe bestreitet – wahrscheinlich während der Aussage seiner Stieftochter in einen Nebenraum gebracht werden; der 38-Jährige stimmte diesem Vorschlag der Kammer zu. Zudem dürfte es darauf hinauslaufen, dass das Mädchen nicht direkt durch Verteidigung und Staatsanwaltschaft befragt wird, sondern diese ihre Fragen über die Vorsitzende Richterin stellen (lassen). Thematisiert wurde zudem, dass das Mädchen von einem Betreuer unterstützt wird, von einem sogenannten psychosozialen Prozessbegleiter, der dem Kind die Verfahrensabläufe erläutert. Auch die Begleitung durch einen Therapiehund brachte Anwältin Jennifer Sauer ins Spiel. Der sei auch bei den polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren dabei gewesen. Diesen Vorschlag lehnte die Kammer, welche Video-Aufzeichnungen der Vernehmungen gesichtet hat, jedoch ab. „Der Hund hat abgelenkt. Er hat die Unruhe des Kindes gespürt und war dann auch unruhig“, so Richterin Metz-Horst.

Gutachter sollen „Kondom-Theorie“ prüfen

Begonnen hatte der erste, 45-minütige Prozesstermin mit einem größeren Medienaufgebot am Landgericht Siegen – unter anderem waren drei Kamerateams anwesend – und der Verlesung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Die wirft dem Stiefvater neun Taten vor. Begonnen haben soll alles am 6. März 2020. Da soll der Angeklagte das damals sieben Jahre alte Mädchen in der Wohnung der Familie geküsst haben, im Laufe der Zeit soll es auch zu Zungenküssen gekommen sein. Zu den ersten vier Taten sollen 60 Beweis-Fotos auf dem Handy des Mädchens gefunden worden sein.

Die weiteren fünf angeklagten Taten beziehen sich auf den Vorwurf, dass der Stiefvater Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt haben soll, „entweder im Schlafzimmer der Eltern oder im Kinderzimmer“. Dabei habe er „nur teilweise ein Kondom benutzt“, so die Anklage.

Die „Kondom-Frage“ wird in diesem Prozess noch eine wichtige Rolle spielen. Denn das Mädchen soll zunächst ausgesagt haben, dass sie sich mit einem benutzten Präservativ ihres Stiefvaters, in den sie verliebt gewesen sei, selbst geschwängert habe. Später soll sie diese Aussage geändert und ihren Stiefvater beschuldigt haben. Wegen dieses Wechsels der Aussage zweifelt Verteidiger Daniel Nierenz an der Glaubwürdigkeit des Mädchens. Zudem wirft er den vernehmenden Beamten vor, dem Mädchen Worte in den Mund gelegt zu haben (was die Staatsanwaltschaft bestreitet).

Die Anwältin des Mädchens sagte der Westfalenpost am Rande des Prozessauftakts dazu: „Die Anklage hat Hand und Fuß.“ Und, so Jennifer Sauer weiter: „Meine Mandantin ist glaubwürdig.“ Die Änderung der Aussage erkläre sich damit, dass das Mädchen „schwer traumatisiert“ sei.

„Bevor ich meinem Mann schade, gehe ich raus.“

Die Mutter des Mädchens und Ehefrau des Angeklagten

Mutter des Mädchens will Stiefvater schützen

Sollte das Mädchen, wie nun angekündigt, aussagen, wäre damit auch der Weg frei für eine Befragung durch die Verteidigung und eine aussagepsychologische Begutachtung durch eine Sachverständige (beides begrüßt Verteidiger Nierenz). Die Kammer hat eine Diplom-Psychologin geladen, die ab dem zweiten Verhandlungstag, wenn die Aussage des Mädchens vorgesehen ist, am Prozess teilnehmen und die Zwölfjährige begutachten soll.

Zudem beantragte Verteidiger Nierenz, die „Kondom-Theorie“ durch weitere Gutachter überprüfen zu lassen. Die Kammer hat Prof. Dr. Sibylle Banaschak vom Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln für den Verhandlungstag am 31. Januar geladen. Diese sei allerdings auf Missbrauchsfälle spezialisiert, er aber wolle Reproduktionsmediziner als Sachverständige laden, erklärte Nierenz und schlug zwei Gynäkologen und Geburtsmediziner aus Köln vor. Über den Antrag muss die Kammer noch entscheiden.

Für Verwunderung im Saal hatte zu Beginn des Prozess gesorgt, dass unter den etwa 20 Zuschauern auch die Mutter des Mädchens, die mit dem Angeklagten verheiratet ist, saß. Diese ist im Laufe des Prozesses als Zeugin geladen. Als solche sollte sie an der Verhandlung vor ihrer Aussage nicht teilnehmen, damit sie die Äußerungen anderer Zeugen (oder auch des Angeklagten) nicht verfolgen und daran nicht ihr Aussageverhalten anpassen kann. Richterin Metz-Horst wies die Frau darauf hin, dass, sollte sie im Saal bleiben, dies bei der Würdigung der Beweiskraft ihrer späteren Aussage berücksichtigt würde. Daraufhin verließ die Mutter der Zwölfjährigen den Raum – mit den Worten:

„Bevor ich meinem Mann schade, gehe ich raus.“

Um ihre mutmaßlich missbrauchte Tochter ging es dabei nicht.