Hagen. Jäger und Förster sind sich nicht immer grün, können aber nur gemeinsam den Wald retten. Bei Streit vermittelt Dr. Michael Petrak.
Er ist Berater und Fortbilder, aber auch: Streitschlichter. Ein Vermittler zwischen den Welten, die es im selben Lebensraum gibt: im Wald. Dort sind zum einen die Jäger in ihren Revieren unterwegs und erlegen Wild. Und da sind zum anderen die Förster, die nicht immer der Meinung sind, dass die Jäger ihrem Job zum Wohle des Waldes ausreichend oft und gut nachkommen, weil das Wild die jungen Triebe frisst. Beide Parteien verbindet gelegentlich gegenseitige Ablehnung.
Deswegen verbündeten sich die Spitzen der beiden NRW-Landesverbände vor einem Jahr. Damit dieser Appell auch an der Basis umgesetzt wird, wurde gleichzeitig ein ehrenamtlicher Ombudsmann eingesetzt: Dr. Michael Petrak (67). Der Wildbiologe und Jagdwissenschaftler war mehr als 30 Jahre lang Leiter der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landes Nordrhein-Westfalen in Bonn. Ein Gespräch über den Wald im Sauerland, die erheblichen Herausforderungen - und Petraks Aufgabe.
Für den Laien erklärt: Was ist mitunter das Problem zwischen Jägern und Förstern?
Insgesamt, das kann ich nach einem Jahr in der aktuellen Rolle sagen, funktioniert die Zusammenarbeit. Aber es gibt natürlich auch im Sauerland immer wieder mal dicke Bretter zu bohren: Oft dort, wo sich schon die Großväter von Jäger und Förster nicht verstanden haben und der Konflikt so eine Art Brauchtumspflege ist (lacht). Dort ist es dann für mich auch einmal angebracht, vor Ort präsent zu sein, um den Beteiligten die Augen zu öffnen, dass es so nicht geht, und zu zeigen, wie es vielleicht auf beiden Seiten besser zu machen wäre.
Um was geht es bei den Streitigkeiten genau?
Im Wesentlichen geht es um den Wald und die bedeutende Frage, wie er eine gute Zukunft hat. Und auch Rotwild, Rehe, Wildschweine und die anderen Wildtiere ihren Platz haben. Der Jäger freut sich, wenn er in sein Revier kommt und gut und erfolgreich jagen kann. Mancher Jäger hat den Wunsch nach einem hohen Wildbestand, ohne einen guten Blick für den gesamten Lebensraum Wald zu haben. Auf der anderen Seite sind die Förster, die nach verheerenden Stürmen und der Borkenkäferplage einen schwer geschädigten Wald vorfinden. 16 Prozent der 8500 Quadratkilometer Wald in NRW sind kaputt. Neuer Wald muss dringend entstehen. Problem: Das Wild frisst gern die Knospen der jungen Bäume auf den aufgeforsteten Flächen und kann sie damit ruinieren, was das Wachstum neuen Waldes verhindert oder ausbremst.
„Natürlich gibt es auch ein paar Köpfe, in die kommt man schwer hinein. “
Mit anderen Worten: Es muss mehr Wild geschossen werden? Die Jäger sind schuld?
Nein, so einfach ist das nicht. Alle müssen ihre Hausaufgaben machen. Der Einfluss des Wilds auf den Wald - das ist wissenschaftlich erwiesen - ist nicht nur von der Wilddichte abhängig, sondern von vielen anderen Maßnahmen, für die wiederum auch der Förster zuständig sein kann.
Welche Maßnahmen sind dies?
Es geht um eine vorausschauende und kluge Lebensraumentwicklung im Wald. Dazu gehören zum Beispiel ausreichend große Wegeabstände. Wir leben im bevölkerungsreichsten Bundesland, im Sauerland ist zudem noch der Tourismus sehr wichtig - im Sommer, aber auch im Winter, wenn die Skifahrer kommen. Der Besucherdruck im Wald ist sehr groß, dadurch schränken wir den verfügbaren Lebensraum der Tiere dramatisch ein. Das führt dazu, dass das Rotwild zum Beispiel auf engem Raum wie eingesperrt lebt und es sogar zu Inzuchteffekten und Gendefekten kommen kann. Eine Lösung: Neben dem Wanderweg, den am Ort X der Sauerländer Gebirgsverein vorsieht, gibt es dort oft noch drei andere Wege. Wenn man sich in manchen Revieren dann auf nur zwei der vier Wege einigen könnte, wäre das schonmal gut. Da wir schon bei Wegen sind: Die Tiere brauchen im Winter Sonne. Doch gerade die Sonnenhänge im Sauerland werden für Wanderer hergerichtet - dabei können die bei Bedarf den Anorak zumachen.
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Was noch?
Auf Seiten der Jäger ist es wichtig, nicht nur genug, sondern vor allem auch an den richtigen Stellen zu jagen, nämlich schwerpunktmäßig auf den Flächen mit den jungen Bäumen. Zudem muss die Jagdzeit begrenzt sein, damit die Tiere im Winter ihre Ruhe haben, wenn sie die körperliche Aktivität ohnehin schon herunterfahren. Auf Seiten der Förster sollten idealerweise Schussschneisen auf den Verjüngungsflächen eingeplant werden. Äsungsflächen, das heißt Nahrungsflächen mit Gräsern und Kräutern, auf denen das Wild in Ruhe fressen kann, müssen ausreichend vorgesehen werden.
Gibt es so etwas wie klassische Irrtümer bei Jägern und Förstern oder Waldbesitzern?
Was mir immer wieder begegnet, ist der Umgang mit den Flächen, auf denen die Bäume wegen des Borkenkäfers abgestorben sind. Übertrieben gesagt: Diese Flächen müssen nicht besenrein geräumt werden. Richtig ist, in die natürliche Entwicklung hinein gezielt junge Bäumchen zu setzen, auch mal unter einen Himbeerstrauch. Weil die Himbeere dem Wild noch besser schmeckt als die Knospen der jungen Buche und die Himbeere die Buche vor der Sonne auf der Freifläche schützt. Die Stadt Schmallenberg ist hier zum Beispiel sehr gut unterwegs. Und immer wieder höre ich, dass auf jedem Quadratmeter Wald ein Baum zu stehen hat. Und dann wundert man sich nach ein paar Jahren, dass alles zugewachsen ist, das Wild keine Gräser und Kräuter als Nahrung mehr findet und nur noch Baumrinde und Bäume hat.
Apropos Buche: Der Klimawandel macht nicht nur die Fichte angreifbar, sondern auch die Buchen sterben massenweise ab. Sind sie zukunftsfähig?
Der Klimawandel ist deutlich spürbar in NRW angekommen. Es wird bei der Neupflanzung auf eine Mischkalkulation ankommen. Die Buche ist und bleibt aber ein Baum für die Zukunft. Richtig ist: Die alten Buchen, die in früheren Jahren noch ausreichend Wasser erhielten, wurden und werden von der Trockenheit der vergangenen Jahre überrascht und sterben ab. Das heißt aber nicht, dass es Buchen, die unter den neuen Bedingungen groß werden, genauso geht. Sie werden früh genug merken, dass das Wasser knapp ist und mehr in Wurzelwachstum investieren.
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Welche grundlegenden Tipps können Sie Jägern und Förstern geben für ein harmonisches Miteinander?
Der erste Tipp wäre, dass sich Waldbesitzer und Förster einen Jäger suchen, der ins Revier passt. Nicht den, der am meisten Geld für die Pacht bietet und vermutlich wenig Zeit hat, denn er arbeitet ja vermutlich viel für das Geld, das er zu bezahlen imstande ist. Sondern den, der in der Nähe wohnt, der mehr Zeit hat, der handwerklich begabt ist. Dann ist wichtig, dass sich die Parteien nicht nur alle neun Jahre sehen, wenn der Pachtvertrag verlängert werden soll, sondern mindestens einmal jährlich, um einen Rundgang durchs Revier zu machen und zu besprechen, wo welche Maßnahmen geplant sind und wo der Schwerpunkt der Jagd liegen sollte. Ideal ist es, wenn in einer App oder anderen gemeinsamen Dateien aufgeschrieben wird, was wer wann und warum im Revier getan hat.
Sie machen Fortbildungen, sind Berater, aber auch Vermittler, eine Art Streitschlichter im Wald. Wie gehen Sie vor?
Meine Rolle ist zwar beim Landesjagdverband NRW angesiedelt, aber ich bin absolut unparteilich. Ich nähere mich den Herausforderungen immer von der fachlichen Seite aus, versuche alle Beteiligten auf diesem für den Wald und für das Wild wichtigen Weg mitzunehmen und zu vermitteln, was in diesem Lebensraum gerade vor sich geht. Ich will alle für die Aufgabe gewinnen. Aber manchmal muss man eben auch Klartext reden, dass sich der eine oder andere auf einen anderen Weg begeben muss.
Ist Ihr Rat immer willkommen, oder geraten Sie auch manchmal zwischen die Fronten?
Natürlich gibt es auch ein paar Köpfe, in die kommt man schwer hinein. Die freuen sich nicht im ersten Moment, wenn sie von mir beraten werden. Aber durch meine jahrelange hauptberufliche Tätigkeit und den wissenschaftlichen Hintergrund erfreue ich mich einer hohen Akzeptanz. Sonst würde das auch nicht funktionieren. Und es geht nur gemeinsam, dies ist der nordrhein-westfälische Weg.