Hagen. Das Frühjahr war feucht. Doch der Borkenkäfer wütet weiter in den Wäldern. Warum trotz Millionen-Hilfen die Existenznot der Waldbesitzer wächst.
Der deutsche Wald stirbt weiter. Zwar hilft das sehr feuchte Frühjahr den Bäumen ein wenig über die Runden, aber die nächste Dürre kommt bestimmt. Und mit ihr der Borkenkäfer. Max von Elverfeldt ist Bundesvorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst. Er vertritt die Interessen von 2000 land- und forstwissenschaftlichen Betrieben in ganz Deutschland. Dahinter stehen nach Angaben des Verbands 50.000 Familienmitglieder, Mitarbeiter und Eigentümer. Im Interview spricht von Elverfeldt über die Sorgen der Branche.
Vor sechs Jahren begann der Borkenkäfer, sich durch die Wälder zu fressen. Hat sich die Situation jetzt verbessert?
Das kann man weiß Gott nicht sagen. Fakt ist: Neue Bäume brauchen Jahrzehnte, um zu wachsen. Mittlerweile sind alle heimischen Arten von der Klimakrise betroffen. Die Katastrophe im Wald wird täglich größer. Und den betroffenen Betrieben fehlen zunehmend die Einkünfte, weil sie keine Bäume mehr haben, die sie verkaufen können. Das heißt: Die Liquidität verschwindet. Viele Betriebe klagen über Existenznöte.
Hilft der Staat nicht genug?
Grundsätzlich sind wir für jeden Euro Unterstützung dankbar. Allerdings halte ich es auch nur für fair, dass die Gesellschaft uns dabei hilft, den Wald wieder aufzubauen, schließlich erbringt er immense Leistungen, viele davon unentgeltlich. Das Land NRW stellt in diesem Jahr 50 Millionen Euro zur Wiederaufforstung zur Verfügung. Das ist gut, ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil den Waldbesitzern die Einnahmen fehlen.
Aber vom Bund gibt es auch Geld.
Ja, 800 Millionen Euro, verteilt über mehrere Jahre. Der deutsche Forstwirtschaftsrat hat vergangenes Jahr die bisher von der Klimakatastrophe ausgelösten Schäden für unseren Wald errechnet: 14 Milliarden Euro.
Also hat die Gesellschaft das Problem noch nicht verstanden?
Sie hat es erkannt, aber ob sie es in den Dimensionen auch ausreichend verstanden hat, mag ich zu bezweifeln.
Wozu führen die Existenzprobleme?
Einige Waldbauern können sich nicht mehr aktiv in die Aufforstung einbringen; sie überlassen den Wald der Natur. Das führt aber dazu, dass sich dort, wo früher die Fichte wuchs, nun wieder die Fichte breitmacht. Das kann nicht das Ziel sein. Andere verkaufen ihre Flächen. Ich kann nur hoffen, dass die Käufer dann finanzkräftig und bereit sind, um den Wald wieder so aufzubauen, wie wir es uns wünschen.
Wird genug aufgeforstet?
Nein, da passiert noch zu wenig. Im vergangenen Jahr wurden kaum Fördergelder dafür abgerufen. Und das, obwohl die Kahlfläche in NRW auf 120.000 Hektar gewachsen ist.
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Wie kommt’s?
Einerseits müssen die passenden Pflanzen zur Verfügung stehen, andererseits muss die Witterung stimmen. Viele Waldbauern zögern aber wahrscheinlich auch, weil sie verunsichert sind und Angst haben, die falschen Entscheidungen zu treffen; wer weiß, wie lange die Bäume stehen bleiben. Anderen fehlen schlicht die finanziellen Mittel.
Also braucht es noch mehr Zuschüsse?
Am Ende spielt das Geld natürlich eine Rolle. Dass Mittel nicht abgerufen werden, kann aber auch ein Beleg für zu komplizierte Förderrichtlinien sein. Auch die Sorge, dass Geld zurückgezahlt werden muss, wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden können, spielt eine Rolle.
Das EU-Parlament hat eine Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten beschlossen. Toll, oder?
Wenn es um Südamerika geht, wo der Regenwald abgeholzt wird, auf jeden Fall. Aber jetzt sollen die Mitgliedsstaaten in der EU nachweisen, dass sie keine Entwaldung betreiben. Und zwar für jeden einzelnen Baum, der geschlagen wird. Das ist mit einem riesigen bürokratischen Aufwand verbunden. Außerdem haben wir in Deutschland Forstgesetze, die eine Waldwiederherstellungspflicht vorsehen. Wir sind einigermaßen schockiert.
Noch ein Streitthema: Heizen mit Holz.
Ja, Brüssel wollte ursprünglich das Verbrennen von Primärholz verbieten, ist aber zum Glück zur Einsicht gekommen. Allerdings sieht in Deutschland das Gebäudeenergiegesetz nun vor, dass in Neubauten keine Holz-, Pellet- oder Hackschnitzelheizungen mehr eingebaut werden dürfen und in bestehende Gebäude nur, wenn sie mit regenerativer Energie unterstützt werden. Das ist für mich absolut unverständlich, weil wir mit dem Holz nur so viel CO2 freisetzen, wie es vorher gebunden hat. Das ist ja genau das Prinzip der Nachhaltigkeit. Wenn ich das Holz nicht verbrenne, verrottet es. Und wenn ich es nicht in Wärme umwandele, brauche ich eine 100-prozentig klimafreundliche Alternative. Die sehe ich momentan nicht.
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Was unternehmen Sie?
Wir haben zunächst Bundesregierung und Parlament angeschrieben, eine Antwort liegt noch nicht vor. Ich bin mir ziemlich sicher, dass am Ende die Vernunft siegt. Sonst müsste ich an der Regierungsfähigkeit der Ampel-Koalition zweifeln.
Noch ein Gesetzesungetüm: Naturwiederherstellungsverordnung. Was stört sie daran?
Es handelt sich um eine europäische Regelung. Sie schreibt vor, dass bis zum Jahr 2030 20 Prozent der Land- und Meeresfläche wiederhergestellt werden sollen, bis zum Jahr 2050 sogar 90 Prozent. Da fragen wir uns: Wann ist Natur „wiederhergestellt“? Das ist nicht klar definiert. Zudem wird offenbar der Status der Natur vor 70 Jahren als Basis genommen. Das war erstens kurz nach dem Krieg, zweitens standen damals bei uns Bäume, die wir heute unter Klimaschutzaspekten hier nicht mehr haben wollen. Das kann doch nicht die Grundlage für eine zukunftsorientierte Naturwiederherstellung sein. Das macht uns großen Sorgen, zumal Naturwiederherstellung oft mit Nutzungsverboten gleichgesetzt wird.
Aber Naturwiederherstellung ist doch eine gute Sache.
Klar, die Ziele des Green Deal der Kommission unterschreiben wir. Aber: Land- und Forstwirtschaft bewirtschaften mehr als 70 Prozent der Fläche in Deutschland. Da ist ein Gesetzeshammer der falsche Weg. Das klappt nur über einen kooperativen Ansatz und über Anreize. Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel: Die zugrundeliegende Biodiversitätsstrategie der EU sieht vor, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche in Europa unter Schutz zu stellen, ein Drittel davon unter strengen Schutz mit dem Verbot jeglicher wirtschaftlicher Nutzung. Hinzu kommt: Bäume heimischer Arten, die älter sind als 120 Jahre, dürfen nicht mehr geschlagen werden. Dies alles würde bedeuten, wir müssten den Einschlag in unseren Wäldern um fast 50 Prozent reduzieren. Gleichzeitig fordert die Politik eine Holzbauinitiative. Und wo soll das Holz dann herkommen?