Arnsberg. Jäger und Förster eint oft die gegenseitige Abneigung: Doch weil die Zukunft des Waldes auf dem Spiel steht, reichen sie sich nun die Hände.

Auch zwischen denen, die sich jetzt die Hand reichen, wurden die Ressentiments durchaus erst gepflegt. In Billerbeck bei der Jahrestagung der Berufsjäger im vergangenen Jahr trafen die beiden erstmals aufeinander. Beim anschließenden Fototermin standen sie versehentlich nebeneinander. Nicole Heitzig, die Vorsitzende des Landesjagdverbandes NRW, blickte auf das Revers des Nachbarn. „Wald und Holz“ stand da. „Ich wollte mich erst woanders hinstellen“, sagt die Brilonerin und lacht.

Klimawandel – und die Frage nach der Zukunft des Waldes

Jäger und Förster – das meint man ja nicht unbedingt – sind sich im Wald nicht sehr wohlgesonnen. Sie verbindet eher gegenseitige Abneigung. Umso bemerkenswerter, dass sie nun den Schulterschluss suchen.

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Der Mann mit dem „Wald und Holz“-Schriftzug auf der Brust ist Thomas Kämmerling, seit dem vergangenen Jahr Leiter des Landesbetriebs. Der Hagener kann schnell und druckreif über den Wald reden. Die Worte wählt er mit Absicht drastisch. „Die Situation im Wald ist unfassbar, angespannter als je zuvor. Das sind historisch anmutende Zeiten“, sagt er über die Folgen des Klimawandels, die im Sauer- und Siegerland deutlich sichtbar sind.

NRW am stärksten betroffen: Risikostreuung ist gefragt

Der Borkenkäfer hat unzählige Hektar Fichtenwald dahingerafft. Kein anderes Bundesland, sagt Kämmerling, sei so stark betroffen wie NRW. Für die Zukunft so sehr auf die Fichte zu setzen wie in der Vergangenheit, wäre fahrlässig. Mischwald, sagt Kämmerling, sei das Gebot der Stunde. Auf den betroffenen Flächen werden daher auch fremdländische Bäume angepflanzt, in der Hoffnung, dass das trockener und wärmer werdende Klima sie nicht alle gleichermaßen ruiniert. Wie an der Börse: Risikostreuung. Problem: Das Wild empfindet die Knospen der jungen und exotischen Bäumchen als besonders schmackhaft – und ruiniert sie damit. An der Stelle kommen die Jäger ins Spiel.

Nach dem Foto damals in Billerbeck sagte Kämmerling zu Heitzig: „Ich glaube, wir sollten mal telefonieren.“ Mittlerweile sind sie sich ihres gemeinsamen Weges sicher. „Wir könnten weiterhin Feindbilder bedienen und uns gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfen. Aber das hilft niemandem“, sagt Kämmerling. Nicole Heitzig fügt an: „Spätere Generationen werden uns vielleicht einmal daran messen, wie wir jetzt handeln.“

Scharmützel verbieten sich in Anbetracht der Größe der Aufgabe

30 Prozent der NRW-Waldfläche befinde sich – weil frisch gepflanzt – in einer sensiblen Phase. Für Scharmützel sei in Anbetracht der Größe der Aufgabe kein Platz. Die Kontrahenten von einst blicken Seite an Seite auf die Zukunft des Waldes.

Was sich nicht auf den ersten Blick erschließt, ist folgender Widerspruch: Der Jäger hätte gern in dem von ihm für viel Geld gepachteten Revier reichlich Wild, damit die Besuche auf dem Hochsitz nicht allzu oft vergebens sind. Der Förster aber hätte gern weniger Wild im Wald, weil es junge Triebe frisst und die dringend benötigte Diversität des Waldes verhindert. Problem auch: Oft werden die männlichen Wildtiere lieber geschossen, weil die Hörner als Trophäen taugen. Um Populationen einzudämmen, müssten aber Ricken oder Kitze aus der Herde entnommen werden.

Intervall- und Schwerpunktjagden gefordert

Daher schwören die beiden Forst- und Jagdvertreter ihre Leute ab jetzt aufs Miteinander ein. Zeitenwende auch im Wald. „Auf Verbissprozente und die Wilddichte in absoluten Zahlen zu schauen, war jahrelang einfach falsch“, sagt Kämmerling. „Es geht einzig und allein darum: Wie sieht die Vegetation aus. Dort, wo viel Wild lebt, aber die Bäume in Ordnung sind, muss weniger erlegt werden als dort, wo wenig Wild großen Schaden anrichtet.“

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Beide sprechen sich für Intervall- und Schwerpunktjagden aus. „An jeder Kalamitätsfläche muss zukünftig mindestens eine jagdliche Einrichtung stehen“, sagt Kämmerling. „Und die Schussschneisen müssen beim Anlegen dieser Flächen gleich mitgedacht werden“, sagt Heitzig: „Dafür muss das Wild in anderen Ecken des Waldes Ruhezonen haben und äsen können, ohne bejagt zu werden.“ Ansonsten würden die Tiere scheu gemacht.

Besucherlenkungskonzept für den Wald?

Apropos Ruhe: Die fehlt dem Wild im bevölkerungsreichsten Bundesland ohnehin. „Manchmal – wenn ich zu Unzeiten im Wald bin – denke ich: Hier ist aber nun wirklich niemand. Und dann kommt doch wieder einer um die Ecke“, sagt Kämmerling.

Jogger, Mountainbiker, Wanderer, Pilzsammler, Jäger.

Heitzig weiß das – und sie sähe das gern anders. Ein nächtliches Waldbetretungsverbot hätte Vorteile, aber sie weiß auch, dass Verbote nie gut ankommen. Sie wünscht sich daher so etwas wie ein Besucherlenkungskonzept, „eine Sensibilisierung der Menschen, dass man den Wald nachts nicht betritt“, eine „verstärkte Rücksichtnahme der Gesellschaft“ und das Einhalten der Wegegebote.

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In Naturschutzzonen darf man die Wege nämlich nicht verlassen. Tun viele trotzdem. „Deswegen beschäftigen wir längst Ranger als Mittler zwischen Mensch und Natur. Diese sollen auf die Einhaltung des Wegegebotes achten. Wir setzen auf Aufklärung statt auf die Gesetzeskeule“, lehnt auch Kämmerling ein Waldbetretungsverbot ab.

Liste an konkreten Maßnahmen, um auch die Basis zu erreichen

Was noch ganz konkret getan werden soll? Die Jungjägerausbildung soll größeres Augenmerk auf den Forst legen. Um möglichst viele Jäger an die Flächen zu bekommen, die vom Borkenkäfer zerfressen wurden und neu aufgeforstet sind, will der Landesjagdverband zukünftig eine Jagdgelegenheitsvermittlung für Jungjäger einrichten, damit diese an den sogenannten Kalamitätsflächen ansitzen können.

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Zudem soll auch auf kleinster Ebene mehr Miteinander gelebt werden. „Uns schwebt vor, dass Förster und Pächter oder Waldbesitzer einmal, besser zweimal im Jahr gemeinsame Waldbegehungen machen“, sagt Kämmerling. Gelebte Praxis bisher: Der Förster begutachtet die Flächen allein und schickt einen Bericht per Post.

Nicole Heitzig und Thomas Kämmerling wissen, dass sie sich keiner leichten Aufgabe verschrieben haben. So problemfrei die Beziehungen derzeit ganz oben sind, so verhärtet sind die Fronten oft an der Basis, vor Ort im Wald. Da seien noch dicke Bretter zu bohren, sagen die beiden. Auf beiden Seiten gäbe es schwarze Schafe. „Aber die Herausforderungen im Wald sind so groß, dass wir es nur alle gemeinsam schaffen werden“, wirbt Kämmerling fürs Miteinander: „Wir brauchen jede Kraft.“