Lüdenscheid. Das Verkehrsministerium plant, den Neubau in Lüdenscheid umzubenennen. Die Bürger sollen beteiligt werden – doch es gibt Widerstand.

An dem Tag ging die Nachricht etwas unter. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte sie ins Sauerland mitgebracht, aber das interessierte kaum jemanden Anfang Oktober 2023, als der FDP-Politiker den ersten Hammerschlag zum Neubau der Talbrücke Rahmede in Lüdenscheid machte. Das war ja alles aufregend genug. Endlich Fortschritt, endlich Aufbruch.

Im Laufe des Jahres 2024: Aufruf zum Wettbewerb um neuen Namen

Aber gesagt hat er es trotzdem: dass ein neuer Name für die einst einsturzgefährdete und bereits abgerissene Brücke der Autobahn 45 gesucht wird, dass es dazu in 2024 einen Aufruf an die Bürger geben werde, damit Vorschläge eingereicht werden können. Er hat das auch noch spezifiziert: „Ich würde mich freuen, wenn wir einen Namen finden, der für Fortschritt und Zukunft steht.“

Fortschritt?

Zukunft?

Hoffnungsbrücke? Lichtblickbrücke? Noch besser: Triumphbrücke? Nein, das wagt keiner. Vielleicht doch besser einfach: Rahmedetalbrücke?

Emotionale Debatte – und Widerstand

Es ist eine durchaus emotionale Debatte, die Wissings Plan in Lüdenscheid losgetreten hat – in Lüdenscheid, aber auch darüber hinaus, weil mit dem Bauwerk unter seinem jetzigen Namen etwas verbunden wird. Es ist als suchte man einen Namen für ein Neugeborenes.

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Die Bürger-Initiative A45, die zuletzt für ihr Engagement von Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (SPD) ausgezeichnet wurde, bezieht klar Stellung. „Wir sind geschlossen der Meinung, dass die Rahmedetalbrücke nicht umbenannt werden darf“, sagt Sprecher Heiko Schürfeld, „der Name Rahmedetalbrücke steht sinnbildlich für das Versagen der Politik, dringend benötigte Sanierungen der maroden Infrastruktur in ganz Deutschland versäumt zu haben.“

Mit einem neuen Namen soll vom Versagen der Politik abgelenkt werden.
Heiko Schürfeld, Sprecher der Bürger-Initiative A45

Die Folgen seien katastrophal: Stillstand bei Projekten, Jobverlust, enorme wirtschaftliche und ökonomische sowie gesundheitliche Schäden, nicht nur in Lüdenscheid, sondern auch in den umliegenden Gebieten. „Mit einem neuen Namen soll hier von diesem Versagen abgelenkt werden“, sagt Schürfeld und formuliert in einer frischen Pressemitteilung: „Wie tragische Kriegsereignisse und Naturkatastrophen dürfen diese Fakten niemals in Vergessenheit geraten. Man muss sich an das Leid der Menschen und die rezessive Entwicklung einer gesamten Wirtschaftsregion auch noch in künftigen Generationen erinnern können.“

Darüber hinaus rief die Bürger-Initiative auf Facebook zu einer Abstimmung auf. Ergebnis: Über 90 Prozent der 400 Antworten sprachen sich für den Erhalt des Namens aus. Klares Votum, wie man meinen könnte. Die Bürger-Initiative hat das Thema Namen in ihre Agenda aufgenommen und will in Kontakt mit Wissing treten. „Das Thema ist uns sehr wichtig“, sagt Schürfeld.

Wenn Herr Wissing schlecht schlafen kann, weil ihn der Name verfolgt, dann ist das sein Problem.
Frank Pütz, Anwohner in Wurfweite der alten und neuen Brücke

Frank Pütz ist die Frage eher nicht so wichtig. Geografisch ist ihm die Brücke sehr nah, sie steht in Wurfweite seines Hauses. Die Sprengung kippte auf seinem Grundstück 38 Bäume um. „Das ist mir doch egal“, sagt er erst, ehe er doch findet: „Die Brücke steht im Rahmedetal. Welchen anderen Namen soll die denn bekommen? So ein Quatsch! Wenn Herr Wissing schlecht schlafen kann, weil ihn der Name verfolgt, dann ist das sein Problem.“

Ein neuer Name als Symbol für den Aufbruch

Tim Paulsen wohnt in Schalksmühle und arbeitet in Halver – er könnte die Debatten an sich vorüberziehen lassen, aber er spricht sich für einen neuen Namen aus, „weil ich denke, dass die Region und allen voran die Lüdenscheider es verdient haben, nicht mehr bei jeder Erwähnung und Überquerung der Brücke direkt an diese ekelhafte Zeit erinnert zu werden. Ein neuer Name könnte hier vielmehr symbolisch für einen Neustart der Region stehen, dessen Euphorie dann vielleicht auch auf andere Bereiche, die es nötig haben, umschwappen könnte.“

Ich finde die Idee gar nicht schlecht. Das hat eine gewisse Symbolkraft. Warum nicht mit dem Alten abschließen und sich Gedanken über Neues machen?
Sebastian Wagemeyer, Bürgermeister von Lüdenscheid

Alles auf Null. Paulsen sagt, dass er jeden verstehe, der sagt, dass der Name bleiben soll, damit die Verantwortlichen stets mit dem Ungemach in Verbindung bleiben. „Aber diese negative Herangehensweise sollte man spätestens bei der Öffnung der Fahrbahnen wieder hinter sich lassen, da wir ja nun auch speziell bei dieser Brücke gemerkt haben, wie viel Arroganz, Ignoranz und Feigheit uns entgegenschlagen. Es wird den Verantwortlichen herzlich egal sein, solange sie ihre Ämter quasi konsequenzlos aussitzen können.“

Mehrstufiger Wettbewerb

Sebastian Wagemeyer (SPD) ist Bürgermeister der Stadt Lüdenscheid und überdies Bürgerbeauftragter des Neubaus. Das dafür eingerichtete Büro wird den Prozess der Namensgebung eng begleiten, in dem es die Vorschläge sammelt und veröffentlicht. „Schon rund um den Sprengtermin hatten mich Bürger auf einen neuen Namen angesprochen. Ich finde die Idee gar nicht schlecht. Das hat eine gewisse Symbolkraft. Warum nicht mit dem Alten abschließen und sich Gedanken über Neues machen? Ich weiß nicht, was man dagegen haben könnte, wenn die Bürger in diesen Prozess auch noch einbezogen werden.“

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Der Aufruf soll im Laufe des Jahres erfolgen, wie das Bundesverkehrsministerium auf Nachfrage mitteilt. Minister Wissing habe beim Sprengtermin eine entsprechende Anregung von Bürgern aufgegriffen. „Hierfür wird das Büro des Bürgerbeauftragten in diesem Jahr einen entsprechenden Aufruf für einen mehrstufigen Wettbewerb starten“, erklärt das Ministerium. Mehrstufiger Wettbewerb. Klingt nach einem großen Finale, an dessen Ende das Baby einen Namen hat, einen neuen. Wann der Wettbewerb beginnt? Wenn erkennbar ist, dass im Rahmedetal eine neue Brücke entsteht, heißt es aus dem Büro des Bürgerbeauftragten. Mutmaßlich heißt das: Wenn die Pfeiler schon ein Stück in die Höhe gewachsen sind.

Die Frage, wie es mit möglichem Widerstand gegen die Pläne umgehen werde, lässt das Ministerium unbeantwortet.

Neuer Name?

Der offizielle Start des Namensgebungswettbewerbs steht noch aus, aber dem kreativen Prozess wollen wir nicht im Wege stehen. Daher fragen wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, zweierlei. Erstens: Wie finden Sie die Idee, der Rahmedetalbrücke einen neuen Namen zu verleihen? Zweitens: Welcher neue Name für die Brücke kommt Ihnen in den Sinn? Wir freuen uns über ernst gemeinte Vorschläge – und auch solche, die mit einem Augenzwinkern zu verstehen sind.

Schicken Sie Ihre Meinung und Vorschläge per Mail an region@westfalenpost.de oder per Post an:
WESTFALENPOST
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