Lüdenscheid/Düsseldorf. Mehr als 100.000 Dateien hat die Landesregierung dem U-Ausschuss „Brückendesaster“ übermittelt. Lesen kann er sie jedoch nicht alle.

Über Akten wird im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) „Brückendesaster und Infrastrukturstau“ schon lange gestritten. Eigentlich, seitdem er existiert. Zuerst kritisierte die Opposition, die den Ausschuss nach der Sperrung der Autobahn 45 durchsetzte, dass die Landesregierung Akten zu zögerlich liefere und damit die Aufklärungsarbeit behindere. Und nun gibt es irgendwie zu viele Akten - zumindest zu viele technisch nicht lesbare.

Etwa hunderttausend Dateien seien bereits angeliefert worden, heißt es aus dem PUA. Das seien mehr als bei allen fünf Untersuchungsausschüssen der vergangenen Legislaturperiode zusammen. Das Problem: Nur etwa die Hälfte dieses Datenwusts kann mit einer automatischen Texterkennung untersucht werden. Das sei aber Voraussetzung für eine sinnvolle Auswertung, sagt die Opposition. Denn sie möchte alle Daten nach Schlüsselwörtern unter die Lupe nehmen. Das Wort „Wüst“ dürfte dabei die Hauptrolle spielen, denn SPD und FDP im NRW-Landtag mutmaßen ja, dass der jetzige Ministerpräsident und damalige Verkehrsminister eine Mitverantwortung für das Brückendesaster in Lüdenscheid trägt.

Regierung sagt: Alles geliefert

Die Regierungsparteien sind sich indes keiner Schuld bewusst. Die Daten seien geliefert worden, dass der PUA nicht alle so auswerten könne wie er wolle, sei sein Problem. Und dass die Akten so umfangreich seien, hänge damit zusammen, dass der Untersuchungsauftrag viel zu weit gefasst sei. Schließlich geht es im Ausschuss nicht nur um die Rahmedetalbrücke, sondern auch um andere bröckelnde Straßenbauwerke im Verkehrswesen. Und es geht nicht nur um die Vergangenheit: Weitere Brücken könnten - je nach Zustand - dazukommen. Zudem ist der Wissensdurst der Opposition ziemlich groß: Man hat sämtliche Kabinettsunterlagen, Drucksachen, Rechtsgutachten, Berichte, Schriftstücke, interne Gesprächsvermerke, Akten, Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherte Daten und sonstige sächliche Beweismittel angefordert.

Und nun? Und nun steht tatsächlich der Vorschlag im Raum, die nicht lesbaren Akten auszudrucken und neu einzuscannen, damit sich die Software automatisiert auf Spurensuche begeben kann. Wohlgemerkt: Es handelt sich um LKW-füllende Mengen. Alternative: Ein Team würde die digitalen Akten öffnen und konvertieren. Das berichtete der „Kölner Stadtanzeiger“ und wurde dieser Redaktion aus dem PUA bestätigt. Dafür müssten allerdings Mitarbeiter eingestellt werden, die Rede ist von zehn. Auf Kosten der Steuerzahler. Was auf die zukommt ist unklar, denn niemand weiß, wie viele Anhänge die einzelnen Dateien aufweisen und ob sich dahinter nicht erneut unzählige Seiten verbergen.

Der Lüdenscheider SPD-Landtagsabgeordnete Gordan Dudas, Sprecher seiner Partei im Ausschuss, sagte dem „Kölner Stadtanzeiger“: „Die sächlichen Beweismittel sind durch die jeweils betroffene Behörde so zu liefern, dass sie technisch durchsuchbar sind. Wir werden uns das nicht mehr lange anschauen und erwägen daher auch Rechtsmittel einzulegen.“ Vertreter von SPD und FDP monieren, dass der Ausschuss bisher kaum inhaltlich habe arbeiten können, weil Akten nicht zur Verfügung stünden. Schwarz-Grün widerspricht. Schließlich seien die ersten Zeugen schon vernommen worden.

Weitere Unbekannte: Volker Wissing

Aber es gibt eine weitere Unbekannte: Dass Volker Wissing (FDP) bisher zu viele Akten geliefert hätte, kann man dem Bundesverkehrsminister nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Wissing verhalte sich nicht gerade kooperativ, heißt es im Ausschuss. Die wenigen Unterlagen, die er bisher nach Düsseldorf übermittelt habe, könne man kaum gebrauchen. Da müsse mehr kommen. Die seit 2021 für die Brücken zuständige Autobahn GmbH ist Wissing unterstellt. Am 20. November soll sich das Ministerium dazu in Düsseldorf äußern. Dass der Amtschef persönlich erscheint, ist allerdings kaum anzunehmen. Allerdings: Kommt anschließend mehr aus Berlin, muss auch mehr analysiert werden.

In nichtöffentlicher Sitzung hörte der Ausschuss am Freitag Vertreter des Oberlandesgerichts Köln und von IT-NRW zum Thema Datenauswertung. Was er dort unter anderem erfuhr: Sollten die Dateien tatsächlich von Menschenhand konvertiert werden müssen, müssten die Mitarbeiter alle zwei Stunden ausgewechselt werden, erklärten Teilnehmer dieser Redaktion. Eine so eintönige und gleichzeitig anspruchsvolle Arbeit könne man nicht länger aushalten.
Nun, so berichten Teilnehmer, soll bei einem Termin mit IT-NRW geklärt werden, ob dem Dienstleister des Landes NRW eine schlaue Lösung einfällt, um die Daten lesbar zu machen und aufwendige Kopfarbeit zu verhindern. Bezahlt werden muss diese Leistung selbstverständlich trotzdem. Für den Brücken-PUA wurden bisher Kosten in Höhe von einer Million Euro veranschlagt - pro Jahr. Vielleicht muss das nun neu berechnet werden.

Mehr zum Thema