Lüdenscheid. Fast vier Monate nach der Sprengung und einen Monat vor dem Beginn des Neubaus herrscht bei Anwohnern Unmut über das Vorgehen der Autobahn GmbH.

Das scheppernde Geräusch dröhnt durch das halbe Tal. Zwei Raupen schieben die Erde den Hang hinunter, drei Bagger verarbeiten sie weiter und beladen die Lkw, die fast im Minutentakt vorfahren: 80 Sattelschlepper, die immer wieder Lüdenscheid ansteuern und Erde abtransportieren. Die erste Kelle ist die lauteste. Kladuuusch!

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Das ist das scheppernde Geräusch an diesem Morgen an einer der bekanntesten Baustellen Deutschlands, wo einst die Talbrücke Rahmede der Autobahn 45 stand. In einem Monat, Anfang Oktober, soll es hier mit den Arbeiten erst richtig losgehen. Wie ist die Stimmung im Tal fast vier Monate nach der Sprengung und kurz vor dem Beginn des Neubaus? Antwort: von Fatalismus geprägt.

„Wir haben keine Ahnung, was auf uns zukommt“, sagt Annette Stange, die mit ihrem Mann und dem 15-jährigen Sohn „Im ­Wiesental“ wohnt: eine kleine Straße im Ortsteil Eggenscheid, nah am Wald, nah an der früheren Brücke. Vielleicht 30 Meter entfernt von ihrem Haus quälen sich die schweren Maschinen über den Nordhang. „Aber wir bleiben positiv“, sagt sie.

Ortsteil Eggenscheid abgeschnitten

Das ist gar nicht immer so leicht, denn ihre Straße führt hinunter auf die Altenaer Straße, eine wichtige Verbindungsachse in der Stadt, die unter der Brücke herführt. Doch wegen der Bauarbeiten dort ist das Wiesental seit März eine Sackgasse: noch immer kommt kein Auto und kein Fußgänger durch.

Ein Problem: Denn ihr Sohn würde dort in den Bus zur Schule einsteigen. Das Wiesental selbst ist zu eng und schmal für einen Linienbus. Shuttlebusse hat die Stadt zwar, aber keine Fahrer, wie sie einst einräumen musste, als ihr auffiel, dass die Menschen, die in Eggenscheid wohnen und auf den Bus angewiesen sind, vor einer echten Herausforderung stehen. Ende vom Lied: Annette Stange musste mit ihrem Arbeitgeber aushandeln, dass sie morgens zwei Stunden später zur Arbeit kommt, um ihren Jungen zur Schule zu bringen, damit der nicht stundenlang unterwegs ist.

Die Stanges sind ja nicht die einzigen. In der Nachbarschaft wohne eine Dame, für die der Weg zur nächsten Bushaltestelle auch eine Zumutung sei, sagt Annette Stange. Einen guten Kilometer geht es den Berg hinauf – ohne befestigten Gehweg. 200 Euro habe die Dame im vergangenen Monat an Mehrausgaben gehabt, weil sie zum Teil mit dem Taxi hätte fahren müssen.

Anwohner erhalten Entschädigungen für Baulärm

Annette Stange ist keine Nörglerin. Sie sagt, dass es am Wochenende schön ruhig sei, weil die Bagger dann meistens ruhen und keine Autos mehr durch ihre Straße fahren. Sie sagt, dass das sicher schwierig sei für die Autobahn GmbH und die Stadt, an alle und alles zu denken. Aber sie sagt auch, dass sie das mit dem Lärm ärgert.

Denn der ist da. Oft von 7 bis 20 Uhr. Ein Mikrofon ist an ihrem Haus und bei den Nachbarn angebracht worden, das den Geräuschpegel misst. Überschreitet der Baustellenlärm 65 Dezibel, erhalten die Anwohner Ausgleichszahlungen in Höhe der Kosten einer Übernachtung in einem Hotel in der Region. Hinzu kommt eine Verpflegungspauschale. Für etwa 40 Haushalte gilt diese Regelung. Der Haken: Es handelt sich um einen Mittelungspegel. Belastungsspitzen können über den Tag durch ruhigere Phasen wieder ausgeglichen werden. Dann war es womöglich trotzdem den halben Tag lang laut – aber Geld gibt’s keines.

Schnelle und unbürokratische Hilfe?

Immerhin das drängendste Problem könnte sich bald erledigen: Ab dem 18. September soll der Weg für Fußgänger zur Altenaer Straße wieder frei sein. Das macht das Leben der Familie Stange wieder viel leichter. Annette Stange hat die Neuigkeiten den lokalen Medien entnommen. „Wir erfahren das, wenn es ganz Lüdenscheid auch erfährt.“

Einen Steinwurf entfernt, fast direkt unter der ehemaligen Brücke, steht das Haus von Frank Pütz. Über den Zustand der Verärgerung ist er schon hinweg. Er trägt die Sache jetzt eher mit Humor. „Wenn ich daran denke, was uns vor der Sprengung erzählt worden ist, könnte ich mich abrollen vor Lachen“, sagt er. Mit Schäden an seinem Haus und Grundstück sei eher nicht zu rechnen, hätten die Vertreter der Autobahn GmbH Westfalen gesagt, als es um die Sprengung der Brücke ging. „Und wenn doch, sagten sie, werde das alles schnell und unbürokratisch geregelt.“

38 Bäume durch die Druckwelle der Sprengung umgekippt

Zweifel daran sind im Rahmedetal fast vier Monate nach der Sprengung kein Einzelfall. Frank Pütz hat zumindest nicht den Eindruck, dass sich sonderlich schnell und entschlossen um alle seine Schäden gekümmert wird. Er beklagt in Mitleidenschaft gezogene Fenster und Türen an seinem Haus, einen beschädigten Gartenschuppen, durch dessen Holz umherfliegende Teile geschossen sind. Alles sicher kein Weltuntergang, aber trotzdem ärgerlich, sagt er – und bis heute nicht repariert.

Frank Pütz lehnt sich gegen einen der letzten Bäume auf dem Hang seines Grundstücks. Am Tag der Sprengung waren die anderen durch die Druckwelle umgekippt.
Frank Pütz lehnt sich gegen einen der letzten Bäume auf dem Hang seines Grundstücks. Am Tag der Sprengung waren die anderen durch die Druckwelle umgekippt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Aber das Schlimmste sind die 38 Bäume, darunter welche, die wahrscheinlich bis zu 100 Jahre alt waren“, sagt er. Eichen, Buchen - von der Druckwelle geknickt oder umgekippt. Die Bäume standen da auf dem Hang wie eine grüne Wand zwischen seinem Haus und der viel befahrenen Landstraße 530 (Altenaer Straße) unterhalb, auf die er nun unfreiwillig freie Sicht hat – und die er nun auch viel besser hört als ihm lieb ist.

Kein Ersatz, keine Kommunikation: Anwalt eingeschaltet

Mehr, Lärm, mehr Dreck, weniger Idylle seit der Sprengung. Und bis wann? Er weiß es nicht, denn eine Lösung hat man ihm noch nicht präsentiert. „Um es klar zu sagen: Ich will hier den Zustand wieder haben wie eine Minute vor der Sprengung. Dass das unmöglich ist, weiß ich. Aber Fakt ist auch, dass es Lösungen braucht. Durch die Sprengung ist hier viel zerstört worden und ich kann absolut nichts dafür“, sagt Pütz, der betont, dass nicht alles schlecht gelaufen sei.

Umherfliegende Teile hatten auch sein Dach demoliert. Der Schaden in Höhe von ca. 12.000 Euro sei umgehend aufgenommen und behoben worden. Weil er aber zu den anderen gutachterlich erfassten Schäden auch auf Nachfrage nichts mehr hörte, hat er zuletzt einen Anwalt eingeschaltet.

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Mindestens eine weitere Partei im Rahmedetal hat jetzt ebenfalls einen Anwalt beauftragt, weil Schäden, die durch die Sprengung entstanden sein sollen, nicht reguliert werden. Bei einer anderen Familie, die beschädigte Fenster beklagte, hat sich die Autobahn GmbH während der Recherche zum Thema gemeldet. Der Fall soll daher nicht mehr in der Öffentlichkeit geschildert werden.

Kurios: Auch Frank Pütz erhielt nach der Nachfrage dieser Redaktion bei der Autobahn GmbH und kurz vor Erscheinen dieses Artikels einen Anruf von der Versicherung: Die Maßnahmen könnten bald starten, hieß es. Wann welche Schäden wie behoben werden, weiß er trotzdem noch nicht.

Langsam, scheinbar widerwillig

Es besteht aber durchaus Irritation und Unmut darüber, dass Schäden, die entstanden sind, nur langsam oder scheinbar widerwillig behoben werden. Warum dauert das so lange? Warum hören wir nichts mehr? Fragen, die die Bürger stellen. Sechs Fragen haben wir der Autobahn GmbH Westfalen zur Beantwortung gesendet – am 11. August.

Die Antwort kommt 17 Tage später und ist eher karg. „Die Summe der Schäden lässt sich derzeit noch nicht beziffern, da noch nicht alle Schadensmeldungen bis zum Abschluss bearbeitet sind“, heißt es da. Die Versicherung des Auftragnehmers, die Firma Heitkamp aus Herne, sei für die Regulierung der Schäden zuständig. „Die Autobahn Westfalen ist mit den betroffenen Anliegern in Kontakt und unterstützt, wenn es zu Fragen oder Verzögerungen kommt“, teilt die Behörde mit. Nicht alle betroffenen Anwohner dürften dieses Gefühl vollumfänglich teilen.