Mülheim. Beim Deutschen Lehrkräftepreis hat eine Mülheimerin abgesahnt: Andrea Kocks vom Steigerweg stand auf dem Treppchen. Wofür ihr Team sie liebt.
Den 14. September 2022 vergisst Andrea Kocks nicht. Als sich die Leiterin der Grundschule am Steigerweg morgens im üblichen Trott aufmachte zur Konferenz im Lehrerzimmer, war sie irritiert: „Der Hausmeister schlich komisch im Flur rum. Und als ich reinkam, standen alle Kolleginnen und Kollegen auf.“ Dabei gab’s doch gar nichts zu feiern. Dann die Riesenüberraschung: Das Team hatte alles eingestielt, um die Mülheimerin für den Deutschen Lehrkräftepreis vorzuschlagen. Zu Recht, wie sich am Montagmittag zeigte: Die 51-Jährige heimste in Berlin den zweiten Platz in der Kategorie „Vorbildliche Schulleitung“ ein.
Im Moment des Triumphes war sie nicht allein. Die Kollegen waren mitgereist in die Hauptstadt. Und hatten am Wochenende schon das klassische Programm absolviert, Mauerreste inspiziert, die Spree mit dem Bötchen befahren. Doch immer wieder drehte sich alles um die eine Frage: Wie geht das Abenteuer aus? „Ich wusste nur, dass ich unter den ersten drei Nominierten bin.“
Mülheimer Schulleiterin war von der Nominierung total überrascht: „Ich war sprachlos“
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Und schon das war eine Riesensache. Als die Kollegen ihr den Plan offenbart hatten und das umgedichtete „Lied für Andrea“ zur „We will rock you“-Melodie vortrugen, „da war ich sprachlos und hatte Gänsehaut am ganzen Körper“. Nie im Leben, sagt Andrea Kocks, habe sie mit einer Nominierung gerechnet, „und schon gar nicht so kurz nach Corona“. Sie habe sich damals eher unwohl in ihrer Haut gefühlt: „Ich hatte den Eindruck, dass ich oft kurz ab bin und mich viel zu oft im Büro verkrieche.“
Das Kollegium, allen voran Initiatorin Lea Paßreiter, sah das anders und erzählte an diesem besonderen Tag frank und frei, wieso Kocks vorbildlich ist. Für die Bewerbung hatten das Team und andere Wegbegleiter sachliche, aber auch sehr persönliche Argumente zusammengetragen. Und ein Video mit begeisterten Statements gedreht. Das Lob nonstop war kaum auszuhalten: „Ich konnte mir das nicht am Stück ansehen.“ Für Kocks war klar: „Selbst wenn ich nicht weiterkomme: Allein die Bestätigung aus dem Team lässt mich wachsen.“ Sie sei damals „wie auf Wolken gegangen“.
„Die Schlagwörter Herz, Verstand und Humor treffen zu 100 Prozent auf sie zu“
„Die Schlagwörter Herz, Verstand und Humor treffen auf sie zu 100 Prozent zu“, hieß es unter anderem in den Unterlagen für den vom Deutschen Philologenverband und der Heraeus Bildungsstiftung organisierten Wettbewerb. „Sie hat immer ein offenes Ohr für alle Probleme, findet immer eine Lösung.“ Kocks schaffe es, „trotz ihrer Nähe eine echte Führungsperson“ zu sein, das Team zu lenken, voranzutreiben. Von „unvergleichlich toller Arbeitsatmosphäre“ war die Rede, von Beteiligung, Wertschätzung, Transparenz, Empathie, Innovation ...
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Das Material überzeugte die Jury, am 13. Februar ging am Steigerweg die Mail ein mit der Info: Kocks wird auf dem Treppchen stehen. „Als ich das gelesen habe, habe ich vor Freude geschrien.“ Und ihr Team skandierte kurz darauf im Lehrerzimmer die alte Fußballhymne: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin …“
Schüler und Eltern organisierten Demo, damit Kocks ihre Lehrerin bleiben konnte
Kocks ist Ur-Mülheimerin: Sie ging zur Lierbergschule, zum Otto Pankok-Gymnasium, dann zum Studium nach Essen. „Die Arbeit mit Kindern ist mein Weg“, wusste die 51-Jährige früh. Als Referendarin war sie am Blötter Weg. Und als junge Lehrerin zunächst vertretungsweise an der Trooststraße. Weil Kocks die ihr anvertraute vierte Klasse schon nach Monaten wieder verlassen sollte, machten Eltern und Kinder Rabatz: „Sie haben eine Demo zum Schulamt organisiert.“ Die Lehrerin durfte bleiben.
Dass Einmischen Erfolg bringen kann, weiß die Schulleiterin von Hause aus: Kocks ist die Tochter von Mülheims ehemaliger Bürgermeisterin Renate aus der Beek. Dass man sich für die Gesellschaft engagiert, ist normal. Und so war sie einst „die jüngste Presbyterin im Rheinland“, ist bis heute „fest verankert“ in der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde. Ihr Ehemann, Mathias Kocks, ist ebenfalls Kommunalpolitiker, sitzt im Bildungsausschuss und ist stellvertretender Leiter der Willy-Brandt-Schule. Andrea Kocks beschreibt sich als „vernetzt hoch zehn“.
„Ich will zurück in mein Mülheim. Und zwar am liebsten in die Leitung einer Schule“
Auch als sie vorübergehend in Gronau eine Stelle hatte, wusste sie: „Ich will zurück in mein Mülheim. Und zwar am liebsten in die Leitung einer Schule.“ Nach der Geburt ihrer Zwillingsmädchen 2001 blieb sie drei Jahre zu Hause, startete dann wieder durch: an der Pestalozzischule in Broich. Dort übernahm sie bald erste Leitungsaufgaben, war irgendwann Konrektorin. 2016 schließlich wurde sie Chefin am Steigerweg.
Organisieren, Probleme lösen, Schule weiterentwickeln, all das mag sie. Das Leitbild „Miteinander leben – gemeinsam lernen“ passe hervorragend zu ihr, den 47 Mitarbeitern und den 316 Kindern. „Für mich heißt Schule leiten, das ganze System zu sehen, mit allen Menschen, die dazugehören. Wir verbringen so viel Lebenszeit miteinander, da ist es wichtig, dass wir uns alle wohlfühlen.“