Mülheim. Sie erwuchs aus einem Brennpunkt: Die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim hat jetzt altersübergreifende Klassen. Deutscher Schulpreis winkt.

Egal, was jetzt noch passiert, eines kann der Grundschule am Dichterviertel keiner mehr nehmen: Schon jetzt zählt die Schule in Eppinghofen zu den 20 besten Schulen Deutschlands, ist in diesem Jahr im Rennen um den Titel für den Deutschen Schulpreis. Wem das jetzt bekannt vorkommt, täuscht sich nicht – 2021 wurde die Grundschule für ihr zukunftsweisendes Konzept im Umgang mit der Corona-Pandemie ausgezeichnet. Der Unterschied: In diesem Jahr steht die Unterrichtsqualität im Fokus und hier hat die Grundschule am Dichterviertel ein besonderes Konzept vorzuweisen. In den Klassen, die tierische Namen wie Igel, Bär und Pinguin tragen, lernen Kinder allen Alters zusammen.

Erstklässler treffen gleichermaßen auf Viert- wie Dritt- und Zweitklässler. Wie das funktioniert? „Richtig gut“, „das macht viel mehr Spaß“, „ganz einfach“, „ist doch egal, wer wie alt ist“, schnattern Ben, Helena, Viktoria und Noah die Antwort auf die Frage in den Raum. Von Schüchternheit fehlt jede Spur, freimütig erzählen die vier, die an einer anderen Schule den Klassen 3 und 4 zuzuordnen wären, von ihrem Alltag. Seit diesem Schuljahr erst sind an der Grundschule die klassischen, nach Alter getrennten Klassenformen abgeschafft und durch altersübergreifende Klassen ersetzt worden. Teil des alternativen – und offenbar auch qualitativ hochwertigen – Unterrichtskonzepts, ist die Schule in Eppinghofen unter den Top 20 des Deutschen Schulpreises.

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Sie gehören zu den „Großen“ der Grundschule am Dichterviertel (v.l.): Helena,Viktoria (vorne), Ben und Noah.
Sie gehören zu den „Großen“ der Grundschule am Dichterviertel (v.l.): Helena,Viktoria (vorne), Ben und Noah. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Dabei war das vor etwa zehn Jahren noch gar nicht abzusehen, im Gegenteil. Bei damals rund 115 Kindern galt die Grundschule als Brennpunkt-Standort und stand kurz vor der Schließung. „Heute haben wir 236 Kinder hier“, berichtet Schulleiterin Nicola Küppers (53). Wie ist dieser Wandel gelungen, was macht die Grundschule am Dichterviertel zu dem, was sie heute ist?

Mülheimer Grundschule will Bildungsungerechtigkeit verhindern

„Uns geht es vor allem um das ‘Why’, das ‘Wieso’“, sagt Nicola Küppers. „Potenzialentfaltung für alle ist unser übergeordnetes Ziel, Bildungsbenachteiligung wollen wir eliminieren.“ Feedback-Kultur sei fester Anker in der Unterrichtsstruktur – „sowohl im Kollegium als auch unter den Kindern“. Regelmäßig bewerteten die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig, etwa, was ihre Arbeitsweisen angeht. „Wir wollen die Kinder bestärken. Darin, sich das zu nehmen, was sie wollen und brauchen, und sich selbstständig zu bilden“, erklärt Konrektorin Jana Groß (37).

Nicola Küppers ist seit 2013 Schulleiterin der Grundschule am Dichterviertel.
Nicola Küppers ist seit 2013 Schulleiterin der Grundschule am Dichterviertel. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Und das scheint zu funktionieren, hört man dem zu, was die Jury-Mitglieder berichten, die die Grundschule am Dichterviertel anderthalb Tage besuchen, um einen Eindruck von der Arbeit vor Ort zu gewinnen und eine Bewertung für die Teilnahme am Deutschen Schulpreis 2023 vorzunehmen. „Die Kinder hier sind unheimlich stark und selbstbewusst, das ist mir sofort aufgefallen“, sagt Jurorin Maike Drewes. Sie leitet die Erich Kästner Schule Hamburg, 2014 mit dem Preis ausgezeichnet. „Jedes Kind kann sich hier voll und ganz so entwickeln, wie es das braucht.“

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Grundschule am Dichterviertel Mülheim: „Ungeheure Methodenvielfalt“

Wohl auf die „ungeheure Methoden-Vielfalt“ zurückzuführen, die Jurorin Karin Oechslein als ehemalige Direktorin des Bayerischen Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung der Grundschule am Dichterviertel attestiert. „Es gibt für jedes Momentum ein Format, das gibt den Kindern einen Rahmen für ihre Entwicklung.“ Dabei hören die außerordentlichen Strukturen nicht in der Schülerschaft auf. „Das Kollegium verordnet sich einem Prozess und begibt sich didaktisch in eine ungeheure Tiefe“, sagt Juror und Bildungsforscher Thomas Häcker.

Sie bewerten die Grundschule am Dichterviertel im diesjährigen Deutschen Schulpreis (v.l.): Andrea Preußker (Robert Bosch Stiftung), Simon Moses Schleimer (Robert Bosch Stiftung), Karin Oechslein, Thomas Häcker und Maike Drewes.
Sie bewerten die Grundschule am Dichterviertel im diesjährigen Deutschen Schulpreis (v.l.): Andrea Preußker (Robert Bosch Stiftung), Simon Moses Schleimer (Robert Bosch Stiftung), Karin Oechslein, Thomas Häcker und Maike Drewes. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Mitte Juni wird verkündet, ob die Grundschule am Dichterviertel unter den bis zu 15 nominierten der diesjährigen Auszeichnung ist, im Oktober wird bei einer Preisverleihung in Berlin verkündet, welche die sechs Preisträgerschulen sind. Für eine Schule gibt es den Hauptpreis, er ist mit 100.000 Euro dotiert. Alle Preisträgerschulen werden Teil des Preisträgernetzwerkes, dort ist die Grundschule am Dichterviertel seit 2021 bereits Mitglied – doch damit soll nicht Schluss sein. „Wir sind stolz auf unsere Arbeit und wissen, was wir hier leisten“, sagt Nicola Küppers. „Die Teilnahme am Auswahlverfahren ist für uns ein Gewinn, egal, wie es ausgeht.“

Oder um es mit den Worten von Ben, Helena, Viktoria und Noah zu sagen: „Wäre schon cool, wenn wir gewinnen“, „unsere Schule ist die Beste“, „hoffentlich klappt das“, „ich kenne keine andere Schule, die so ist“.