Mülheim. Einst dachten sie: In Mülheim lässt es sich gut leben. Nun sind sie ernüchtert. Drei Mütter kritisieren die Vergabeverfahren für die Schulplätze.

Anklagen wollen sie niemanden, das betonen sie mehrfach. Aber doch mal loswerden, was ihnen und ihren Bekannten vor Jahren bei der Suche nach einem Kita- und jetzt nach einem Schulplatz für ihre Kinder widerfahren ist: Drei Frauen, allesamt berufstätig, hadern mit der Art und Weise, wie Mülheim seine Vergabeverfahren organisiert. Sie verstehen nicht, warum man nicht früher mit dem Ausbau von Kitas und Schulen begonnen hat. „Man wusste längst, dass der Jahrgang 2016/17 geburtenstark ist.“ Aus Essen-Haarzopf kenne man ein Gegenbeispiel: „Dort hat man viel früher reagiert, schon 2018 Mittel bereitgestellt und ausgebaut. Jetzt stehen die gut da.“

Die drei Frauen (44, 41 und 39 Jahre alt) wohnen im Osten der Stadt. Mit Namen möchten sie lieber nicht in die Zeitung, fürchten, ihre Kleinen könnten sonst einen Stempel verpasst bekommen. So in der Art von „Das sind doch die Kinder von. . .“ Dass sie am Mittwoch erfahren haben, dass ihre Erstgeborenen allesamt ab dem Sommer auf ihre Wunschschulen an der Heinrichstraße und am Steigerweg gehen dürfen, hat sie erleichtert. „Und doch ist der Drops für uns nicht gelutscht“, betont die Älteste. „Es geht ja nicht nur um uns, da sind viele Enttäuschte. Die Stadt soll wissen, dass wir weiter hingucken und uns informieren. Außerdem steht in vier Jahren der Sprung zur weiterführenden Schule an – dann geht’s von vorne los.“

In Mülheim, so schien es, lässt sich ein Leben führen, das Beruf neben Familie ermöglicht

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Berufliche Chancen haben zwei der hoch qualifizierten Frauen nach Mülheim gelockt. Und zunächst war der Umzug ja auch durchaus verlockend. Denn, wie hieß es noch gleich in den Werbeanzeigen für die Ruhrstadt? „Hier sind Infrastruktur und Anbindung an Schulen und Kitas gut“, so die 44-Jährige. In Heißen, so schien es, lässt sich ein Leben führen, das Beruf und Familie nebeneinander ermöglicht.

Zwischenzeitlich aber ist die Euphorie gewichen, hat sich Ernüchterung breitgemacht. Die zweifache Mutter beschreibt es so: „Mülheim zieht durch seine Neubauaktivitäten Familien an. Und zwar typischerweise solche, die auf ein doppeltes Einkommen angewiesen sind, um sich das leisten zu können. Aber die Infrastruktur, die fehlt dann. Das unterminiert die Attraktivität der Stadt.“ So fehle eine Grundschule im Herzen von Heißen. „Das Stadtviertel ist zerrissen“, findet sie. Die vielbefahrenen, großen Straßen wie die B 1 seien ein Problem für kleine Schulkinder auf dem Weg in die große Selbstständigkeit. Mal eben allein zur Schule laufen, das sei für die Jüngsten zu gefährlich.

„Ich bin aus dem Osten hergezogen, da gab es genug Kitaplätze für alle“

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Alle drei Familien haben ihre Kinder frühzeitig in die Hände erfahrener Erzieherinnen gegeben, mit einem beziehungsweise zwei Jahren. Zu diesem Zeitpunkt begannen die Schwierigkeiten: „Ich bin aus dem Osten hergezogen, da musste man sich um einen Kitaplatz keine Gedanken machen“, erzählt die 39-Jährige. „Hier hieß es, man soll sich am besten bei zehn Kitas gleichzeitig anmelden. Das war stressig. Ich hatte das Gefühl, hier bin ich falsch. Vielleicht sollte sich NRW mal in Bundesländern umschauen, wo es besser läuft.“

Auch ihre 41-jährige Bekannte erinnert sich an die schwierige Zeit: „Wir waren verunsichert: Kriegen wir einen Platz oder nicht? Wann und wie erfahren wir davon? Letztlich haben wir herausgefunden, dass man nur informiert wird, wenn man eine Zusage hat.“ Viele Telefonate waren erforderlich. Das sei in anderen Städten anders, in Meerbusch zum Beispiel, wo es ein Ampelsystem gebe, das im Netz schnell und zuverlässig darüber informiert, ob das Kind in einer Kita aufgenommen wurde.

„Warum digitalisiert Mülheim seine Verfahren nicht?“, fragen die Mütter

„Warum digitalisiert Mülheim seine Verfahren nicht?“, fragen sie. „Warum sind die Stadt und alle Kitas nicht miteinander verlinkt und tauschen sich aus? Dann müsste man sich nicht an so vielen Stellen anmelden.“ So aber passiere es, dass die eine Kita vom Verfahren der anderen nichts weiß: „Und dann heißt es plötzlich: Ach, Sie haben schon einen Platz. . .“, so die 44-Jährige. Sie selbst habe nach der positiven Nachricht allen Einrichtungen, in denen ihr Kind zusätzlich angemeldet war, telefonisch abgesagt. „Das machen aber bestimmt nicht viele Leute.“ Und so sei der Aufwand für alle Beteiligten über Gebühr hoch.

Der Stress setzte sich fort, als es um die Anmeldungen zur Grundschule ging. Schnell standen die Wunschschulen fest. Die Angst, nicht angenommen zu werden, aber war groß. Dass es eng werden würde an den Schulen des Stadtteils, war klar. „Man wusste ja, dass immer mehr Kinder an die Schulen drängen, man hätte Vorsorge treffen können. Die Klassen fallen ja nicht vom Himmel“, sagt die 44-Jährige. Sie bedauere es, dass die Bismarckschule und die Schule am Fünter Weg nicht mehr zur Verfügung stehen.

Grundschule Heinrichstraße arbeitet erstmals vierzügig: So können mehr Kinder kommen

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„Wir sind an der Heinrichstraße nur untergekommen, weil die Einrichtung jetzt von drei auf vier Züge erweitert worden ist“, erzählt sie. Das habe die Schulleitung ihr bestätigt. So mussten nur sieben Kinder abgelehnt werden.

Aus der Whatsapp-Gruppe mit 24 anderen Familien ihrer Kita kennen die Mülheimerinnen auch Familien, die jetzt weniger glücklich dastehen: „Eine Bekannte von uns ist total enttäuscht und verunsichert, weil ihr Kind abgelehnt worden ist.“ Nun müsse diese sich selbst darum kümmern, wo das Kind anderweitig einen Grundschulplatz findet. Leider könne man bei der Anmeldung nicht schon eine Ersatzschule angeben – für den Fall der Fälle.

Wer abgelehnt wird, muss eine neue Schule finden: Das Verfahren sei undurchsichtig

Und auch das nun anschließende Zweit-Vergabeverfahren sei von außen undurchsichtig: Nach welcher Reihenfolge werden die Plätze an den anderen Schulen vergeben?, fragen die Mütter. Gewinnt da der, der sich als Erster meldet? Das sei nicht fair, schon allein, weil die Briefe mit den Schulzu- und -absagen nicht alle zur selben Zeit im Postkasten liegen.

Außerdem stelle sich oft noch die Frage nach dem OGS-Platz, den Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, oft dringend brauchen. Die drei Frauen erzählen von einer Bekannten, „die extra für den Arbeitgeber nach Mülheim gezogen ist“. Die müsse ihre Arbeitszeit jetzt massiv reduzieren, weil kein OGS-Platz mehr drin war: „Das wirkt sich auf Karriere und Hausfinanzierung aus.“ Und mache Mülheim nicht eben attraktiver. . .

„Über 600 Kinder zusätzlich ins Schulsystem integriert“

„Der Schülerzustrom war dem Schulträger durchaus bewusst“, schreibt die Stadt als Reaktion auf die Kritik der Eltern. Auch die 2022 in den Bildungsentwicklungsplan eingearbeitete Studie des Beratungsunternehmens Gebit habe das ja gezeigt. „Zu diesem Zeitpunkt hatte jedoch niemand die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine einkalkuliert.“ Bis heute seien über 600 Kinder und Jugendliche als Seiteneinsteigende ins Schulsystem integriert worden.

Eine Abfolge geburtenstarker Jahrgänge bedeute im Übrigen nicht zwingend, neue Gebäude zu bauen, so die Verwaltung. „Denn diese können nach Abflachen des Peaks wieder leerlaufen.“ Maßgeblich sei „das Gebot der Wirtschaftlichkeit“, und damit „Interimslösungen wie aktuell am Standort Schildberg“.

Werde ein Kind an einer Schule abgelehnt, treffe allein die Leitung der neu ausgewählten Schule die Aufnahme-Entscheidung. Gesetzlich sei vorgeschrieben, dass Leitungen benachbarter Schulen kooperieren sollen. Zumeist werde den Familien dort ein Platz angeboten. Man weise schon im Ablehnungsschreiben auf nahe Schulen mit freier Kapazität hin.