Essen. Dennis Münstermann von einer Essener Realschule gewinnt den Lehrkräftepreis. Über einen „Talentförderer“, der früher fast sitzengeblieben wäre.

„Da ist Herr Münstermann!“ Damjan, Hanouf, Philipp, Maream und Josy reißen die Arme hoch und jubeln ihm zu. „Herr Münstermaaaaann! Hallo! Yeah! Yippie!“ Er, Dennis Münstermann, lächelt gelassen und hebt kurz die Hand, während er an seinen klatschenden Schülerinnen und Schülern vorbei durchs Gebäude der Bertha-Krupp-Realschule in Essen geht. Man merkt es ihm nicht an, aber in seinem Büro wird er gestehen, dass er „wirklich aufgeregt“ war und „zweimal drüber schlafen“ musste, um zu realisieren: An diesem Montag bekommt er den Deutschen Lehrkräftepreis für das Jahr 2022 verliehen.

Vorgeschlagen wurde der 31-Jährige von seinen Schülern. Für Münstermann ist der Preis „die größte Auszeichnung, die man bekommen kann. Darauf bin ich stolz.“ Dass er Lehrer werden möchte, das steht für ihn schon immer fest. Und das, obwohl er in der neunten Klasse fast sitzenbleibt. „Das mit dem Deutsch wird nichts“, sagt ihm damals ein Lehrer – eine Fehleinschätzung. Seine Prüfung schließt Münstermann mit einer eins ab. Eine Erfahrung, die ihn bis heute prägt: „Man darf nie aufgeben, an Schülerinnen und Schüler zu glauben, nur, weil sie vielleicht mal eine Schwächephase haben.“

Arbeitet bis zu 60 Stunden: „Da hab ich Bock drauf“

Als Englisch-, Deutsch- und Informatiklehrer, Digitalisierungsbeauftragter und zugleich Vertrauenslehrer der Bertha-Krupp-Realschule arbeitet er bis zu 60 Stunden in der Woche. „Aber da habe ich Bock drauf.“ Nicht selten sitzt er noch spätabends zuhause an seinem Computer, schneidet zum Beispiel Szenen von Videospielen zusammen und lässt diese am nächsten Tag von der Klasse im Englischunterricht übersetzen. Oder er gründet „Alltagswissens-AGs“, in denen er seinen Schülern erklärt, wie man etwa eine Steuererklärung ausfüllt. „Sein Unterricht ist sehr vielfältig, sodass es für jeden auch Spaß macht“, finden sie.

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Sein Antrieb ist bemerkenswert in Zeiten, in denen Lehrkräfte immer mehr unter Druck geraten. Schon seit langem werden händeringend Fachkräfte gesucht. Für Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ist das die derzeit größte Herausforderung für die Schulen in NRW. Bis zum Schuljahr 2031/32 fehlen 79.000 Lehrkräfte. Auch Münstermann spürt den Stresslevel.

Um nicht „auszubrennen“, versucht er, sich während des Unterrichts ab und an zurückzunehmen, weniger frontal zu unterrichten. Wenn es ihm doch mal zu viel wird, hilft Ironie. Oder er atmet durch und zählt bis zehn. Um abzuschalten, stellt er sich nach der Arbeit direkt an den Herd. „Kochen bringt mich runter.“ Das war schon immer so.

„Ich bin ein klassisches Arbeiterkind“

Er beschreibt sich selbst als „klassisches Arbeiterkind“, studiert als erster in seiner Familie an der Uni. Zuvor geht er auf eine Realschule in Lünen, macht sein Abi anschließend auf dem Berufskolleg. Münstermann erinnert sich: „Wenn die anderen von ihren Auslandsaufenthalten in Amerika oder Australien erzählten, konnte ich nie mitreden. Ich war nur der vom Berufskolleg.“ Letztlich macht er im Studium den besten Masterabschluss seines Jahrgangs.

Nicht zuletzt durch seinen eigenen Weg entscheidet sich Münstermann 2019 dazu, an der Realschule in Frohnhausen zu unterrichten. Aus knapp 40 unterschiedlichen Nationen kommen die 570 Schülerinnen und Schüler, mehr als die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Dass es bei so vielen verschiedenen Kulturen mitunter auch mal zu Konflikten kommt, davon will der junge Lehrer nichts wissen. Vielmehr müsse man die unterschiedlichen Einflüsse der Kinder nutzen, mit ihnen arbeiten, findet er. Im Unterricht bindet er die Sprachen seiner Schüler ein. Er knüpft an ihre Lebenswelt an und zeigt ihnen: „Ihr könnt alles schaffen.“ Ein Schüler bestätigt das mit den Worten: „Er bietet jedem eine Chance, das Beste aus sich rauszuholen.“

Probleme im Schulalltag

Dem Lehrer fällt ein Achtklässler ein, den er mal unterrichtet hat. „Er war unauffällig und hatte durchschnittliche Noten. Doch am Ende der zehnten Klasse hatte er plötzlich den besten Abschluss. Er ist aus sich herausgekommen.“ Sein Schützling engagiert sich mittlerweile in einer Partei und hat ein Stipendium erhalten. Münstermann hat ihn empfohlen. Als „Talentförderer“ beschreibt er sich, ebenso als Sozialarbeiter und Problemlöser. Andere Lehrkräfte, die schon lange im Beruf sind, sprechen häufig davon, dass sich ihr Auftrag über die Jahre verändert hat, soziale Herausforderungen hätten zugenommen.

Münstermann kennt das nicht anders. Während er über Herausforderungen im Schulalltag spricht, sucht er im nächsten Satz nach einem Ansatz, sie zu lösen. „Vor meiner Arbeit an der Schule war mir nicht klar, dass man als Lehrer im System so viel mitbeeinflussen kann“, sagt er.

Der Deutsche Lehrkräftepreis

Zwei weitere Preise gingen in der Kategorie „ausgezeichnete Lehrkräfte“ nach NRW. Gewonnen haben Dirk Erkelenz vom Königin-Luise-Gymnasium in Köln und Georg Kussel vom Einstein-Gymnasium in Rheda-Wiedenbrück. Zudem wurden zwei „vorbildliche Schulleitungen“ ausgezeichnet, Andrea Kocks, Leiterin der Grundschule am Steigerweg in Mülheim sowie Schulleiter Rolf Wohlgemuth vom Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Köln. Die Träger des Wettbewerbs sind die Heraeus Bildungsstiftung und der Deutsche Philologenverband. Weitere Infos zur Preisverleihung gibt es auf der Webseite unter lehrkraeftepreis.de.