Mülheim. Bewegende Schicksale haben uns durch das Jahr begleitet: über zu frühe Abschiede, Rettung im letzten Moment, Zusammenhalt und eine grausame Hatz.
2022 war für viele ein Jahr zwischen den Welten. Vieles wurde wieder leichter, aber neue Herausforderungen kamen hinzu. Und am Ende des Jahres blicken wir einmal mehr mit dem Gefühl auf die Weltlage, dass alles möglich ist - im Guten wie im Schlechten.
Große Gefühle bestimmen unsere Zeiten, so war es auch in unseren Geschichten. Diese Schicksale haben uns 2022 ganz besonders bewegt:
Rekordverdächtige Hilfsaktion für den Gute-Laune-Retter aus dem Lockdown
DJ Weiler ist als Gute-Laune-Garant bekannt. Im Lockdown hat er mit Livestream-Feten dafür gesorgt, dass den Mülheimern das Lachen nicht verging - obwohl er selbst mit seiner Event-Firma die volle Konsequenz der Corona-Maßnahmen zu spüren bekommen hat. Und dann ging es plötzlich um so viel mehr: Der zweifache Vater leidet an einer besonders aggressiven Form von Multipler Sklerose, die in Schüben auftritt und drohte, seine Sehkraft zu nehmen.
Eine selbst finanzierte Stammzellentherapie war seine letzte Hoffnung, doch die 47.000 Euro dafür musste er selbst berappen - unmöglich nach der Corona-Zeit. Innerhalb von Stunden ging seine Crowdfunding-Aktion im Februar viral und brachte mehr als 50.000 Euro ein. Dennis Weiler war überwältigt und hält die Mülheimer bis heute auf seinem Instagram-Account auf dem Laufenden. Denn es ist tatsächlich ein kleines Wunder geschehen: „139 Tage nach der Stammzellentransplantation haben sich viele seiner MS-Symptome verbessert oder sind fast verschwunden“, schreibt er und riet zum Fest: „Schenkt euch Liebe, den Rest kann man sich kaufen“.
Für den kleinen Phil nahmen Mülheimer das Herz in die Hand
Das Herz in die Hand genommen haben die Mülheimerinnen und Mülheimer im vergangenen Jahr auch für den kleinen Phil (siehe Titelbild). Der schwerst mehrfach behinderte Dreijährige hat starke Spastiken und permanent Schmerzen. Letzte Hoffnung: eine Nabelschnurbluttransfusion für 43.000 Euro, die ebenfalls durch Spenden finanziert wurde. Ein gutes halbes Jahr nach der Behandlung zieht Mutter Alexandra Thiel-Schneider eine positive Bilanz: „Phil ist zufriedener und glücklicher“, schreibt sie auf der Crowdfunding-Seite. Seine Spastik scheint vor allem in den Armen zurückgegangen zu sein.
Traurige Gewissheit: Die Tote aus der Ruhr ist Filmkünstlerin Dore O.
Im März 2022 ist eine leblose Frau aus der Ruhr geborgen worden und schon kurz darauf bestätigte sich der traurige Verdacht: Die weltweit bekannte Filmkünstlerin Dore O. ist tot. Pionierin des Experimentalfilms, Meisterin der Avantgarde, Documenta-Teilnehmerin - es gibt viele beeindruckende Umschreibungen für das künstlerische Lebenswerk von Dorothea Alwine Nekes, geborene Oberloskamp. 1949 wurde sie in Mülheim geboren und ist der Stadt treu geblieben.
Ihre Filme wurden unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet und auf der gesamten Welt gezeigt, zuletzt in New York. Ein halbes Jahr nach ihrem Tod wird sie posthum vom Verband der deutschen Filmkritik mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Ihre Filme „beeindrucken durch eine radikal-subjektive Ausdrucksweise und enigmatische Poesie“, heißt es in der Begründung.
Todkranke Mutter hinterlässt ihren Kindern ein Hörbuch - und hilft anderen
Als Angelina Wastrauk erfährt, dass ihr nicht mehr viel Zeit mit ihrer Familie bleiben wird, sind ihre Zwillinge noch keine drei Jahre alt. „Werden meine Kinder überhaupt eine Erinnerung an mich haben“, ist eine Frage, die sich die 35-Jährige immer wieder stellt. Sie fasst den Plan, ein Hörbuch aufzunehmen - ihre eigene Lebensgeschichte, erzählt in ihrer eigenen Stimme. Bei einem professionellen Anbieter kostet das etwa 5000 Euro. Angelina Wastrauk startet eine Spendenaktion im Internet, von Beginn an mit dem Ziel, auch anderen todkranken Eltern diese Chance zu ermöglichen. Innerhalb von 48 Stunden kommen mehr als 100.000 Euro zusammen. Zum Ende der Aktion, die zum Vermächtnis von Angelina Wastrauk werden soll, sind es 140.000 Euro. Sie helfen nun vielen Kindern dabei, sich daran zu erinnern, wer ihre Eltern waren und was ihnen wichtig war im Leben.
Der grausame und rätselhafte Tod einer Stute am Aubergweg
Es war ein Vorfall, der nicht nur bei Reiterinnen und Reitern blankes Entsetzen ausgelöst hat. In der Nacht auf den 11. März wurde die Stute Chester Bound am Aubergweg in Saarn von Unbekannten regelrecht in den Tod getrieben. Die Polizei geht davon aus, dass das Tier auf dem Außengelände des Hofes mit Steinen und einem Asphaltbrocken traktiert und derart in Panik versetzt wurde, dass es in einen Stromzaun sprang, vermutlich gegen einen Baum prallte und schließlich so unglücklich abprallte, dass sich ein stählerner Zaunpfosten quer durch Hals und Kopf des Tieres bohrte. Die Kriminalpolizei ermittelte und übergab den Fall im August an die Staatsanwaltschaft, Besitzerin Christiane Taubert lobte eine Belohnung aus. Doch die genauen Hintergründe der Tat bleiben bis heute unklar.
Der Drogentod von drei Jugendlichen: Eltern klagen an
Der Tod dreier Jugendlicher durch einen Mix aus Drogen und Medikamente hat uns in diesem Jahr besonders und immer wieder beschäftigt. Nachdem im Oktober ein 17-Jähriger leblos im Skatepark aufgefunden war und sich der Anfangsverdacht eines drogeninduzierten Todes bestätigte, ging ein Schock durch die Mülheimer Gesellschaft. Die Fragen reichten von „Wie sind die Jugendlichen an die Substanzen gekommen?“ bis zu grundsätzlichen Gedanken wie „Wie geht es jungen Menschen nach zwei Jahren Ausnahmesituation?“. Die Polizei nahm das zum Anlass, zwei weitere Todesfälle in den vergangenen Monaten zu bestätigen und eindringlich vor Mischkonsum zu warnen.
Besonders bewegend waren die Schilderungen eines Elternpaares, deren Sohn sich ebenfalls in der Jugendszene rund um den Skaterpark aufhält und ebenfalls Drogen nimmt. „Die Jugendlichen werden kriminalisiert“, klagten die Eltern im Oktober an. „Die Drogenberatung stagniert auf einem theoretischen Level“, kritisierten sie. Es werde gegen die Jugendlichen gearbeitet, nicht mit ihnen. Durch die Coronakrise sei den Kindern Lebenslust genommen worden, Mülheim biete als Stadt kaum günstige, attraktive Freizeitangebote für Jugendliche. Ein Testament der Ratlosigkeit auf allen Seiten. Die Stadt hat inzwischen einen Runden Tisch mit allen Akteuren der Präventionsarbeit ins Leben gerufen, die Polizei ermittelt mit einer Sonderkommission.
Wenn es einfach nicht zum Leben reicht - Mülheimer spenden für Renate S.
Nein, mit dieser Spendenbereitschaft hat sie nicht gerechnet. Kurz nachdem uns eine Mülheimerin erzählt hat, wie sie verarmt und einsam ihr Weihnachtsfest im Dunkeln verbringt, haben uns unzählige Spenden und Unterstützungsangebote für Renate S. erreicht. Die Redaktion bündelt all die Sach- und Geldspenden nun in ihrer Hilfsaktion Jolanthe. Was Renate S. selbst nicht verbrauchen konnte - etwa gespendete Lebensmittel - kamen somit auch anderen Menschen zugute, die in Armut leben.
Inzwischen haben wir auch über eine weitere Aufstockerin berichtet, die in der aktuellen Situation nicht mehr zurecht kommt. Wir setzen unsere Spendenaktion Jolanthe mit unserem Spendenkonto fort (Kontoverbindung: DE05 3625 0000 0175 0342 77, Sparkasse Mülheim).