Mülheim. Angelina Wastrauk (35) ist unheilbar an Krebs erkrankt. Ihren kleinen Zwillingen möchte die Mülheimerin ihre Geschichte als Hörbuch hinterlassen.
„Werden meine Kinder überhaupt eine Erinnerung an mich haben?“ Diese Frage beschäftigt Angelina Wastrauk seit sie vor zweieinhalb Jahren die Diagnose Krebs bekam.
Inzwischen weiß die 35-Jährige: Sie wird sich mit dem Gedanken auseinandersetzen müssen, dass ihre zweieinhalbjährigen Zwillinge ohne sie groß werden könnten. Sie stellt sich die Frage, wie lange sie noch durchhalten kann und an wie viele gemeinsame Momente sich ihre Kinder später im Leben erinnern werden.
Mülheimer Mutter: „Wie sollen sie verstehen, dass ich nie wieder mit ihnen kuscheln kann“
„Der Gedanke, den eigenen Kindern erklären zu müssen, dass ich nicht dabei sein kann, wenn sie groß werden, zerreißt mich“, schreibt Angelina Wastrauk in einem bewegenden Spendenaufruf auf dem Portal betterplace.org. Dort sammelt sie Geld für das Projekt „Familienhörbuch“ des gleichnamigen gemeinnützigen Unternehmens aus Köln.
„Wie sollen sie verstehen, dass ich nie wieder mit ihnen kuscheln kann, sie nie wieder trösten kann, nicht mehr mit ihnen spielen und toben kann? Diese Gedanken sind entsetzlich, aber die Lage ist ernst. Ich muss mich mit ihnen auseinandersetzen. Genauso stellt sich mir die Frage, wie lange ich durchhalten kann.“
Den Kindern ein letztes Geschenk hinterlassen – ihre eigene Lebensgeschichte
2019 habe sie die Diagnose schwarzer Hautkrebs bekommen. Eine medikamentöse Therapie sollte verhindern, dass der Krebs sich weiter in ihrem Körper ausbreitet. „Leider war der Erfolg dieser Behandlung nur von kurzer Dauer. Im Dezember 2020 habe ich erfahren, dass ich Metastasen in Hirn, Lunge und einigen Lymphknoten habe. Neuer Status: Unheilbar.“
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So ist der Wunsch entstanden, ihren Kindern ein letztes Geschenk zu hinterlassen, ihre eigene Lebensgeschichte, erzählt mit ihrer eigenen Stimme. Angelina Wastrauk hatte eine Fernsehreportage über das Familienhörbuch gesehen, als sie selbst noch nicht wusste, dass sie einmal in die Lage kommen würde, sich für die Teilnahme zu bewerben. „Ich war damals schon sehr bewegt von der Idee, dass es todkranken Eltern ermöglicht wird, ihre Lebensgeschichte in einem professionellen Hörbuch aufzubereiten“, schreibt sie in ihrem Spendenaufruf.
Stimme der Mülheimer Mutter richtet sich über Stunden gezielt an die Kinder
Gemeinsam mit der Bottroper Radiojournalistin Jana Magdanz wird die 35-Jährige in mehreren Stunden das Familienhörbuch aufnehmen. „Ich lasse eine Aufnahme mitlaufen und stelle die Fragen wie in einem Interview“, erklärt die Audiobiografin. Das Erzählte wird in Kapitel unterteilt und mit Geräuschen, Toneinspielern oder der Lieblingsmusik unterlegt, später mit einem Vor- und Nachwort versehen. Die Erzählenden singen, musizieren oder lesen Geschichten vor – und feiern noch einmal ihr Leben. Je nach Inhalt, können einzelne Kapitel auch abgetrennt und aufbewahrt werden, bis die Kinder älter sind, erklärt Magdanz.
„Den Klang der Stimme vergisst man schnell, genau wie den Geruch eines Menschen“, weiß Jana Magdanz, für die es das erste Hörbuchprojekt dieser Art ist. „Heute haben wir viele kleine Stimmfetzen in Sprachnachrichten auf dem Handy gespeichert. Aber es ist etwas anderes, wenn sich die Stimme der Mutter gezielt für viele Stunden an die Kinder richtet, um ihnen eine Ahnung davon zu vermitteln: Wer war unsere Mama?“
Das Erzählen lenkt den Blick auf die Fülle des gelebten Lebens
Das Familienhörbuch ist ein Projekt, das sich komplett durch Spenden finanziert. Die Arbeit am Familienhörbuch sei nicht nur für die Kinder wertvoll, sagt Jana Magdanz. Das Erzählen lenke den Blick der Sterbenskranken von Krankheit, Schmerz und Verlust auf die Fülle ihres gelebten Lebens und schenke diesem Wertschätzung. Angelina Wastrauk erhofft sich noch einen Effekt: „Neben der Erinnerung für die Familie hilft es mir zur Bewältigung meiner eigenen furchtbaren Diagnose.“
Auf der anderen Seite sei es für die Kinder wichtig, die eigene Herkunft zu verstehen – für eine gesunde Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung. „Für mich ist es außerdem eine beruhigende Vorstellung, dass meine Kinder aus erster Hand erfahren können, wie ich der Mensch geworden bin, der ich heute bin, was mir wichtig ist und mich geprägt hat“, sagt Angelina Wastrauk. Sie freue sich auf die Arbeit an ihrem Hörbuch, für das sie die Zusage bereits hat.
Spendenaufruf für Hörbücher brachte bereits fast 125.500 Euro ein
Sie weiß aber auch: Wenn Familien in der gleichen Situation auch ein solches Erinnerungsgeschenk für die Kinder bekommen möchten, dann muss dafür gespendet werden. Denn ein professionelles Familienhörbuch kostet in der Erstellung rund 5000 Euro. Deshalb hat sie selbst einen Spendenaufruf gestartet. Durch ihren bewegenden Text sind innerhalb von 48 Stunden über 100.000 Euro im Internet gesammelt worden – inzwischen sind es fast 125.500 Euro.
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Gerührt hat sich die Initiatorin bei allen Spendern bedankt: „Das ist unglaublich. Ihr unterstützt nicht nur ein wahnsinnig tolles Projekt, sondern gebt auch mir persönlich ganz viel Kraft und Mut mit eurer großen Anteilnahme.“ Je mehr Geld gesammelt wird, desto mehr schwerstkranke Mütter und Väter können ihren Kindern ihre Erinnerungen hinterlassen.
Familienhörbuch-Gründerin: „Zeit ist genau das, was diesen Familien fehlt.“
Familienhörbuch-Gründerin Judith Grümmer spricht von einem großen Bedarf in Deutschland und den Nachbarländern. „Auf ein Familienhörbuch zu warten ist für die Familien eine Qual“, weiß sie aus Erfahrung. „Denn Zeit ist genau das, was diesen Familien fehlt.“ Rund 25 Mütter und Väter stünden derzeit auf der Warteliste.
Angelina Wastrauk hält an ihrer Hoffnung fest, „dass ich das Hörbuch vielleicht doch irgendwann gemeinsam mit meinen Kindern hören kann“. Die Spendenaktion kann hier unterstützt werden.