Herne. In Wanne-Eickel wurde vor 60 Jahren die St.-Barbara-Kirche dichtgemacht, dann gesprengt. Loriot nutzte die Bilder für einen bekannten Sketch.

Im Ruhrgebiet haben Bergschäden viele Gebäude in Mitleidenschaft gezogen, oft so sehr, dass sie abgerissen werden mussten. In Wanne-Eickel trifft es die St.-Barbara-Kirche an der Hofstraße, ausgerechnet jenes Gotteshaus also, das seinen Namen zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute erhalten hat. Gerade mal 50 Jahre alt ist die Röhlinghauser Kirche, schon völlig marode und stark einsturzgefährdet, als sie Ende Februar 1963, genau vor 60 Jahren, dichtgemacht werden muss. Zwei Jahre später wird sie gesprengt. Die Bilder sehen später Millionen Menschen: Der Humorist Loriot baut sie in einen Sketch ein.

„Riese starb erst beim zweiten Schlag“: So titelt die Wanne-Eickeler Zeitung am 23. Oktober 1965, am Tag nach der Sprengung der St.-Barbara-Kirche. So kaputt sie auch ist, die 18 Kilogramm Ammon-Celit 3, die der Sprengmeister in 100 Bohrlöchern verteilt und dann zündet, reichen zunächst nicht aus, um dem Gebäude den Garaus zu machen. Der Kirchturm bleibt stehen. „Stolz, wenn auch ein wenig gerupft, ragte er in die Höhe, so, als wolle er alle, die ihn als einsturzgefährdet bezeichnet hatten, lügen strafen“, schreibt die Zeitung. Immerhin die Außenmauern stürzen ein, der Turm hält stand. Der Sprengmeister muss noch mal ran: „Erst beim zweiten Anlauf, diesmal nur mit 300 Gramm Sprengstoff, kapitulierte er und stürzte wie vorausberechnet.“

„In vornehmer, würdiger Schönheit zeigt sich das Innere der Kirche“

Damit steht die Gemeinde erst mal ohne eigene Kirche dar. So wie schon kurz vor der Jahrhundertwende: Röhlinghausen wird im ausgehenden 19. Jahrhundert immer größer, der Bergbau boomt. 7380 Menschen leben 1889 in Röhlinghausen, die Hälfte sind Katholiken. Sie trennen sich später von St. Marien in Eickel und bauen die St.-Barbara-Gemeinde auf. Mittelpunkt wird zunächst eine Notkirche, ein schlichter Bau mit Satteldach, den die evangelische Kirche aufgegeben hat, weil sie ein „richtiges“ Gotteshaus gefunden hat. Bei der Notkirche soll es nicht bleiben. Die Katholiken denken groß und bauen ab 1909 ein stattliches Gotteshaus. 1912 wird die dreischiffige, frühgotische Kreuzkirche an der Hofstraße eröffnet. Die Pfarrkirche zur heiligen Barbara, knapp 50 Meter lang und 20 Meter breit, hat eine Taufkapelle und einen 65 Meter hohen Turm. „In vornehmer, würdiger Schönheit zeigt sich das Innere der Kirche. Alles in ihr atmet würdevolle Ruhe“, heißt es in der historischen Chronik „Aus der Geschichte der katholischen Kirchengemeinde St. Barbara Röhlinghausen“.

Dass die Zechen, darunter Königsgrube und Hannibal, Bergschäden verursachen könnten, ist den Architekten offensichtlich bewusst. Sie planen ein festes Betonfundament ein, außerdem quere und diagonale Betonbalken sowie Verankerungen in den Wänden. „Dem Bau ist dadurch von Grund auf eine große Festigkeit verliehen“, heißt es in der Chronik, „so daß die schädigende Wirkung des Bergbaus (...) abgeschwächt worden ist.“

1912 eröffnet und eine „der größten und stilreinsten neugotischen Kirchen des Ruhrreviers“: die St. Barbara-Kirche im Wanne-Eickeler Stadtteil Röhlinghausen.
1912 eröffnet und eine „der größten und stilreinsten neugotischen Kirchen des Ruhrreviers“: die St. Barbara-Kirche im Wanne-Eickeler Stadtteil Röhlinghausen. © Stadtarchiv

Offensichtlich nicht genug: Der Kohleabbau reißt tiefe Wunden. Schnell. Durch einen Wasserrohrbruch an der Kirche werden bald nach der Eröffnung die Fundamente unterspült, der durch den Bergbau bereits löchrige Untergrund wird zusätzlich gelockert. Schon im Herbst 1912 zeigen sich die ersten Risse in den Wänden. Wer ist schuld an dem Desaster? Darüber entbrennt ein langwieriger, bald auch gerichtlicher Streit, der durch alle Instanzen geht. Das Reichsgericht urteilt 1918, dass die Zeche haftbar ist und alle Schäden bezahlen muss.

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In dem prächtigen Bild, das sich die Gemeinde wünscht, zeigt sich das Gotteshaus aber nie. Im Gegenteil. Nach Bergschäden und Erstem Weltkrieg folgt der Zweite Weltkrieg. Durch einen ersten Bombenangriff wird die Barbara-Kirche am 10. Juli 1943 beschädigt, bei einem zweiten am 29. September 1943 schließlich weitgehend zerstört; dabei stirbt auch der Pfarrer. Kaum ist die Kirche notdürftig so hergerichtet, dass zumindest wieder Gottesdienste gefeiert werden können, werden am 6. November 1944 bei einem weiteren Fliegerangriff Fenster erneut herausgerissen, Dach und Gewölbe durchlöchert. Nach 1945 wird das Haus wieder aufgebaut, Weihnachten 1948 ist es fertig.

Doch das Gotteshaus wankt, immer neue Bergschäden werden sichtbar. Ende Februar 1963 ist plötzlich Schluss. Als Vorbereitungen zur Grundsanierung der neugotischen Kirche getroffen werden und die Statik überprüft wird, macht die Baupolizei die Kirche kurzerhand dicht: viel zu gefährlich. „Ganz Röhlinghausen ist tief getroffen“, heißt es in der Geschichte der Gemeinde. Der große Saal des Jugendheims wird zum Gottesdienstraum, die Damentoilette zur Sakristei. „Ein erbärmliches Provisorium für die Gemeinde“, urteilt die Chronik.

Röhlinghauser hatten Tränen in den Augen

Was nun? Nach schwierigen Verhandlungen mit den Bergwerksgesellschaften ist der Weg schließlich frei für einen Neubau. Dazu wird die marode Kirche am 22. Oktober 1965 gesprengt. „Mit Tränen in den Augen stehen viele Röhlinghauser Bürger dann vor den Trümmern ihrer alten Kirche“, heißt es in der Geschichte der Gemeinde. Und: Eine „der größten und stilreinsten neugotischen Kirchen des Ruhrreviers“ sei dem Erdboden gleichgemacht worden: „Im Dezember 1965 liegt dort, wo einst unser herrliches Gotteshaus stand, eine weite, offene Fläche, einem Ackerfeld gleichend.“

Aus und vorbei: Mit der zweiten Sprengung fällt auch der Kirchturm.
Aus und vorbei: Mit der zweiten Sprengung fällt auch der Kirchturm. © Stadtarchiv

So viel Pathos ist Loriot fremd. Der begnadete Humorist (1923-2011) macht die St.-Barbara-Kirche im ganzen Land bekannt. In seinem Sketch „Die Steinlaus“ tritt er in einer Parodie des Zoologen und Fernsehmoderators Bernhard Grzimek auf und berichtet über den (erfundenen) scheuen Mikro-Nager Steinlaus, der sich von Beton und Ziegelsteinen ernährt. In Einspielfilmen zeigt Loriot einstürzende Gebäude, vermeintlich durch Steinlaus-Fraß, darunter – die St.-Barbara-Kirche. Dazu nutzt er Fernsehbilder der Sprengung.

Machte St. Barbara im ganzen Land bekannt: der Humorist Loriot alias Vicco von Bülow.
Machte St. Barbara im ganzen Land bekannt: der Humorist Loriot alias Vicco von Bülow. © imago/United Archives | imago stock

>> WEITERE INFORMATIONEN: Die neue Kirche

Am 11. Oktober 1969 wird die neue Kirche auf demselben Gelände eröffnet und vom Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger geweiht. Errichtet wird ein moderner Bau aus Beton, Stahl und Aluminium, kombiniert mit Basalt, Granit, Eternit und rotem Klinker. „Das Ganze ist gestaltet in nüchterner Heiterkeit“, heißt es im Kirchenführer der Gemeinde. Und: „Das zeltförmig konzipierte Kirchengebäude soll Zeichen sein, daß wir letztlich keine feste Wohnstatt haben hier auf der Erde, daß wir nur Wanderer oder Pilger sind“.

Kurios: Die neue Kirche darf nicht mehr St.-Barbara-Kirche heißen. Wenige Monate vor der Fertigstellung gibt Rom einen Erlass heraus. Heilige, deren historische Quellen spärlich oder schwer beweisbar sind, sollen nicht mehr in den neuen liturgischen Kalender aufgenommen werden. Darunter auch die heilige Barbara. Die Gemeinde entscheidet sich daraufhin in knapper Abstimmung, dass ihr neues Gotteshaus den Namen „Heilig-Geist-Kirche“ erhalten soll. Die heilige Barbara, immerhin, bekommt in der Nebenkapelle einen besonderen Ort der Verehrung.

Moderner Ersatzbau: die Heilig-Geist-Kirche.
Moderner Ersatzbau: die Heilig-Geist-Kirche. © Stadtarchiv

Der neue Name der Kirche setzt sich jedoch nicht überall fest, so dass die neue Kirche von vielen Menschen weiterhin St.-Barbara-Kirche genannt wird. Damit nicht genug: „Es ist wohl einmalig in Deutschland, daß Gemeinde und Kirche unterschiedliche Namen haben“, heißt es im Kirchenführer der Gemeinde. „Die Pfarrei heißt St. Barbara und die Kirche ist dem Heiligen Geist geweiht.“

Die weiteren Teile der WAZ-Serie „Herne historisch“