Gladbeck. Bei der Europawahl liegt die SPD weit abgeschlagen hinter der CDU, diese wird stärkste Kraft. So sehen die Reaktionen in Gladbeck aus.

Als die bundesweite Prognose um 18 Uhr über den Fernseher auch ins Gladbecker SPD-Büro kommt, geht ein Aufstöhnen durch die Reihen der Gladbecker Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. 14 Prozent für die SPD, ein noch schlechteres Ergebnis als bei der Europawahl 2019. Als dann auch noch die 16 Prozent für die AfD verkündet werden, wenden erste Genossen den Blick ab. Bundesweit nur drittstärkste Kraft hinter der AfD, das sorgt im Johannes-Rau-Haus in Gladbeck für enttäuschte, ja teils entsetzte Gesichter.

Lange Gesichter bei der ersten Prognose zur EU-Wahl in Gladbeck bei der SPD im Johannes-Rau-Haus. 
Lange Gesichter bei der ersten Prognose zur EU-Wahl in Gladbeck bei der SPD im Johannes-Rau-Haus.  © Matthias Düngelhoff | Matthias Düngelhoff

Die SPD muss in der einstigen roten Hochburg Gladbeck bei dieser Europawahl ihre Spitzenposition einbüßen: Die CDU wird stärkste Kraft. Sie kommt auf 26,56 Prozent, die SPD auf 21,79. Die AfD fährt die drittmeisten Stimmen ein (19,18 Prozent). Die Wahlbeteiligung lag mit 56,66 Prozent etwas höher als bei der vergangenen Europawahl.

Gladbecks SPD-Vorsitzender spricht von „brutaler Enttäuschung“

Der Gladbecker SPD-Vorsitzende Dustin Tix brauchte in einer ersten Reaktion dann auch nur zwei Worte, um das Ergebnis zu kommentieren: „Brutale Enttäuschung!“ An diesem bundesweiten Ergebnis gebe es nichts schönzureden. „Wir sind als SPD der Überzeugung, dass es nur mit uns ein starkes Europa gibt. Ein solches Ergebnis ist dann eine herbe Enttäuschung.“ Das ausgerechnet die AfD, die Rechten, einen solchen Zulauf verzeichnen konnten, insbesondere auch bei den unter-30-Jährigen, sei besonders enttäuschend.

Wir sind als SPD der Überzeugung, dass es nur mit uns ein starkes Europa gibt. Ein solches Ergebnis ist dann eine herbe Enttäuschung.
Dustin Tix - SPD-Chef

Er glaube nicht, dass alle AfD-Wähler auch die Denkmuster der Partei teilten, aber das Ergebnis sei ein deutlicher Ausdruck der Unzufriedenheit. Das gelte wohl auch für das Gladbecker Ergebnis. Auch hier deutete sich bis zum Redaktionsschluss der Ausgabe ein großer Stimmengewinn für die AfD an. Tix verwies auf die Nachbarstädte Bottrop und Gelsenkirchen, in denen sich Ähnliches andeutete.

Forderung: Bund und Land müssen das Ruhrgebiet und dessen Probleme in Fokus nehmen

Für den Gladbecker SPD-Vorsitzenden ergibt sich daraus eine Forderung an Bund und Land. Das Ruhrgebiet sei in den vergangenen Jahren mit großen Herausforderungen konfrontiert gewesen. Gleichzeitig habe man es schwerer, diese Probleme zu bewältigen. Die EU-Wahl sei darum auch ein Signal an Land und Bund, das Ruhrgebiet stärker in den Fokus zu nehmen. „Wir sind die Region, die viel zu lange unter klammen Kassen gelitten hat. Wer nicht erkennt, dass so etwas Nährboden für Unzufriedenheit ist, der ist blind“, so Tix eindringliche Warnung an Düsseldorf und Berlin.

Die Ampel hat ausgeblinkt
Dietmar Drosdzol - CDU-Chef

Gladbecks CDU-Vorsitzender Dietmar Drosdzol dagegen durfte doppelt jubeln. Wurde seine Partei wohl nicht nur bundesweit, sondern auch vor Ort in Gladbeck stärkste Kraft bei dieser Wahl. Für ihn geht von der Wahl auch ein bundespolitisches Signal aus. „Die Ampel hat ausgeblinkt“, so seine unmissverständliche Meinung.

Gladbecker CDU-Vorsitzender sieht Ergebnis auch als Signal an die Ampel

Gleichzeitig bezeichnete er das Ergebnis als „klares Votum für Europa“. Das zeige sich bei der Union als stärkster Kraft. Wobei er gehofft habe, dass das AfD-Ergebnis weniger gut ausgefallen wäre. Denn: „Wir wissen doch, dass die AfD kein Europa will.“ Dabei zeige sich auch in Gladbeck der Mehrwert der EU, sagt Drosdzol und führt den Bau des Sportparks Mottbruchs mit Geldern aus Brüssel an oder auch die Umgestaltung des Willy-Brandt-Platzes.

Das Erstarken oder überhaupt die Gründung der AfD, dafür seien aus Drosdzols Sicht CDU und SPD selbst verantwortlich. Die beiden Parteien seien in der Vergangenheit zu vorsichtig mit Meinungen gewesen, hätten viel früher klare Kante zeigen müssen. So sei die AfD als Protestpartei entstanden, deren Wähler vielfach eben auch von CDU und SPD kämen. Und auch wenn er sich ein schlechteres Abschneiden der AfD gewünscht hätte, so seien die tatsächlichen Zahlen zu erwarten gewesen. Überrascht zeigte sich Drosdzol auch vom guten Abschneiden des Bündnisses Sarah-Wagenknecht, das in der bundesweiten Hochrechnung aus dem Stand auf knapp sechs Prozent gekommen ist und auch in Gladbeck wohl mehr als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen holen konnte und damit stärker abschnitt als die FDP vor Ort.

AfD setzt Augenmerk jetzt verstärkt auf junge Wählerinnen und Wähler

Marco Gräber, Sprecher der AfD in Gladbeck, spricht von einem „großartigen Ergebnis“ für seine Partei. Dass die AfD in Gladbeck so gut abschneiden würde und sogar in einigen Wahllokalen stärkste Kraft wurde, damit hätte er wiederum nicht gerechnet. „Wir lagen in Gladbeck aber bei den vergangenen Wahlen immer über dem Landes- und dem Bundesdurchschnitt.“ Er sieht die Wahlergebnisse vor allem als einen Stimmungstest für die anstehende Kommunal- und Bundestagswahl. Besonderes Augenmerk wolle er dann im Wahlkampf auf die jugendlichen Wähler legen, bei denen die AfD gemeinsam mit der CDU bundesweit die meisten Stimmen erreicht habe.

Wir lagen in Gladbeck aber bei den vergangenen Wahlen immer über dem Landes- und dem Bundesdurchschnitt.
Marco Gräber - AfD-Sprecher

Das spiegele auch seine Erfahrungen wider. Im Mai war er im Berufskolleg bei einer Podiumsdiskussion im Vorfeld der Europawahl. „Im Anschluss kamen viele Jugendliche auf mich zu, wollten zum Teil sogar Selfies mit mir machen, das war fast schon unheimlich“, so Gräber. Auch an die Infostände in der Innenstadt wären zu Wahlkampfzeiten viele Jugendliche gekommen, „die sich unter anderem darüber beschwert haben, dass es nur noch vier deutsche Kinder in ihrer Klasse gebe“.

Bürgermeisterin Bettina Weist zeigte sich erschüttert und besorgt

Grünen-Sprecherin Sandra Borgwerth führt das schlechte Abschneiden ihrer Partei auch auf die Unzufriedenheit vieler Wähler mit der Bundesregierung zurück. „Es könnten Protestwähler sein, die die AfD gewählt haben. Darauf hoffe ich zumindest.“ 2019 kam ihre Partei in Gladbeck noch auf 15,65 Prozent. Diese „grüne Welle“ habe ihrer Partei gutgetan und Aufschwung gegeben. „Ich hätte mir gewünscht, dass die grüne Welle weiter anhält.“ Jetzt aber seien die Grünen wieder auf den Kern ihrer Wähler zurückgefallen. Nun gehe es darum, aus Fehlern zu lernen und zu zeigen, dass es möglich sei, „ein klimaneutrales Europa zu haben und zeitgleich die Konjunktur weiterzuentwickeln“.

Ich hätte mir gewünscht, dass die grüne Welle weiter anhält
Sandra Borgwerth - Grünen-Sprecherin

Bürgermeisterin Bettina Weist zeigte sich vom starken Abschneiden der AfD erschüttert. „Das besorgt mich absolut“, sagte sie. Das Ergebnis betrübe und bedrücke sie sehr. Die ersten Gladbecker Hochrechnungen machten sie fassungslos. „Das ist Wahnsinn“, so die Bürgermeisterin. Das starke Abschneiden der AfD mache einem auch Angst. Dass trotz der ganzen Skandale der vergangenen Zeit – darunter etwa das von Correctiv aufgedeckte AfD-Treffen in Potsdam, bei dem die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant wurde – so viele Menschen die AfD gewählt haben, mache sie sprachlos.

Bei der Europawahl 2019 kam die SPD mit 25,94 Prozent auf die meisten Wählerstimmen, die CDU lag mit 22,64 Prozent knapp dahinter. Die drittmeisten Stimmen bekamen die Grünen (15,65 Prozent), die AfD kam auf 13,63 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 55,12 Prozent.

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