Gladbeck. Menschen in Gladbeck stehen auf gegen Rechtsextremismus. Eine Kundgebung am Samstag ist geplant, doch das ist nicht alles.
Köln, Essen, Düsseldorf, Stuttgart, Bremen, Hamburg – die Aufzählung ließe sich fortsetzen. In all diesen Städten gehen zig tausende Menschen auf die Straße, um gegen die AfD und Rechtsextremismus zu demonstrieren. Jetzt reiht sich auch Gladbeck in die Proteste ein. Das ist geplant.
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Roger Kreft vom Bündnis für Courage kennt die Materie aus dem Effeff. Er ist froh, dass nun viele Menschen auf die Straße gehen, um sich gegen Rechtsextremismus und Rechte zu positionieren. Es sei höchste Zeit. „Es muss uns klar sein, dass uns bald unsere Demokratie um die Ohren fliegt“, warnt der couragierte 69-Jährige, „nach Gelsenkirchen haben wir in Gladbeck die zweitmeisten AfD-Stimmen.“
Zur Gladbecker Kundgebung vor dem Rathaus sind 400 Teilnehmer angemeldet
Dass aktuell in vielen Städten Menschen gegen rechtsextremistische Ideologien aufstehen, hält Kreft durchaus für sinnvoll. Das Bündnis für Courage plane ebenfalls eine Demonstration, voraussichtlich Anfang Februar. In der Überlegung seien auch andere Veranstaltungsformen, beispielsweise eine Mahnwache – vielleicht in Kombination mit dem Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers am 27. Januar. Das Mitglied des Bündnisses für Courage: „Wir wollen eine Solidargemeinschaft schmieden, in der auch Parteien, Kirchen und Organisationen mitziehen.“
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Kreft rechnet nicht mit einem abstumpfenden Effekt aufgrund der Vielzahl von Demonstrationen, sondern mit „einem Hineinwirken in die Bevölkerung“. Wahrscheinlich aufgerüttelt durch die Veröffentlichungen des Rechercheportals „Correctiv“ in der vergangenen Woche über ein geheimes Treffen, nicht nur mit AfD-Leuten, in Potsdam. Unter der Überschrift „Geheimplan gegen Deutschland“ waren rechtsextremistische Überlegungen zutage gekommen, Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund aus Deutschland ausweisen zu wollen. Das Stichwort „Remigration“ weckte in der Öffentlichkeit Gedanken an ein pechschwarzes Kapitel in der deutschen Geschichte: die Deportation und massenhafte Ermordung von jüdischen Bürgern während des nationalsozialistischen Regimes unter Adolf Hitler.
Auf diese Zeit nimmt Gladbecks Bürgermeisterin Bettina Weist Bezug, die für Samstag, 20. Januar, zur Kundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Rathaus aufruft. Die Veranstaltung von 11 bis 12 Uhr steht unter dem Motto „Gladbeck hält zusammen – Gemeinsam gegen Rechtsextremismus!“. Es sei ein geschichtsträchtiges Datum gewählt worden: Der 20. Januar ist in der deutschen Geschichte mit der „Wannsee-Konferenz“ verknüpft. Damals, am 20. Januar 1942, trafen sich nationalsozialistische Führungskräfte, um die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ umzusetzen. Von diesem Treffen ging die Ermordung von fünf Millionen Menschen jüdischen Glaubens aus. Weist: „Zeigen wir am 20. Januar, dass unsere Stadtgesellschaft das Treffen der Rechtsextremisten in Potsdam und ihre Überlegungen auf das Schärfste verurteilt – und machen wir gemeinsam deutlich, dass wir aus der Geschichte gelernt haben, einem solchen Gedankengut keinen Nährboden zu geben.“
Die Stadtverwaltung Gladbeck und eine Privatperson haben die Kundgebung auf dem Rathausvorplatz am Samstag angemeldet. Als Teilnehmerzahl ist 400 genannt. Annette Achenbach, Sprecherin im Polizeipräsidium Recklinghausen, sagt auf Anfrage der WAZ: „Die Veranstaltung ist von der Polizei noch nicht öffentlich bestätigt.“ Daher ließe sich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht sagen, wie Einsatzkräfte die Kundgebung begleiten werden.
Bei den Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus im Einzugsbereich der Polizeibehörde Recklinghausen, beispielsweise in Castrop-Rauxel am Donnerstag (18. Januar), „erwarten wir störungsfreie Verläufe“, sagt Achenbach. So möchte unter anderen das Bündnis „Buntes Bottrop“ die Bürgerschaft mobilisieren, sich gemeinsam gegen rechtsextremes Gedankengut zu stellen. Wie in Gladbeck beginnt dort um 11 Uhr eine Kundgebung. Ort: der Altmarkt. Achenbach erläutert: „Bei einer Kundgebung müssen wir keine Straße sperren, im Unterschied zu Sternmärschen.“
Sperrung Willy-Brandt-Platz
Aufgrund der Kundgebung „Gladbeck hält zusammen“ wird der Willy-Brand-Platz am Samstag, 20. Januar, zwischen 10.30 Uhr und ungefähr 13 Uhr gesperrt. Das hat Auswirkungen auf den Öffentlichen Personennahverkehr. Betroffen seien die Linien SB91 und 259 der Vestische Straßenbahnen, teilt das Unternehmen mit.
Die Umleitung erfolgt in beide Fahrtrichtungen ab Bottroper Straße über Sandstraße, Konrad-Adenauer-Allee, Postallee und Humboldtstraße. Die Haltestellen „Stadtbad“ und „Willy-Brandt-Platz“ entfallen für die Dauer der Umleitung. Alternativ können Fahrgäste die Haltestelle „Goetheplatz“ benutzen
„Wir müssen den Rechtsextremisten deutlich zeigen, dass die Menschen in unserer Stadt völkische Fantasien ablehnen. Wir wollen zeigen, dass Gladbeck eine bunte, offene und tolerante Stadt ist, in der das Zusammenleben gut funktioniert“, stellt Weist heraus. Die Vielfalt sei eine der Stärken der Stadt und „eine Zukunftschance für Gladbeck und unser Land“.
Dies gelte für alle Lebensbereiche. „Unsere Wirtschaft, unsere Kitas und Schulen oder auch unser Gesundheitssystem würden ohne Menschen mit Migrationshintergrund längst nicht mehr funktionieren“, so die Bürgermeisterin. Ungefähr 40 Prozent der 78.000 Menschen in Gladbeck hätten einen Migrationshintergrund, viele von ihnen seien hier oder in anderswo Deutschland geboren.
Leitschnur für ein gemeinsames Leben: Gladbecker Weg
Das Grundgesetz der Bundesrepublik, das in diesem Jahr 75 Jahre alt wird, ist die Grundlage für menschliches und demokratisches Leben. Die Stadt hat darüber hinaus im Jahr 2020 die „Gladbecker Erklärung“ zur Leitschnur für ein gemeinsames Leben in dieser Stadt gemacht: „Sie ist der ,Gladbecker Weg‘, den der Großteil der Gladbecker Stadtgesellschaft unterstützt.“
Courage-Mitglied Kreft merkt kritisch an: „Wo ist die Gesellschaft bisher gegen Rechtsextremismus aktiv geworden? Wir wurden jahrelang ziemlich allein gelassen.“ Er freue sich, dass sich das nun wohl ändere.
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Wohin Ausgrenzung und Verfolgung von Menschengruppen führen können, hat die deutsche Geschichte gezeigt. Das Gladbecker Bündnis für Courage erinnert Jahr für Jahr an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. So auch diesmal.
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Die zweistündige Gedenkfeier beginnt am 27. Januar um 18 Uhr im Ratsgymnasium an der Mittelstraße 50. Es spricht Dr. Anke Hoffstadt, deren Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus / Neonazismus ist. Ihr Vortrag trägt den Titel: „Erinnern heißt Handeln“. Die Expertin will „solidarische Positionen gegen rechts – gestern und heute“ aufzeigen.
Schüler gestalten das Gedenken an die Befreiung des KZ Auschwitz
Junge Leute des Rats- und des Heisenberggymnasiums präsentieren eigene Beiträge, gestalten unter anderem den musikalischen Part. Die Themen der Programmpunkte stehen noch nicht fest. „Aber gewiss werden diese Darbietungen wieder unter die Haut gehen“, verspricht Roger Kreft.