Essen. Die Deportationspläne, „Remigration“ genannt, empören Menschen in Essen, Duisburg und anderswo. Nun müssen wir uns radikaler wehren.
Ein Parteiverbot sei „das schärfste Schwert der Demokratie“, das erst ganz am Ende zum Einsatz kommen dürfe, heißt es in diesen Tagen in vielen nachdenklichen Analysen und Kommentaren. Die Frage, die ich mir inzwischen stelle, ist, wann dieses „Ende“ erreicht ist. Was nutzt einem Menschen sein Schwert, wenn er es erst dann zur Verteidigung anwenden will, NACHDEM er getötet worden ist? Nach dem Ende kommt das Aus.
Ich meine, wir sind jetzt an diesem Ende. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo sich entscheidet, ob wir das Schlimmste noch abwenden können oder nicht – trotz all der Risiken, trotz all der guten Argumente, die dagegensprechen. Ein Verbotsverfahren würde die AfD-Erzählung von der angeblichen Opferrolle stärken? Ja, sicher täte es das. Was aber ist die Alternative? Die AfD wird immer radikaler, immer extremistischer. Und sie bekommt dafür immer mehr Zuspruch. Von den 40 Prozent Wählerstimmen, die im September in Thüringen für eine absolute Mehrheit der AfD reichen könnten, wenn FDP und Grüne den Sprung in den Landtag knapp verpassen, sind wir in den Umfragen nicht mehr weit weg.
Gegen die Staatskrise helfen keine Globuli
Wie lange wollen wir denn noch warten? Ende des Jahres könnte ein Nazi Ministerpräsident sein, acht Jahrzehnte nach der Hitler-Herrschaft, nach Holocaust und Weltkrieg. Müssen wir nicht jetzt endlich alle aufschreien, alle Register ziehen? Sind jetzt nicht alle maximal gefordert: die Politik, die Justiz, die Kultur, die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Medien – wir alle? Unser Staatswesen ist in Gefahr, und wir diskutieren über Agrardiesel und Globuli auf Rezept.
Haben wir eigentlich noch alle Tassen im Schrank?
In diesen Tagen und Stunden werden Treffen völkischer Netzwerke bekannt, an denen Funktionäre der AfD teilgenommen haben. Die Verbindungen reichen bis in die Parteispitze hinein. Zum Standard-Jargon der AfD gehört ja schon länger das Wort „Remigration“. Es geht in Wahrheit um die Deportation von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund. „Remigration“ klingt freilich netter. Wann erfinden diese Kreise ein neues Wort für „Konzentrationslager“, frage ich mich. Kann ja sein, dass sich kein afrikanisches Land findet, das die millionenfach Vertriebenen aufnehmen möchte …
Sogar Deutsche vertreiben
Es gibt keine Tabus mehr. Hier werden keine politischen Lösungen diskutiert, sondern rassistisch motivierte, faschistoide Verbrechen. Sogar deutsche Staatsbürger sollen ausgewiesen werden können. Wie das geht? Ganz einfach: Wer sich nicht konform verhalte, müsse die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren, hat gerade erst die AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel der neurechten Zeitung „Junge Freiheit“ gesagt. Kann man das Wort eigentlich steigern: grundgesetzwidrig, grundgesetzwidriger, am grundgesetzwidrigsten?
Die AfD hat sich längst bis zur Kenntlichkeit entblößt. Und sie hat das Potenzial, ihre Ziele in die Tat umzusetzen. Das genau ist der Unterschied zur NPD damals, als das Bundesverfassungsgericht urteilte, die Neonazis seien zu klein und unbedeutend für ein Verbot. Nun genau umgekehrt zu argumentieren, die AfD sei dafür zu groß, mutet vor dem Hintergrund schon etwas absurd an.
Björn-Höcke-Zitate
Ist es undemokratisch, eine Mehrheit daran zu hindern, die Demokratie abzuschaffen? Das Grundgesetz beantwortet das klar mit der verfassungsrechtlichen Ewigkeitsgarantie, wonach der Kern des Grundgesetzes nicht verändert werden darf, nicht einmal von einer 100-Prozent-Mehrheit. Die Frage ist nur: Was wäre das Papier, auf dem das steht, wert, wenn alle wichtigen Institutionen unserer Gesellschaft erst unterwandert sind? Noch ist es nicht zu spät.
In Sachsen und Thüringen etwa, dort, wo unter anderem die nächsten Landtagswahlen anstehen, stuft der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem ein. Es wäre schlau, einen Verbotsantrag zunächst mindestens für diese Landesverbände zu stellen. Eine Sammlung von Björn-Höcke-Zitaten dürfte reichen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Der politische Wille, der müsste dazu allerdings aufgebracht werden, das jetzt durchzuziehen, auch wenn das Verfahren womöglich Jahre dauert.
Es kommt jetzt auf jene 80 Prozent, die die AfD nicht wählen würden, an. Sie sollten nicht einfach zuwarten, sondern mit den anderen 20 Prozent das Gespräch suchen: in der Familie, im Kollegenkreis, im Verein. Jeder Fünfte würde, Stand jetzt, die Nazis wählen. Reden wir endlich darüber, was das bedeutet, was das mit uns macht, was es für unsere Freiheit, unsere Menschlichkeit und auch für unseren Wohlstand bedeutet! Führen wir endlich auch unangenehme Gespräche mit Menschen, die wir eigentlich mögen und die wir zurückholen können auf den Pfad der Vernunft!
PS: Niemand schadet sich mehr als ein AfD-Wähler: Klartext dazu gefällig?
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