Gladbeck. . Gladbecker Bündnis für Courage hatte zur Gedenkveranstaltung ins Dietrich-Bonhoeffer-Haus eingeladen. Vor 71 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit.
Zehn kleine Meckerlein, die saßen mal beim Wein. Der eine wußt’ von Goebbels was, da waren’s nur noch neun. Neun kleine Meckerlein, die haben was gedacht. Der eine hat es laut gedacht, da waren’s nur noch acht. – Auch die übrigen „Meckerlein“ machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube und tun, was den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge ist. Sie singen, spielen Musik von Juden, hinterfragen – und landen im Konzentrationslager Oranienburg: „Da waren’s wieder zehn.“ Dennoch verstummen beherzte Geister im Hitler-Deutschland nicht und müssen ihre Haltung oft teuer – nicht selten mit dem Leben bezahlen.
Erinnerung wach halten
Das Quartett „Die Grenzgänger“ verlieh jenen Künstlern, die sich nicht mundtot machen ließen, am Mittwochabend im Dietrich-Bonhoeffer-Haus erneut eine Stimme. Die Moorsoldaten, die „Meckerlein“ (Volksmund aus dem „Dritten reich“ nach der Melodie von „Zehn kleine Negerlein“), die Menschen, die in Lagern – einen grausamen Tod vor Augen – von Freiheit träumen – all diese Schicksale waren dank der eindringlichen Interpretation präsent. Anlass, an jene Menschen zu erinnern: Das Bündnis für Courage hatte zum Gedenken an den 71. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz geladen.
Man dürfe heutzutage nicht zulassen, dass die Opfer jener Zeit „noch einmal sterben, weil sie vergessen oder gar verleugnet werden“, sagte Bürgermeister Ulrich Roland mit Nachdruck. Stolpersteine auf Schritt und Tritt und Veranstaltungen wie diese seien Teil einer wichtigen Gedenkkultur: „Wir tragen keine Schuld an den Verbrechen der Nazis, aber Verantwortung, dass rechte Hetze und rechtes Gedankengut keinen Nährboden finden.“
„Latenter Rassismus“
Und genau dieser Punkt bereitet Courage-Sprecher Roger Kreft Bauchschmerzen. Er zog Parallelen vom Damals zum Heute: „innere Beklemmung in einer sich rasant verändernden Zeit“, Auseinanderklaffen von Arm und Reich, eine Tendenz, Sündenböcke zu finden. Ein „latenter Rassismus“ sei zu einer Gefahr geworden: „Tagtäglich werden Übergriffe gemeldet.“ Schockierend: „Die Täter stammen nicht unbedingt aus dem rechten Umfeld.“ Roland und Kreft beschworen das Auditorium geradezu: Wehret den Anfängen.
Das setzt auch voraus, dass in den Köpfen haften bleibt, zu was Menschen fähig sind. Indem die Stadt Gladbeck der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedenke, halte sie die Erinnerung an den Nationalsozialismus mit seinen Gräueln wach, so Rudolf Dreßler. Der SPD-Politiker und ehemalige Botschafter in Israel näherte sich dem Thema Antisemitismus analytisch mit historisch-politischen Fakten und einem Blick auf die Geschichte des Staates Israel.
Für Verstand und Herz
Während Dreßler den Verstand ansprach, erreichten die „Grenzgänger“ mit ihrer Musik die Herzen ihrer Zuhörer. Sänger und Gitarrist Michael Zachcial wusste, unter welchen Umständen die Lieder entstanden, was aus den Musikern und Liedschreibern wurde. Die erschütternden Biografien und bewegenden Texte, gepaart mit emotionalem Ausdruck in der musikalischen Darbietung, präsentierten die „Grenzgänger“ so bewegend, dass so manch einem Zuhörer eine Gänsehaut über den Körper lief. Trauer, Leid, Galgenhumor, Hoffnung – all dies legte das Quartett in seine Darbietungen. Sei es beim „Buchenwaldlied“ oder bei den „Zehn kleinen Meckerlein“, das einst hinter vorgehaltener Hand gesungen wurde und nun im Bonhoeffer-Haus wieder erklang.
Chronik eines unfassbaren Leidenswegs
Ihre „Chronik eines unfassbaren Leidenswegs“ hatten 17- und 18-Jährige des Heisenberg-Gymnasiums mit ihrer Lehrerin Dr. Carmen Giese für die Gedenkveranstaltung zusammengestellt. Größtenteils hatten sie sich bereits während der Stolperstein-Aktion mit der Zeit des Nationalsozialismus’ in Gladbeck beschäftigt und Schicksale recherchiert. An diesem Abend ließen die Schüler der Stufe Q2 Revue passieren, wie im Laufe der Jahre jüdische Mitbürger per Gesetz peu a peu entrechtet wurden.
Wie konnte das passieren?
Christoph Meyring, Isabelle Brenke, Jonas Ortmann, Jeremy Brosig, Reem Khalife, Julia Rabbe, Ceyda Ortabas, Lorena Quarrato und Gamze Varol am Klavier führten vor Augen, was es im Hitler-Deutschland hieß, Jude zu sein: boykottiert, diskriminiert, öffentlich gedemütigt, enteignet, terrorisiert, verfolgt und vernichtet. Die Schüler zitierten aus den Nürnberger Gesetzen und aus Zeitzeugnissen. Bei allem stellte sich die Frage: „Wie konnte das passieren?“
Auf einem Schwarz-Weiß-Bild trägt eine Frau ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: „Ich bin am Ort das größte Schwein und ließ mich mit Juden ein!“ Selbstkritische Feststellung: „Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, ich hätte etwas getan.“ Angesichts erschütternder Fotos – beispielsweise bergeweise Schuhe von KZ-Insassen – breitete sich bedrücktes Schweigen im Bonhoeffer Saal aus.