Gladbeck. Roger Kreft vom Bündnis für Courage Gladbeck sieht in Corona-Zeiten eine Verschärfung rechter Tendenzen. Wie er die aktuelle Lage beurteilt.

Die Bilder gehören fast schon so regelmäßig zum Leben in Corona-Zeiten wie die Meldungen über Inzidenzwerte. Menschen, die sich ohne Mund-Nasen-Schutz und Abstand zu Gleichgesinnten zusammenstellen, Politiker verbal angreifen und gegen Pandemie-Maßnahmen demonstrieren. Was sind das für Leute, die auf die Straßen gehen und häufig aggressiv auftreten? Wie sind sie in unsere Gesellschaft einzuordnen? Welche Rolle spielen rechtsextreme Parteien? Roger Kreft, Sprecher des Bündnisses für CourageGladbeck, hat die aktuelle Situation genau im Blick.

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WAZ: Immer wieder ist in politischen und wissenschaftlichen Kreisen die Rede davon, dass sich in der Corona-Krise rechte Tendenzen verschärfen. Würden Sie dieser These zustimmen?

Roger Kreft: Ja, die Lage hat sich meiner Beobachtung nach verschärft. Ich war auf der einen oder anderen Demo von Verschwörungstheoretikern, und es war ganz klar zu sehen: Hier vermengen sich rechtsextreme Kräfte jeglicher Couleur mit Hooligans und – in Anführungsstrichen – ganz normalen Bürgern. Das ist eine Vermischung verschiedener Gruppen und Interessen, ähnlich wie bei den Pegida-Veranstaltungen. Ich bin sicher, dass es auch in Gladbeck diese Leute gibt. Es kann mir keiner sagen, dass das nicht so ist.

Woran machen Sie diese Aussage fest?

Gladbeck ist immer noch eine rechte Hochburg im Land. Das will man hier nicht gerne hören. Aber in Gladbeck haben wir die zweitmeisten AfD-Wähler, nach Gelsenkirchen. Das muss ganz klar gesagt werden. Von rund 26.800 abgegebenen Stimmen haben zuletzt etwa 2500 Gladbecker die AfD gewählt. Sie holte bei der Kommunalwahl im September 2020 fast zehn Prozent – wieder einmal. Das ist erschreckend. Antisemitismus und Rassismus spielen eine immer größere Rolle.

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Inwiefern?

Rechte Gruppierungen und die Initiatoren von Demos schüren die Ängste der Bürger. Da kommen ganz skurrile Aussagen. Juden sind ja sowieso immer an allem schuld. QAnon-Anhänger, die Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund im Internet verbreiten, erzählen von einem weltweiten Pädophilen-Netzwerk. Rechte behaupten, dass das Virus von Einwanderern – zum Beispiel aus dem Irak – zu uns gebracht wurde und wir die Grenzen schließen müssten: Das ist purer Rassismus! Die Identitäre Bewegung, der Dritte Weg und andere setzen ebenfalls Geschichten in die Welt unter dem Deckmäntelchen „Anti-Corona-Demonstration“. Da laufen die Menschen ohne oder mit durchlöcherter Maske herum, halten keine Abstände.

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Mit welchem Ziel handeln die Initiatoren?

Sie alle haben nur eines vor: Sie wollen den Staat kippen und ihre eigene Weltordnung durchsetzen. Man muss doch nur mal auf Facebook gucken. Was da geschrieben steht, ist Hetze und purer Hass. Und es ist auch klar: Die Hemmschwelle ist so weit gesunken, dass heutzutage viele etwas aussprechen, was sie früher nur gedacht haben. Da wird einem auch gesagt: „Was ist gegen die AfD einzuwenden? Das ist doch eine demokratisch gewählte Partei?“ Mag sein, dass die AfD demokratisch gewählt wurde. Aber es handelt sich um keine demokratische Partei.

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Hans-Georg Weichert (Bündnis für Courage Gladbeck), Jens Bennarend (SPD), Ninja Lenz (Grüne), Dieter Plantenberg (BIG), Nina Krüger (SPD), Roger Kreft (Courage, v.l.) und Michael Tack (FDP, nicht im Bild) haben eine politische Erklärung zum Umgang mit der AfD verfasst.
Hans-Georg Weichert (Bündnis für Courage Gladbeck), Jens Bennarend (SPD), Ninja Lenz (Grüne), Dieter Plantenberg (BIG), Nina Krüger (SPD), Roger Kreft (Courage, v.l.) und Michael Tack (FDP, nicht im Bild) haben eine politische Erklärung zum Umgang mit der AfD verfasst. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Welche Rolle spielt die AfD ihrer Einschätzung nach bei den so genannten Corona-Demonstrationen?

Sie ist der Brandbeschleuniger in dieser Entwicklung. Sie zündelt und legt Schwelbrände, um viele Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Der normale Bürger wählt die Rechten aus Angst. Die AfD ist vergleichbar mit der NSDAP, geht aber raffinierter vor. Sie versucht, in Kindergärten, als Schöffen, in Freien Schulen und auf vielen anderen Gebieten unterzukommen und auf diese Weise Einfluss zu nehmen. Die Gefahr ist sehr komplex und wird immer stärker werden. Wir müssen gehörig aufpassen.

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Was setzen Sie vom Bündnis für Courage dagegen?

Wir müssen viel Aufklärungsarbeit betreiben: Was macht die AfD? Was will sie? Wie nutzt sie andere? Wir als Bündnis wollen informieren und die Gladbecker dazu aufrufen: Fallt nicht darauf ‘rein! Guckt genau hin!

Sie sehen die Demokratie in Deutschland in Gefahr?

Eindeutig „ja“! Wir müssen die Demokratie verteidigen, sie schützen und auch pflegen. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, man schaue beispielsweise nur mal nach Ungarn.

Bündnis für Courage

Das Bündnis für Courage Gladbeck wurde im Juli 2007 gegründet. Seinerzeit kamen in der Stadt Nazi-Strukturen ans Tageslicht. Roger Kreft erinnert sich an Graffiti, Aufkleber und Flyer mit rechtsextremen Inhalten.

Bei dem Zusammenschluss von Aktiven, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und ein Vergessen deutscher nationalsozialistischer Geschichte engagieren, handelt es sich nicht um eine geschlossene Gruppe, in der Interessierte Mitglieder sind. Wer mag, darf sich einbringen. Allerdings: In Corona-Zeiten sind keine regelmäßigen Treffen möglich.

Rechnen Sie mit einem Anstieg des Wählervotums für die AfD bei der Bundestagswahl im September?

Ich hoffe nicht! Wir tun jedenfalls alles, um das zu verhindern! Wir haben viel zu tun, da muss man auch Mitstreiter haben.

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In Pandemie-Zeiten sind Veranstaltungen und Besuche in Schulen, wie Sie es sonst schon gemacht haben, nicht möglich. Was haben Sie statt dessen ins Auge gefasst?

Es ist wichtig, dass wir gerade bei der Jugend ansetzen. Sobald wir wieder dürfen, werden wir in die Schulen gehen und informieren. Wir sollten doch ein Vorbild für unsere Jugend sein. Flugblätter werden erstellt. Wir überlegen auch, uns mit anderen Bündnissen im Kreis Recklinghausen zu vernetzen.

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