Essen. Die Schadstoff-Grenzwerte in der Nähe der Rauchwolke über Krefeld und Duisburg lagen teilweise über dem 30-fachen des Erlaubten. Dennoch habe keine akute Gefahr bestanden, teilt die Bezirksregierung mit. Ein Toxikologe warnt jedoch vor Gesundheitsrisiken besonders für Kinder und Asthmatiker.

Die erste Reaktion von Dr. Hermann Kruse ist kurz - aber deutlich: "Oha!" und "Donnerwetter!" sagt der Toxikologe der Universität Kiel, als er von den Messwerten in unmittelbarer Nähe der Rauchwolke nach dem Großbrand der Düngemittelfabrik in Krefeld hört. Stets hieß es von den Behörden, die Schadstoffwerte lägen unterhalb der Toleranzgrenze. Doch die Messergebnisse, die das Landesumweltamt (LANUV) auf seiner Homepage veröffentlicht hat, scheinen in krassem Widerspruch dazu zu stehen. Der Experte hält die Werte für ganz und gar nicht unbedenklich.

Augenreizungen, Atemwegsbeschwerden und allgemeines Unwohlsein - das seien die typischen Beschwerden, mit denen Menschen rechnen müssten, die mit dem giftigen Qualm in Berührung gekommen sind oder ihn eingeatmet haben. Wenn die Wolke in dicht besiedelte Wohngebiete hineindrifte werde es für die Anwohner gefährlich. Besonders Kinder, Asthmatiker oder Menschen mit Herz-Kreislauf-Beschwerden seien akut belastet, sagt Dr. Hermann Kruse. Aber auch Gesunde müssten mit nachhaltigen Schäden rechnen. Tatsächlich klagten zahlreiche Bürger in den vergangenen Tagen über die beschriebenen Symptome.

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    Dass die Behörden Entwarnung gaben "verstehe ich nicht", sagt Kruse. Denn dass die Werte für Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub (PM10) unterhalb der Toleranzgrenze lagen, "stimmt eindeutig nicht". Der Grenzwert für beide Schadstoffe liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter und wurde in den vergangenen Tagen an der Messstelle Krefeld-Hafen, die in unmittelbarer Nähe der abgebrannten Lagerhalle steht, mehrfach, dauerhaft und deutlich überschritten, wie die Messergebnisse des LANUV zeigen.

    So kletterte der Wert für Stickstoffdioxid am Dienstag um 10 Uhr, also kurz nach Ausbruch des Feuers, erstmals über die kritische Grenze auf 150, abends um 22 Uhr lag er bei 1265 und erreichte am Mittwoch um 6 Uhr den Spitzenwert von 1336 Mikrogramm pro Kubikmeter - das ist mehr als das 30-fache des Erlaubten. Erst am Nachmittag sanken die Werte unter 40 Mikrogramm, jedoch nur für kurze Zeit.

    Auch die Feinstaubwerte lagen in den vergangenen Tagen klar über der Alarmgrenze. Am Dienstagabend wurden Werte weit über 100 gemessen und stiegen bis Mittwochnacht auf 173 Mikrogramm. Danach ist die Messstation offenbar ausgefallen, der nächste Wert liegt erst wieder für Donnerstagnachmittag vor und ist mit 229 deutlich zu hoch. Selbst am Freitagmorgen um 1 Uhr hat das LANUV noch einen Wert von 137 gemessen. Für die benachbarte Messstelle in Duisburg-Hüttenheim weist das LANUV keine kontinuierlichen und online einsehbaren Messdaten auf.

    Besonders die Feinstaub-Messwerte beunruhigen Dr. Hermann Kruse: "Von Feinstäuben geht die größere Gefahr aus, sie haben eine länger anhaltende und tiefere Wirkung. Bei solchen Werten zuckt der Toxikologe zusammen." Entzündungen des Lungenapparats und Herz-Kreislauf-Probleme könnten die Folge sein, sagt Kruse. Zudem seien die Schadstoff-Spitzenwerte für Menschen mit Vorschädigungen und Kinder sogar gefährlicher als die Langzeitbelastungen. Deshalb sei es "total widersprüchlich", Schulen und Kindergärten zunächst geöffnet zu lassen, um sie am Donnerstag teilweise zu schließen, so wie in Duisburg.

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      Zwar nehme die Schadstoff-Belastung schon in etwa einem Kilometer Abstand zur Rauchwolke erheblich ab, sagt Dr. Hermann Kruse, ungefährlich sei sie aber auch dort nicht. So rät der Toxikologe davon ab, Obst und Gemüse zu verzehren, dass im Umkreis von 500 Metern zur Rauchwolke wächst. "Natürlich geht der Feinstaub auch auf den Bewuchs nieder. Ich würde beides für mehrere Wochen nicht essen." Lediglich Obst und Gemüse mit glatter Oberfläche (zum Beispiel Äpfel) könne verzehrt werden, nachdem es sorgfältig mit warmem Wasser gewaschen wurde.

      Bezirksregierung bestreitet akute Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung 

      Obwohl die Messwerte öffentlich zugänglich sind und den Behörden bekannt waren, wurde stets betont, dass die Messwerte unterhalb der Toleranzgrenze lägen. Es wurde lediglich geraten, Fenster und Türen in bestimmten Bereichen geschlossen zu halten. Von der Rauchwolke gehe aber keine Gefahr aus, sie stinke lediglich. Am Mittwoch allerdings warnte die Stadt Krefeld auf ihrer Internetseite: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Brandrauch gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen kann." Kurz darauf wurde der Gefahren-Hinweis wieder entfernt. Man habe deeskalieren wollen, sagte ein Stadtsprecher.

      Die Bezirksregierung Düsseldorf teilte am Freitag wiederum mit, dass die in der Rauchwolke vorhandenen Schadstoffkonzentrationen keine akute Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung darstellten. Die Beurteilung sei -wie bei Großbränden üblich - auf der Grundlage von störfallbezogenen Bewertungskriterien erstellt worden. Mit diesen Kriterien sind die Störfallbeurteilungswerte der AEGL-Stufe 1 gemeint, ab der Reizungen der Schleimhäute auftreten können, eine akute Gesundheitsgefährdung jedoch nicht vorliegt. Das Landesumweltamt legte diese Auslegung schon vor einigen Tagen zugrunde. Außer unmittelbar am Brandherd seien diese Grenzen bei allen Schadstoffen unterschritten worden, hieß es dort.

      BUND erstattet Anzeige gegen Compo

      Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat am Freitag bei der Staatsanwaltschaft Krefeld Strafanzeige gegen den Düngemittelhersteller Compo erstattet. Der Umweltverband wirft der Firma Luftverunreinigung und Gefährdung durch das Freisetzen von Giften sowie Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete vor. "Die brennbaren Stoffe wurden anscheinend in einer circa 100 Jahre alten, holzüberdachten Halle gelagert", sagte die Chemieexpertin des BUND, Angelika Horster. Ob diese für die Lagerung brennbarer Stoffe noch geeignet war, gelte es jetzt zu prüfen. Bislang gibt es nach den Angaben der Polizei keine Anhaltspunkte für eine fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung in der Lagerhalle für Düngemittel. Compo nahm am Freitagnachmittag zu dem Vorwurf Stellung: Man nehme die Sorgen des BUND sehr ernst, schrieb das Unternehmen in einer Stellungnahme. "Wie bisher werden wir durch größtmögliche Transparenz dazu beitragen, dass diese Sorgen in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden ausgeräumt werden."

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      Die Stadt Essen hat bereits Konsequenzen aus dem Großbrand gezogen. Künftig wird für alle größeren Störfälle eine zentrale telefonische Hotline bei der Feuerwehr geschaltet, die jeden Bürger auf einen so einheitlichen wie aktuellen Erkenntnisstand bringen soll. (mit Material von dapd)