Essen. 41-Stunden-Woche als Lehrerin: „Das ist eine reine Fantasie-Zeit“, sagt Katharina Schulz aus NRW. Warum Lehrkräfte so viele Überstunden machen.

Es war mal wieder einer dieser Tage, an dem Katharina Schulz (Name geändert) nach der Schule völlig erschöpft nach Hause kam. Erst der Unterricht. Dann die Vorbereitungen für den nächsten Tag, Konferenzen im Kollegium, zwischendurch noch die Pausenaufsicht. Und am Abend der Elternsprechtag.

Trotzdem ist Katharina im Alltag immer wieder mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Lehrkräfte wie sie doch so viel Urlaub und Freizeit hätten. „Ich arbeite als Lehrerin so viel mehr als in meinem Vertrag steht. Und trotzdem denkt sogar meine Familie teilweise noch, ich hätte jeden Tag ab 13 Uhr frei“, sagt die 29-Jährige.

Wie alle Beamtinnen und Beamte sollten Lehrkräfte in NRW eine 41-Stunden-Woche haben. Doch viele von ihnen machen unbezahlte Überstunden. So liegt die Wochenarbeitszeit laut dem Deutschen Schulportal im Schnitt bei 46 Stunden und 38 Minuten, die Ferienzeit einberechnet. Das jüngst veröffentlichte Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung zeigt außerdem: Mehr als ein Drittel der Lehrkräfte fühlt sich emotional erschöpft. Vor allem jüngere und weibliche Lehrkräfte sind laut Befragung betroffen. Katharina Schulz fordert daher nun eine Arbeitszeiterfassung. Und damit ist sie nicht allein.

Lehrkräfte in NRW arbeiten nach dem umstrittenen Deputatsmodell

„Eine Arbeitszeiterfassung ist der einzige Weg,“ betont Ayla Çelik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW. Und auch Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) sagt: „Aufgrund des ,Stechuhr-Urteils‘ stellt sich nicht die Frage, ob, sondern eher wann die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte kommt.“ Der Europäische Gerichtshof hatte bereits 2019 beschlossen, die Arbeitszeiterfassung zur Pflicht zu machen.

Lehrkräfte arbeiten in NRW nach dem sogenannten Deputatsmodell. Sie geben eine festgelegte Zahl an Unterrichtsstunden, die von der Schulform abhängig ist. An Gymnasien und Gesamtschulen liegt diese zun Beispiel bei 25,5 Stunden, an Grund- und Hauptschulen bei 28 Stunden. In der restlichen Zeit sollen sie all die anderen Aufgaben abseits des Unterrichtens erledigen. Schulz, die an einer Gesamtschule in einer kleinen Stadt im Ruhrgebiet arbeitet, blieben dafür laut Modell also noch 15,5 Stunden pro Woche.

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Doch das reicht nicht aus, sagt sie: „Die 41 Stunden, die im Vertrag stehen, sind eine reine Fantasie-Zeit. Ich arbeite oft weit über 50 Stunden die Woche.“ Allein für die Vor- und Nachbereitung einer einzigen Unterrichtsstunde würde sie bis zu einer halben Stunde benötigen.

Hinzu kommen Tests, Klassenarbeiten und Klausuren, die sie erstellen und korrigieren muss. „Gerade jetzt in der Abi-Zeit geht fürs Korrigieren wahnsinnig viel Zeit drauf. Da hängt viel dran für die Schüler, das kann man nicht mal eben machen. Für eine Abiklausur braucht man bis zu zwei Stunden.“

Darüber hinaus würden viele weitere, meist organisatorische Aufgaben anfallen, etwa durch Elterngespräche, Notenkonferenzen, Klassenfahrten, Vertretungsstunden. Um ihre To-Do-Liste abzuarbeiten, setzt sich Schulz jeden Abend an den Schreibtisch. „Es gibt so viel zu tun, dass ich auch jedes Wochenende vier, fünf Stunden arbeite“, sagt sie.

Arbeitszeiterfassung löst Probleme vieler Lehrkräfte nicht

Das Problem, dass viele Lehrkräfte in NRW zunehmend überlastet sind, lässt sich durch die Zeiterfassung allein nicht lösen. Da sind sich GEW und VBE einig. Es brauche vielmehr grundlegend neue Konzepte, das Deputatsmodell müsse reformiert werden. Die Arbeitszeiterfassung könne aber ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu besseren Arbeitsbedingungen sein. Denn so würde sichtbar werden, wie viel mehr als vertraglich vereinbart an vielen Schulen geleistet wird.

Der Lehrerverband NRW zeigt sich hingegen skeptisch. „Wir fahren gut mit der Vertrauensarbeitszeit“, sagt Verbandspräsident Andreas Bartsch. Er setzt auf Anrechnungsstunden, damit die Arbeitsbelastung innerhalb des Kollegiums besser verteilt wird. Denn für jede Anrechnungsstunde muss eine Lehrkraft eine Unterrichtsstunde weniger geben. „Die Anrechnungsstunden können Schulleiter individuell je nach Belastung der Lehrkräfte verteilen. An Deutschlehrer zum Beispiel, die im Schnitt zehn bis 15 Stunden pro Woche nur an den Korrekturen der Klassenarbeiten und Klausuren sitzen.“

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Bartsch warnt außerdem davor, dass eine Arbeitszeiterfassung den Unterrichtsausfall massiv verschärfen würde. Schließlich müssten die Überstunden ja auch abgebaut werden. „Das wissen auch die Politiker, deshalb sind sie da so zurückhaltend“, sagt er.

NRW-Schulministerium: „Arbeitszeit der Lehrkräfte lässt sich nicht klassischs messen“

Aus dem NRW-Schulministerium heißt es dazu, dass man Diskussionen offen gegenüberstehe. Derzeit prüfe man, „inwieweit die Gestaltung der Lehrkräftearbeitszeit Potenziale zu einer Verbesserung der Unterrichtsversorgung erschließen“, und ob sich „die Arbeitsgestaltung der Lehrkräfte optimieren“ ließe. Außerdem weist das Ministerium darauf hin, dass Schulen bereits jetzt die Möglichkeit hätten, eigenständig neue Arbeitszeitmodelle zu testen. Bevor landesweit neue Regelungen getroffen werden, wolle das Ministerium jedoch auf ein Bundesgesetz zur Arbeitszeiterfassung warten.

Wie genau die Arbeitszeiterfassung aussehen könnte, sei unklar. „Die Arbeitszeit der Lehrkräfte lässt sich nicht nach einem klassischen Arbeitszeitverständnis messen, wie das etwa bei einem Bürojob der Fall ist“, heißt es dazu.

Diese Herausforderung sieht auch Katharina Schulz. „Es ist sicherlich nicht einfach, da eine gute Lösung zu finden“, sagt sie. „Aber die Arbeitszeiterfassung ist wichtig. Damit es endlich nicht mehr heißt: ,Ihr arbeitet doch nur bis 13 Uhr.‘ Sondern dass man uns Lehrer versteht, wenn wir sagen: Wir sind überlastet.

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