Düsseldorf/Essen. Um mehr Lehrkräfte in die Klassen zu bringen, sollen sie nicht mehr so leicht ihre Arbeitszeit reduzieren können. Das weckt Widerstand

Immer mehr Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit. Laut dem Statistischen Bundesamt stieg der Anteil der Teilzeit-Pädagogen in Schulen seit 2005 um gut drei Prozentpunkte auf 40,5 Prozent im Jahr 2021. Die nordrhein-westfälische Landesregierung lässt nun die Anträge auf Teilzeit strenger prüfen als bisher. Diese Prüfung ist eines von vielen Instrumenten im Kampf gegen den Lehrermangel. Gibt es zu viel Teilzeit-Lehrkräfte in den Schulen? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Heute ist es kaum vorstellbar, aber es gab tatsächlich eine Zeit, in der Lehrerinnen und Lehrer zu weniger Arbeitszeit gezwungen wurden. Ulrike Behrendt (64), Grundschullehrerin an der Funke-Schule in Dortmund-Dorstfeld und aktiv in der Gewerkschaft GEW, startete vor etwa 25 Jahren im Münsterland in „Zwangs-Teilzeit“ in den Lehrberuf. Die politische Begründung dafür: Damals habe es noch zu viele Lehrer gegeben. Heute ist Behrendt Lehrerin in Vollzeit, hat aber einen Teilzeit-Antrag zum neuen Schuljahr gestellt. „Ich merke, dass ich den Belastungen nicht mehr so gewachsen bin“, sagt sie.

„Viel schwierigere Klassen“

Die Pädagogin stellt nach vielen Jahren im Schuldienst fest, dass sich die Arbeitsbedingungen dramatisch verändert hätten: „Man arbeitet heute in viel schwierigeren Klassen. Manche Eltern sprechen kaum Deutsch, können nicht richtig lesen und schreiben. Diese Menschen erreichen sie nicht über einen Elternbrief.“ Die Lehrkräfte hätten viel mit „Schul-Absentismus“ zu tun, also mit Kindern, die oft dem Unterricht fernbleiben.

Es gehe nicht mehr nur ums Unterrichten, man müsse die Probleme der Familien gleich mit im Blick haben. Besonders an jenen Schulen mit dem Etikett „Brennpunktschule“. „Da gibt es Kinder, die plötzlich aufstehen und wegrennen, die ausrasten, schlagen und treten. Das ist unglaublich kräftezehrend“, erzählt Behrendt.

Inklusion findet die 64-Jährige gut, wichtig und richtig. Doch es fehlten Sonderpädagogen, die sich um Kinder mit Förderbedarf kümmern könnten. Der Bürokratie-Aufwand werde zudem immer größer, die Arbeit in einer „Fast-Schrottimmobile“ immer schwerer. Manchmal müssten die Lehrkräfte selber zu Lappen und Eimern greifen, weil die Reinigungskräfte kaum noch die Zeit hätten, um richtig zu putzen. „Diese Verhältnisse belasten mich zunehmend. Ich leide unter Schlafstörungen Das ist so zermürbend, und das macht mich auch wütend“, sagt Behrendt.

Teilzeit als „Notausgang“

Teilzeit sei für viele ihrer Kolleginnen und Kollegen eine Art „Notausgang“. Das Motto: „Wenn ich es nicht mehr schaffe, dann kann ich immer noch reduzieren.“ Die Idee der NRW-Regierung, Teilzeit-Anträge strenger zu prüfen, macht Behrendt Angst. Es werde dadurch wohl noch schwieriger, Menschen für den Lehrerberuf zu motivieren.

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Das Schulministerium bestätigt, dass es in seinem „Handlungskonzept zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung“ auch um die Teilzeit gehe. „Vorgesehen ist eine genaue Prüfung der Anträge auf voraussetzungslose Teilzeitbeschäftigung“, erklärt ein Sprecher. Damit ist Teilzeit gemeint, die nicht mit familiären Nöten wie zum Beispiel Kinderbetreuung oder Pflege begründet werden kann. Das Ministerium legt aber Wert auf die Feststellung, dass die voraussetzungslose Teilzeit mitnichten abgeschafft werde. Der Lehrkräftemangel könne aber ein Grund dafür sein, einen Teilzeitantrag – nach Einzelfallprüfung – auch abzulehnen.

Hohe Teilzeitquote unter Lehrkräften

Den Plan von Schulministerin Dorothee Feller (CDU), die Teilzeitquote zu senken, um auch so die Unterrichtsversorgung zu verbessern, sieht der Essener Bildungswissenschaftler Klaus Klemm kritisch. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stieg der Anteil der Teilzeit-Lehrkräfte in NRW seit 2005 um gut drei Prozentpunkte auf 40,5 Prozent im Jahr 2021.

Damit ist die Quote bei Lehrkräften überdurchschnittlich hoch, über alle Wirtschaftsbereiche hinweg sind 29,9 Prozent der abhängig Beschäftigten in Teilzeit. Der über die Jahre relativ geringe Anstieg der Quote könne aber den aktuellen Lehrkräftemangel nicht erklären, versichert Klemm.

Familie und Beruf vereinbaren

Zugleich sei eine Teilzeit-Tätigkeit gerade für Frauen interessant, die Familie und Beruf vereinbaren wollten. Würde die Politik ihnen diesen Weg verbauen, würden viele Lehrerinnen wohl eher ganz aus dem Beruf gehen, glaubt er.

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Viele ältere Kollegen wählten vor allem deshalb Teilzeit, weil sie den alltäglichen Stress nicht mehr aushalten würden, bestätigt die Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Ayla Celik. Ähnlich sieht es die Landeselternschaft der integrierten Schulen (Leis) in NRW. Leis-Vorsitzende Stephanie Helder-Notzon sagt: „Ich kenne viele Lehrerinnen und Lehrer, die aufgrund der Intensität und der Gewissenhaftigkeit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit Teilzeit an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gehen.“

Grundschullehrerin Ulrike Behrendt plädiert vehement gegen Einschnitte bei der Teilzeit, dafür aber für viel mehr Personal in den Klassen: „Wir brauchen Verwaltungsassistenten, Sonderpädagogen, Schulsozialarbeiter, wir brauchen auch Alltagshelferinnen und Alltagshelfer. Die sind besser als nichts.“

>>>> Maßnahmen gegen Lehrkräftemangel

Zum Handlungskonzept des Landes gegen den Lehrkräftemangel zählen zum Beispiel auch das Anwerben von Seiteneinsteigern und von „Alltagshelfern“, mehr Plätze für Lehramtsstudierende in den Hochschulen, Abordnungen von Pädagoginnen und Pädagogen zu Schulen mit besonders großem Personalmangel sowie etwas strengere Regeln für die Versetzung in den Ruhestand.

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