Essen. Immer öfter kommt es an NRW-Schulen zu Konflikten zwischen Eltern und Lehrern. Ein Schulexperte, erklärt woran das liegt – und gibt Tipps.
Der Personalmangel in den Schulen stellt Lehrkräfte und Eltern derzeit vor eine Belastungsprobe. Das beeinflusst auch ihr Verhältnis zueinander, sagt Uwe Sonneborn, Vorstandsmitglied des Landesverbandes Schulpsychologie in NRW, im Gespräch mit Laura Lindemann.
Haben Konflikte zwischen Lehrkräften und Eltern zugenommen?
Uwe Sonneborn: Ja, eindeutig. Sowohl Lehrkräfte als auch Eltern sind in ihrem Alltag zunehmend überfordert – und geben sich dann gegenseitig die Verantwortung. Allerdings ist der Erziehungs- und Bildungskonsens, wie er auch im Schulgesetz verankert ist, zwischen Eltern und Lehrkräften nicht mehr so gegeben wie früher. Oft haben sie unterschiedliche Vorstellungen von der Erziehung ihrer Schützlinge. Viele Eltern vertrauen den Lehrerinnen und Lehrern in ihrem Handeln nicht mehr und umgekehrt.
Woran liegt das?
Oft fehlt das Verständnis für die jeweils andere Seite. Viele Eltern wissen nicht, was Lehrkräfte neben dem Schulalltag alles stemmen müssen. Früher war Schule simpler, Eltern hatten noch eine gute Vorstellung davon, wie sie funktioniert. Die Anforderungen an Lehrkräfte sind enorm gestiegen – etwa durch mehr Verwaltungsaufgaben und herausforderndes Verhalten von Schülern und Schülerinnen. Aber auch Eltern sind stärker belastet. Etwa durch Arbeit und finanzielle Herausforderungen stehen sie immer mehr unter wirtschaftlichem und sozialem Druck. Das wirkt sich wiederum auf ihre Kinder und deren Verhalten aus. Durch das fehlende Wissen darüber werden oft Dinge erwartet, die beide Parteien in diesen Zeiten nicht leisten können.
Welche Folgen hat der Lehrermangel im Schulalltag?
Das bringt ebenfalls Konflikte mit sich. Viele Lehrkräfte beklagen, dass die Beziehungsarbeit mit den Kindern immer häufiger zu kurz kommt. Während Vertretungskräfte damit beschäftigt sind, eine fremde Klasse über die Schulstunde hinweg zu händeln, machen sich Eltern Sorgen, dass ihre Kinder die Unterrichtsinhalte nicht richtig vermittelt bekommen.
Wie kann man die Konflikte lösen?
Wenn sich Konflikte zuspitzen, setzen wir Schulpsychologen uns immer häufiger mit Eltern, Lehrern und manchmal auch Sozialarbeitern oder dem Jugendamt zusammen, an sogenannte runde Tische. In den letzten Monaten gab es davon so viele wie noch nie. In einer vermittelnden Funktion versuchen wir, gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Aus einer neutralen Position heraus können wir Dinge deutlicher sagen als eine Lehrkraft oder Eltern, die es sich nicht miteinander verscherzen wollen. Es ist wichtig, dass die Eltern sich dafür interessieren, wie Lehrerinnen und Lehrer arbeiten. In dem Zusammenhang können sie mehr Verständnis aufbringen.
Lehrkräften hingegen ist oft nicht klar, dass sie den Eltern gegenüber noch transparenter zeigen sollten, wie sie arbeiten. Zudem sollten Schulen eine Zusammenarbeit mit den Eltern deutlicher einfordern.
Es ist verständlich, dass überlastete Lehrkräfte jeden zusätzlichen Aufwand vermeiden wollen. Dennoch kann es hilfreich sein, mal ein Elterngespräch mehr zu führen. Dadurch gewinnen beide Seiten an Klarheit, Lehrkräfte können besser einschätzen, was Eltern sich wünschen – und umgekehrt.
Kündigungen an Schulen haben sich verdreifacht
Der Lehrkräftemangel spitzt sich weiter zu: Die Zahl der Kündigungen bei Lehrerinnen und Lehrern in NRW hat sich in den vergangenen Jahren fast verdreifacht, berichtete der WDR am Dienstag (28.3.). Im Jahr 2022 sind laut WDR-Recherche fast 800 Beschäftigte an Schulen aus ihrem Job ausgestiegen. Darunter sei auch pädagogisches Personal wie Sozialpädagogen gewesen. 286 Kündigungen seien von verbeamteten Lehrkräften gekommen. Insgesamt sind in NRW rund 181.000 Lehrkräfte beschäftigt.
„Jede Lehrkraft, die aus dem Dienst ausscheidet, ist eine zu viel“, sagte Wibke Poth, Vize-Landesvorsitzende der Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) am Dienstag. Der Anstieg der Kündigungen zeige die gestiegene Belastung. Die neuen Maßnahmen der Landesregierung zur Bekämpfung des Lehrermangels kritisiert der VBE in NRW als „nicht zielführend“. So mache etwa die Einschränkung der Teilzeit den Beruf nicht attraktiver, so Poth.
Einschränkung der Teilzeit
Um mehr Lehrerinnen und Lehrer in die Klassen zu bringen, will NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) die Anträge auf Teilzeit strenger prüfen als bisher. Das Vorhaben der Landesregierung hatte in NRW zu Debatten geführt.
Verbände und Lehrkräfte äußerten sich skeptisch und fürchteten dadurch eine noch höhere Fluktuation der Lehrkräfte. Laut dem Statistischen Bundesamt stieg der Anteil der Teilzeitpädagogen in Schulen in NRW seit 2005 um gut drei Prozentpunkte auf 40,5 Prozent im Jahr 2021.
10.000 neue Lehrerstellen
Als ein weiteres Instrument im Kampf gegen den Lehrkräftemangel kündigte Feller an, bis 2027 zusätzlich 10.000 neue Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen zu bringen und die Eingangsbesoldung für alle Lehrer auf A13 anzuheben. Das hatten CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
Die SPD-Opposition kritisierte, bislang bleibe die schwarz-grüne Koalition „viel zu vage“. Es sei unter anderem nötig, die Zahl der Lehramtsstudienplätze an Universitäten, angepasst an den Bedarf der unterschiedlichen Schulformen, auszuweiten.