Essen. Anna arbeitet erst seit kurzem als Lehrerin in NRW – und denkt trotzdem schon ans Kündigen. Warum das Studium nur eins von vielen Problemen ist.

Anna (Name geändert) arbeitet erst seit zwei Jahren als Lehrerin im Ruhrgebiet. Doch auch sie denkt schon darüber nach, den Job zu wechseln. Hier berichtet die 29-Jährige anonym von ihren Erfahrungen im Schulalltag:

„Ich bin seit zwei Jahren Lehrerin und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht darüber nachdenke, auszusteigen. Ich arbeite an einer Gesamtschule in einer kleineren Ruhrgebietsstadt. Ich habe die Klassenleitung für eine Klasse mit Förderschwerpunkt. Das bedeutet, dass drei Kinder in dieser Klasse enorme soziale und emotionale Probleme haben. Wenn sie zum Beispiel wütend werden, schmeißen sie Tische um. Das passiert eigentlich in jeder Stunde.

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Auf Herausforderungen wie diese wurde ich null vorbereitet. Das Studium ist überhaupt nicht auf die Schwierigkeiten, die einem im Schulalltag begegnen, ausgerichtet. An der Uni ging es eher darum, dass ich eigentlich gar keine Lehrerin im klassischen Sinne mehr sein sollte, die vor der Tafel steht und den Kindern etwas beibringt, sondern nur noch eine sogenannte Lernbegleiterin. Die Schüler sollten sich die Inhalte schließlich lieber selbst erarbeiten. Ich sollte nur dann einspringen, falls ein Kind mal eine Rückfrage hat.

Lehrerin kritisiert: Studium bereitet nicht auf Schulalltag im Ruhrgebiet vor

Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich nur die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Wie soll das bitte funktionieren, wenn die Schüler nicht mal in der Lage sind, die Aufgabenstellung allein zu verstehen? Dass an den Schulen eine ganz andere Realität herrscht, als uns im Studium vermittelt wird, habe ich schon im Referendariat gemerkt.

Das habe ich an einer Schule im Essener Norden absolviert. Ich kann mich gut durchsetzen und habe es geschafft, mich auch dort zu beweisen. Aber das war nicht bei allen so. Zwei meiner Kolleginnen und Kollegen haben schon im Referendariat aufgehört, eine andere hat direkt danach den Job gewechselt.

Lehrerin im Ruhrgebiet: „Viele Schüler haben unfassbar große Probleme“

Ich kann sie verstehen. Der Beruf ist extrem anstrengend und belastet einen auch emotional sehr. Viele Schüler haben unfassbar große Probleme, egal ob das jetzt durch die Corona-Pandemie oder die Sozialen Medien kommen mag. Sie haben ein schlechtes Selbstwertgefühl, sind total aufs Handy fixiert.

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An meiner Schule gibt es jegliche Formen von Essstörungen. Einmal musste ich sogar ein Mädchen aus der Toilette rausholen, weil es sich selbst verletzen wollte. Wie man damit am besten umgeht, habe ich im Studium nie gelernt.

Weniger Teilzeit für Lehrkräfte in NRW führt zu Kündigungen

Hinzu kommt, dass vielen jungen Menschen wie mir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig ist. Ich selbst habe eine Zeit lang nur in Teilzeit gearbeitet, weil ich meine Oma gepflegt habe. Doch diesen Teilzeit-Antrag überhaupt durchzukriegen, war, sagen wir, abenteuerlich.

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Und jetzt wird es uns Lehrkräften sogar noch schwerer gemacht, wenn wir unsere Arbeitszeit reduzieren wollen. Ich weiß von vielen Kolleginnen, die deshalb nicht mehr als Lehrerin arbeiten können oder wollen. Wenn wir nicht endlich entlastet werden, werde ich mir auch auf absehbare Zeit etwas Neues suchen. Ich arbeite zwar super gerne mit Kindern zusammen, aber nicht unter diesen Bedingungen.“

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