Witten. Extremwetter sind auf dem besten Weg, das neue Normal zu werden. Was tut die Stadt Witten, um ihre Einwohner vor Hochwasser zu schützen?

Monster-Flut in Süddeutschland, Rekordregen im Ruhrtal: Jedes Unwetter weckt Angst bei Bewohnern in Wittens tiefer gelegenen Zonen. Was haben öffentliche Einrichtungen für besseren Hochwasserschutz getan?

Gestrüpp in Wittens Ruhrauen in Höhe der Insel könnten sich bei erneutem Starkregen als Problem erweisen: Das meint Anwohnerin Gabriele Voss.
Gestrüpp in Wittens Ruhrauen in Höhe der Insel könnten sich bei erneutem Starkregen als Problem erweisen: Das meint Anwohnerin Gabriele Voss. © WAZ | jürgen overkott

Heutzutage erinnert nichts mehr daran, dass Hevens „Insel“ - die Siedlung zwischen Schleusenwärterhaus und In der Lake - während der verheerenden Flutwelle im Juli 2021 ihrem Namen gerecht wurde. Anwohnerin Gabriele Voss gehörte zu den Betroffenen. Sie konnte das Haus damals nur per Boot verlassen. Seitdem steht sie in engem Kontakt mit öffentlichen Stellen im Kampf um besseren Hochwasserschutz.

Baurat Stefan Rommelfanger sowie Matthias Neumann und Franziska Ridder-Loos (von links) erklären anhand von Karten den geplanten Hochwasserschutz in Witten.
Baurat Stefan Rommelfanger sowie Matthias Neumann und Franziska Ridder-Loos (von links) erklären anhand von Karten den geplanten Hochwasserschutz in Witten. © WAZ | WAZ

Dieser Tage macht sie sich Sorgen, dass das rasant sprießende Grün beim nächsten Starkregen zur Gefahr für die Insel werden könnte: als Barriere für Treibgut. Die Stadt kenne das Problem. Aber: „Da ist nix passiert“, klagt Gabriele Voss.

Stadtbaurat Stefan Rommelfanger hat für ein Gespräch im Technischen Rathaus in Annen Verstärkung mitgebracht. Matthias Neumann ist kommissarischer Technischer Leiter des Eigenbetriebs Entwässerung der Stadt Witten (ESW). Die Runde komplettiert ESW-Fachfrau Franziska Ridder-Loos. Sie ist Abteilungsleiterin für Gewässerausbau und -unterhaltung. Ihre Botschaft: Es ist viel im Fluss.

Die Drei sehen Hochwasserschutz als Teil von besserem Klimaschutz. Sie wollen, politische Unterstützung vorausgesetzt, Witten zu einer „Schwammstadt“ umbauen. Im Kern geht es um mehr Versickerungsfläche für Regenwasser und mehr Ausweichfläche für Hochwasser.

Lake-Siedlung: Die Stadt Witten erlaubt in dem Hochwasser-Risikogebiet keinen Neubau mehr. Ein Hochwasserschutzkonzept ist in Arbeit.
Lake-Siedlung: Die Stadt Witten erlaubt in dem Hochwasser-Risikogebiet keinen Neubau mehr. Ein Hochwasserschutzkonzept ist in Arbeit. © WAZ | jürgen overkott

Lake-Siedlung hin, Grabeland Gedern her - die Ruhr gilt nicht als vorrangige Problemzone. Vielmehr richten Rommelfanger & Co. ihren Blick eher auf die Zuflüsse. Beim Kamperbach in Herbede können sie Vollzug vermelden. Dessen Umbau ist bereits erfolgt. In Arbeit ist die Umgestaltung des Grotenbachs in Annen. Teilweise liegen bereits Ergebnisse vor. Weiterer Ausbau folgt.

Als weit anspruchsvoller sehen Stadt und ESW den Umbau von Pferde- und Wannenbach von Annen bis zur Einmündung in die Ruhr an. Grund dafür ist Verrohrung wie einst bei der Emscher. Bach- und Abwasser sollen langfristig getrennt fließen, Pferde- und Wannenbach möglichst naturnah, Abwasser weiterhin verrohrt. Der Umbau erfolgt in Abschnitten. Im Vordergrund steht zunächst die Sprockhöveler Straße.

Stadtverwaltung braucht langen Atem

Der klimafreundliche Umbau der Stadt braucht langen Atem. Die Stadt muss sich mit anderen öffentlichen Stellen absprechen: mit dem Ennepe-Ruhr-Kreis, mit Emschergenossenschaft wie Ruhrverband, obendrein mit der Bezirksregierung. Es geht um Genehmigungen - und um Fördermittel.

Gestrüpp in Wittens Ruhrauen in Höhe der Insel könnte sich bei erneutem Starkregen als Problem erweisen: Das feucht-milde Wetter der vergangenen Monate lässt die Vegetation förmlich explodieren.
Gestrüpp in Wittens Ruhrauen in Höhe der Insel könnte sich bei erneutem Starkregen als Problem erweisen: Das feucht-milde Wetter der vergangenen Monate lässt die Vegetation förmlich explodieren. © WAZ | jürgen overkott

Der Stadtbaurat sieht aber auch Immobilien-Besitzer in der Pflicht. Sie sollen die Ufer freihalten. Die Gefahr von Treibgut soll gemindert werden. Im Juli 2021 hat es Brücken in Staumauern verwandelt. Zudem braucht die Stadt private Grundstücke: oft Voraussetzung für vergrößerte Ausweichflächen von Bächen. Nicht zuletzt geht es um den Umbau privater Gebäude, von dichteren Türen bis zu Schutzwänden.

Mehr Grün aufs Dach

Überdies soll Dachbegrünung bei Neubauten vorangetrieben werden - Pflanzen schlucken Wasser. Das kann schon bei der Planung berücksichtigt werden. Schwieriger indes wird‘s bei Altbauten. Immerhin: Für Grün auf dem Dach winkt Fördergeld.

Die Stadt berät private Immobilien-Besitzer - nicht nur mit der bereits 2020 online gestellten Starkregenkarte für den Fall eines Extremunwetters (https://geoportal.stadt-witten.de). Und der Kreis?

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Kreissprecherin Lisa Radtke teilt auf Anfrage mit, die Bevölkerung könne auf Infos zugreifen - auf der Homepage https://www.enkreis.de. Dort seien Warnkarten zu Hochwasser und Starkregen zu finden.

Ingenieurbüro lässt Ennepe-Ruhr-Kreis hängen

Für bessere kommunale Unwetter-Vorsorge sollte ein Ingenieurbüro aus Wuppertal für eine Starkregengefahrenkarte für den Kreis erstellen. Doch da hakt’s. Das Büro hat Ende 2023 Insolvenz angemeldet. „Es wird aktuell die Möglichkeit der Fortführung des Projektes geprüft“, heißt es.

Hochwasser in NRW im Dezember 2023 - so berichteten wir bislang:

Für die Stadt steht jedoch bereits eines fest: Im Hochwassergebiet Lake entsteht kein weiterer Neubau. Dafür hat die Verwaltung längst juristische Rückendeckung. Ein städtisches Hochwasserschutzkonzept ist in Arbeit.

Für die Ruhrauen jedoch zeichnet sie nicht unterhaltspflichtig. Das, sagt Rommelfanger, sei Sache der Bezirksregierung. Das wuchernde Grün solle bald gemäht werden: eine gute Nachricht für Gabriele Voss samt Nachbarschaft. Denn das nächste Unwetter kommt bestimmt.