Essen. Die Hochwasserlage in NRW ist weiter angespannt. Ein Experte rät, für mehr Hochwasserschutz sogar Deiche abzubauen.
Die vielen Regenmassen der vergangenen Tage haben die Böden in NRW massiv durchnässt. Damit steigt nach Ansicht von Fachleuten auch die Gefahr, dass die so wichtigen Deiche durchweicht werden. Der Zustand der Deiche in NRW wird seit Längerem kritisiert, Fachleute benennen Löcher und andere Schäden an den Hochwasserschutzanlagen.
Wie viele Deiche gibt es in NRW und wer ist zuständig?
Es ist kompliziert. An den Flüssen von NRW gibt es Deiche mit einer Gesamtlänge von rund 530 Kilometern. Die Deichaufsicht führen das Umweltministerium und die jeweiligen Wasserbehörden. „Hochwasserschutz ist aber eine kommunale Aufgabe“, betont Burkhard Teichgräber von der Emschergenossenschaft. Für die Instandhaltung und Sanierung der Deiche sind die Kommunen unter Aufsicht der Bezirksregierungen zuständig. Eine Ausnahme sind Gebiete, in denen durch den Bergbau Flächen abgesenkt wurden – hier sind Wasserverbände wie die Emschergenossenschaft zuständig. Die Kosten tragen die Nachfolgegesellschaften des Bergbaus.
An großen Gewässern mit mehreren Anrainerkommunen haben sich zudem oft Deichverbände gegründet, die für alle Städte die Instandhaltung eines Deichs überprüfen und mögliche Kosten von Sanierungsarbeiten aufteilen.
Wie werden Deiche gebaut?
Deiche sind komplizierte Erdbauwerke. Die Tragschicht besteht meist aus Sand, davor liegt eine abdichtende Schicht etwa aus Ton. Die Deckschicht ist das, was Spaziergänger sehen können: der Grasbewuchs. Zum Deich gehören aber auch Entwässerungseinrichtungen und Verkehrswege. Wie hoch ein Deich gebaut werden muss, hängt grob gesagt davon ab, was er schützen soll und an welchem Gewässer er steht. Vor einer Ackerfläche wird der Deich niedriger sein als vor einer Wohnbebauung, an großen Flüssen ist er höher als an kleinen Bächen.
Allerdings wird es für die Fachleute immer schwieriger vorherzusehen, wie häufig auch kleinere Gewässer Starkregenereignisse verpacken müssen. „Wir schauen auf Statistiken aus den zurückliegenden Jahren“, sagt Burkhard Teichgräber, der auch Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall in NRW ist, „der Klimawandel sorgt aber dafür, dass diese Statistiken überholt sind.“
Wieso sind die Deiche im Ruhrgebiet besonders?
Im Ruhrgebiet gibt es viele Deiche, in denen Schlacke aus dem Bergbau verbaut wurde. Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) hatte mit Blick auf den Ruhrdeich bereits 2021 gefordert, dass dort nachgebessert werden müsse. Teichgräber betont, dass diese Deiche technisch genauso gut seien wie gewöhnliche. „Die technischen Eigenschaften sind so hervorragend, dass man auf so einem Deich problemlos mit dem Lkw fahren kann, wenn Wasser eingedrungen ist.“ Bei neuen Deichen komme Schlacke allerdings nicht mehr zum Einsatz, weil sie den Vorschriften nicht entspreche.
Bilder vom Hochwasser an Rhein, Ruhr und den zufließenden Bächen
Wieso gehen Deiche kaputt?
Deiche sind langlebige Bauwerke, was für sie auch ein Nachteil ist: Über viele Jahre habe man vergessen, dass sie auch saniert und instandgehalten werden müssen, sagt Hochwasser-Experte Teichgräber.
Schäden entstehen allein durch das Alter – der Ton etwa könne Risse bekommen. Anhaltende Trockenheit kann die Grasnarbe auf dem Deich schädigen. Nutria oder Bisamratten wühlen sich Löcher in den Deich. Dass auch Kühe, wie in Oberhausen geschehen, auf den Deichen laufen, könne ebenfalls zu Schäden führen, sagt Teichgräber: „Kühe sind viel zu schwer, sie zertreten die Grasnarbe.“ Beweidet würden Deiche mit Schafen.
Wie kann ein Deich durchweichen?
Bei Hochwasser sei es normal, dass etwas Wasser durch den Deich durchsickert, betont Teichgräber. Normalerweise geschehe das aber langsam und nur in geringen Mengen. Problematisch sei, wenn die Dichtung des Deichs beschädigt ist und die Wassermenge steigt. Dann kann mehr Wasser durchgehen, es können größere Schäden entstehen und im schlimmsten Fall könne die Hinterseite eines Deichs wegrutschen.
Was muss nach dem Hochwasser geschehen?
Schon das Hochwasser von 2021 habe gezeigt, dass Deiche nachgerüstet werden müssen, sagt Teichgräber, der auch Mitglied in der Hochwasserschutz-Kommission des Landes NRW ist. „Die Regenereignisse werden mehr und wir müssen landesweit überlegen, wie und wo wir Hochwasserschutzanlagen erhöhen müssen und wo wir andere Wege gehen müssen, um Wasser unterzubringen.“ Konkret sei auch zu überlegen, Deiche abzubauen. Vor Ackerflächen etwa sollte Gewässern eher die Chance gegeben werden, über die Ufer zu treten, um so Deiche an anderen Stellen zu entlasten.