Gladbeck. Gladbecker Apotheker und Ärzte kämpfen erneut mit Medikamenten-Knappheit. Vieles ist nicht verfügbar. Das gilt auch für alternative Arzneien.

Just eine Minute zuvor ist es wieder passiert: Eine Kundin muss die Apotheke ohne ihr Medikament verlassen, das ihr Arzt verschrieben hat. Grund: Das Beruhigungsmittel ist einfach nicht lieferbar. Wie so vieles in diesen Tagen. Die Lage sei bisweilen „katastrophal“, berichtet Dorothee Pradel, Sprecherin der Apothekerschaft in Gladbeck. Es fehle „querbeet an allem Möglichen“. Bei etlichen Medikamenten seien die aktuellen Lieferengpässe besonders bedrohlich.

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Ben Libor, der die Einhorn-Apotheke in der Gladbecker Innenstadt betreibt, hat es eben wieder erlebt. Er berichtet: „Gerade ist eine Kundin mit einem Rezept für ein Beruhigungsmittel hier gewesen. Doch dieses Präparat ist zurzeit nicht lieferbar.“ Das bedeute: Nach Rücksprache mit der betreffenden Praxis sucht der Apotheker ein vergleichbares Medikament für die Kundin. Die muss dafür ein neu ausgestelltes Rezept mitbringen – und dafür wieder den Gang zum Mediziner auf sich nehmen.

Fachleute in den Gladbecker Apotheken weichen auf Alternativ-Präparate aus

„Diese Situation haben wir hundertmal am Tag“, erzählt Apotheker Libor, „in der Theorie würde ja ein Anruf in der Arztpraxis reichen, um ein neues elektronisches Rezept zu bekommen.“ Aber die Wirklichkeit sieht nun einmal anders aus. Der Pharmazeut erklärt: „Ärzte müssen das Rezept neu signieren. Doch sie befinden sich in der Sprechstunde.“ Wer versuche, telefonisch das Problem zu beheben, hänge nicht selten lange in der Warteschleife. „Neulich waren wir kurz davor, eben selbst in die Praxis zu laufen“, sagt der Experte.

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Als „großes Problem“ bezeichnet er den Umstand, dass das verschriebene Medikament beispielsweise nicht in der gewünschten Stärke greifbar sei. Oder die Wirkstoffe sind unterschiedlich. „Dann müssen wir auf ein anderes Präparat ausweichen“, so Libor, „das wiederum führt zu einer Kettenreaktion, weil es andere Apotheken ebenso machen.“ Notgedrungen. Am Ende dieses Domino-Effektes steht der Punkt, an dem auch Alternativ-Arzneien nicht mehr verfügbar sind.

„Penicellin? „Ist und bleibt eine Katastrophe!“

Dorothee Pradel
Sprecherin der Apothekerschaft in Gladbeck

Bei Kreislauf- und Herzmedikamenten wird‘s derzeit eng, ebenso bei Betablockern, vereinzelt seien auch Zytostatika in der Krebstherapie von Lieferschwierigkeiten betroffen. Bei verschiedenen Insulinen für Diabetiker müssen sich die Fachleute in den Gladbecker Apotheken ebenfalls etwas einfallen lassen, um ihre Kundschaft zu versorgen. Sprecherin Pradel ergänzt: „Der Markt für Antidiabetika, die auch zum Abnehmen geeignet sind, ist völlig leergefegt.“

„Wir erkennen einen Run auf Abnehmspritzen.“

Dr. Gregor Nagel
Hausarzt

Das konstatiert auch Dr. Gregor Nagel. Der Hausarzt auf dem Medizincampus Butendorf weiß: „Wir erkennen einen Run auf die Abnehmspritze.“ Einige Insuline seien zeitweise nicht lieferbar gewesen. „Cholesterinsenker gab es lange nur in kleineren Dosierungen“, so der Mediziner. Nach wie vor erfahrungsgemäß ein wunder Punkt: Antibiotika.

Nicht alternativ zu ersetzen seien Digitalispräparate zur Behandlung von Herzschwäche. Die Problematik „Lieferengpässe“ bei Arzneimitteln bezeichnet Nagel als Dauerbrenner: „Eine Belastung für alle Beteiligten: Ärzte, medizinische Fachangestellte, Apotheken.“ Bisweilen fehlten sogar 08/15-Medikamente wie die gängigen Analgetika (Schmerzmittel) Ibuprofen und Paracetamol. Das habe sich gebessert, „Novalgin ist zum Beispiel im grünen Bereich“.

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Apropos gängig: Was ist mit Beruhigungsmitteln, darunter das bekannte „Tavor“ und der Tranquilizer Oxazepam, die häufiger verschrieben werden? Da ist die Lage „ganz dramatisch“, sagt Pradel. Ob Herzmedikamente oder Cholesterinsenker: Es scheint eine „bunte Tüte“ an Problem-Arzneien zu sein. Und richtig, Pradel spricht von „queerbeet“. Antibiotische Augentropfen? Kaum erhältlich. Penicellin? „Ist und bleibt eine Katastrophe!“ Astmaspray? Desaströs! Das sagt auch Libor. An Salbutamol zu kommen, ein bisweilen fast aussichtsloses Unterfangen.

Einiges, so der Fachmann, könne man ja in den Apotheken selbst herstellen. Aber eben nicht alles. Libor fällt da zum Beispiel Bicanorm ein, Kapseln zur Stabilisierung des Säure-Basen-Haushaltes: ein „spezielles Medikament für Dialyse-Patienten“.

Dorothee Pradel erkennt Engpässe bei Impfstoffen, und zwar zum Schutz im Auslandsaufenthalt, den manche Menschen von Berufs wegen auf sich nehmen. Die Apothekerin denkt da zum Beispiel an Prophylaxe vor Typhus und Tollwut. „Man braucht mehrere Spritzen, damit die Impfung funktioniert“, stellt die Expertin klar. Eine einzige Spritze genüge nicht, um die Schutzwirkung zu entfalten.

Patienten fahren ins Ausland, um an Medikamente zu kommen

„Irgendwann sind die Menschen genervt, wenn sie die zehnte Apotheke ansteuern und nicht bekommen, was sie brauchen.“

Ben Libor
Gladbecker Apotheker hat Verständnis für die Sorgen der Kundschaft

Gebessert habe sich die Lage bei Fiebersäften für Kinder. Im Gegensatz zu früheren Zeiten. Aber nun: „Wir haben eine Menge vorrätig, mit der wir über den Winter kommen müssten.“ Bei Notlagen in den vergangenen Jahren reisten Eltern ins Ausland, um an Fiebersäfte für ihren kranken Nachwuchs zu kommen. Bevorzugt waren die nahegelegenen Niederlande. „In Holland bekommt man in Supermärkten von einigen Medikamenten, die bei uns nicht oder nur schwer erhältlich sind, problemlos große Mengen“, vergleicht Nagel.

Gladbecker Hausarzt macht einen Lösungsvorschlag

Er ist davon überzeugt, die Engpässe „liegen letzlich daran, dass im Ausland produziert wird“. „Es werden kaum noch deutsche Generika hergestellt“, bemängelt der Gladbecker Hausarzt. Und setzt hinzu: „Andere Länder sind bereit, mehr zu bezahlen.“

Als eine Lösung des Problems vor Ort könnte sich Nagel theoretisch vorstellen, die Software in den Arztpraxen mit den Apotheken-Großhändlern zu verknüpfen. Dann würde er erst gar nicht rezeptieren, was ohnehin nicht verfügbar ist – und von vornherein eine Alternative benennen.

Das könnte ein gangbarer Weg sein, meint Libor: „Das würde uns sehr helfen.“ Denn: „Irgendwann sind die Menschen genervt, wenn sie die zehnte Apotheke ansteuern und nicht bekommen, was sie brauchen.“

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