Gladbeck. Seit Jahren gibt’s ein Hin-und-Her um das E-Rezept. Minister Lauterbachs Vorstoß bringt bei Gladbecker Ärzten und Apothekern das Blut in Wallung.
Es könnte und sollte so bequem sein. Das digitale Rezept aus der Arztpraxis wird auf die Versichertenkarte geladen, in der Apotheke ausgelesen, die dann – bestenfalls prompt – das entsprechende Medikament aushändigt. So ist wenigstens der Plan, und zwar seit bald 20 Jahren. Nach etlichen Anläufen seiner Vorgänger im Amt will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das E-Rezept zum 1. Januar 2024 an den Start bringen. In der Gladbecker Ärzte- und Apothekerschaft herrscht, gelinde gesagt, doch einige Skepsis, dass daraus etwas wird. Das Thema lässt den Fachleuten den Blutdruck hochschnellen – aus mehreren Gründen.
Dorothee Pradel hat mit dem digitalen Rezept, oder besser gesagt mit dem, was es mal werden sollte, schon so ihre Erfahrungen gemacht. Die Vertrauensapothekerin und Inhaberin der Elefanten-Apotheke in Gladbeck erinnert sich, dass in den vergangenen 19 (!) Jahren immer mal wieder die Umstellung vom Papier- zum E-Rezept vollzogen werden sollte. Stets wurde daraus – nichts.
Vertrauensapothekerin in Gladbeck: „Kann der Herr Minister zaubern?“
Die Expertin erzählt: „Im September 2022 sollte es losgehen. Wir als Apotheker sind gezwungen gewesen, auf den Punkt gerüstet zu sein.“ Dem sei auch so gewesen, „technisch perfekt aufgestellt, und geschult im Umgang mit dem System waren wir auch“. Pradel: „Und dann kommt nichts.“ Einiges Gelerntes sei bei manchen wieder in Vergessenheit geraten. Nun will Minister Lauterbach das Projekt übers Knie brechen, so ist wenigstens der Eindruck der Gladbecker Apothekerin.
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Sie fragt: „Warum muss die Umsetzung jetzt so plötzlich sein?“ Bis Anfang 2024 solle das System zu 80 Prozent funktionieren: „Kann der Herr Minister zaubern?“ Zumal die Vorbehalte vieler Menschen nach Einschätzung der Expertin groß sind: „Die Patienten wollen das digitale Rezept überhaupt nicht!“ Sie räumt ein: „Ich weiß, es gibt bestimmt 1000 Länder, in denen die Nutzung dieses Angebots wächst.“ Aber eben nicht hier.
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Die Krankenkassen hätten ihre Versichertenkarten, die für das digitale Rezept geeignet sein müssen, bislang nicht (vollständig) ausgetauscht. Dabei sollten bereits ab 1. Juli die E-Verschreibungen einlesbar seien. Das sei mitnichten der Fall.
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Dorothee Pradel sieht aktuell keinen Vorteil zum bisherigen Rezept auf Papier, denn es laufe momentan so: „Jemand kommt mit einem QR-Code, den Ärzte ausdrucken, zu uns, wir lesen das ein, händigen dann das Medikament aus und geben dem Kunden das Papier zurück.“ Damit könnte derjenige in die nächste Apotheke gehen. Zum Beispiel, wenn er bisher an der ersten Pharmazie nur zwei von drei verschriebenen Präparaten erhalten konnte. Von Zettel-Ersparnis also keine Spur, „dabei bräuchte man theoretisch null Papier“. Allerdings: „Dass jemand mit einem ausgedruckten QR-Code bei uns steht, kommt dreimal im Monat vor.“
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Dr. Gregor Nagel vom Gladbecker Ärztenetz stimmt Dorothee Pradel in ihrer Kritik zu. Er meint ebenfalls: „Das digitale Rezept soll zum 1. Januar mit Gewalt durchgedrückt werden.“ Nagel erinnert daran, dass beispielsweise schon einmal ein Test im Einzugsbereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe im vergangenen Jahr wegen Schwierigkeiten abgebrochen werden musste. Der Mediziner aus der Hausarztpraxis Butendorf sieht aktuell mehr Probleme und offene Fragen als eine gesicherte Basis. Nagel macht wie Pradel keinen Hehl aus seinen Bedenken: „Mir ist nicht verständlich, wem das digitale Rezept nützt… Wo ist der Vorteil?“ Er spricht gar von einer „ziemlichen Katastrophe“.
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Ein wunder Punkt: „Wir haben eine störungsempfindliche Telematik.“ In den Praxen werden Connectoren genutzt – vergleichbar mit einem Router, beispielsweise in Privathaushalten. „Die erste technische Hürde ist ein besonderes Zertifikat, das 17 Mal geprüft wird und für fünf Jahre gilt“, erklärt der Arzt. Zudem wird eine Betriebsstättennummer vergeben, die die Praxis/den Mediziner identifiziert. Der Fachmann zur noch gängigen Praxis: „Wir drucken, wie früher nach alter Väter Sitte, ein Rezept auf ein Stück Papier, das dann in der Apotheke eingelöst wird.“ Für eine digitale Variante sei eine geeignete Versichertenkarte oder eine App erforderlich.
Ferner wichtig: eine NFC-fähige Kommunikation. Die Abkürzung steht für Near Field Communication – also: „Nahfeldkommunikation“. Auf diesem Wege kann ein kompatibles Smartphone Daten mit anderen entsprechenden Geräten drahtlos austauschen. Nagel erläutert: „Die Menschen brauchen unter Umständen eine Pin-Nummer. Was ist, wenn man sie vergisst? Oder zum Beispiel ein Pflegedienst sich ‘mal um ein Rezept kümmert?“ Krankenhäuser könnten überhaupt nicht rezeptieren. Und: Es soll ja durchaus Menschen geben, die kein Smartphone besitzen.
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Gregor Nagel ist davon überzeugt, dass „Unmengen von Rezepten nicht ausführbar sein werden“. Und er sieht weitere Probleme ungelöst. „Ich muss als Arzt die Gesundheitskarte in ein Terminal stecken und signieren.“ In Papierform könne er auch eine ganze Reihe von Verschreibungen überprüfen, „die Kontrollinstanz mit einem Blick“ – nicht so digital. „Mit einer so genannten Stapel-Signatur kann ich einen ganzen Schwung von Rezepten freigeben. Aber ich sehe dann kein Rezept mehr.“
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Fragen über Fragen. Nagels Standpunkt: „Wir müssen ständig in Infrastruktur und Technik investieren, und zahlen müssen es die Versicherten und Praxen.“ Einmal ganz davon abgesehen, wie sich dieses Hick-Hack auf den CO₂-Fußabdruck auswirke. Connektoren, Stromverbrauch: „Da lässt sich kein Geschäft machen!“