Gladbeck. Die elektronische AU soll den klassischen „gelben Schein“ ablösen. Kritik kommt aus Gladbecker Arztpraxen und von Arbeitgebern.
Der „gelbe Schein“, die bisherige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Papier, ist seit Anfang des Jahres vom Tisch. Dank Digitalisierung soll die Krankschreibung vereinfacht werden. Doch die elektronische Bescheinigung hat auf Beschäftigte, Arztpraxen und Unternehmen in Gladbeck vor allem diese Auswirkungen: Mehraufwand und Verwirrung. Kritische Stimmen werden laut. Hier ein Überblick, wie die eAU funktioniert und was zu beachten ist.
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Sie betrifft Arbeitgeber und ihre gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten. Das Prozedere: Arztpraxen und Krankenhäuser übermitteln elektronisch die Arbeitsunfähigkeitsmeldung direkt an die zuständige Krankenkasse. Dort müssen die betreffenden Unternehmen bzw. Personalabteilungen die Daten anfordern. Durch dieses Vorgehen sollen Krankgeschriebene Zeit und Porto sparen. Mussten sie doch bislang selbst ihre Formulare für eine Arbeitsunfähigkeit an Arbeitgeber und Krankenkasse weiterleiten.
Kritische Stimmen in Gladbeck führen Mehraufwand und Wartezeiten an
Alexander Löhr von der DAK-Gesundheit: „Das neue Verfahren wird, wenn es sich eingespielt hat, den gesamten Prozess schneller und unkomplizierter machen. Zudem entfällt für Patientinnen und Patienten das Risiko von Einbußen bei der Lohnfortzahlung oder beim Krankengeld.“
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Verantwortlich für die Übermittlung der Krankschreibung sind die Arztpraxen. Und was aus dieser Richtung zu hören ist, liegt doch einiges entfernt von „schnell und unkompliziert“. Dr. Gregor Nagel, Sprecher des Gladbecker Ärztenetzes, berichtet: „Wir erstellen eine AU. Es dauert ziemlich lange, bis sie versandfertig ist. Man muss dann erst einmal warten, dass der Versand überhaupt auch ankommt.“ Einen Ausdruck der Bescheinigungen erhielten die Patienten auf alle Fälle weiter – schon allein deswegen, damit sie etwas in der Hand haben, falls die elektronische Übertragung schiefgeht. „Dann haben die Patienten einen Beleg“, unterstreicht der Hausarzt, der auf dem Medizincampus in Butendorf praktiziert.
„Die Telematikinfrastruktur funktioniert nur zum Teil. Es sind auf diesem Gebiet bereits Milliarden Euro versenkt worden“, kritisiert Nagel. Er betont: „Das neue Vorgehen hat überhaupt keinen Nutzen. Es bedeutet doppelte Arbeit, Zeitaufwand, Papierverbrauch, Tonerverschwendung.“ Mit Bauchschmerzen blickt der Mediziner auf das elektronische Rezept, das geplant ist. Er ist überzeugt: „Dann ist das Chaos perfekt. Wir haben doch jetzt schon eine völlig veraltete Technik, die nur aufgepimpt wurde.“
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David Hennig sagt für die Arbeitgeberin „Stadtverwaltung“: „Wir erhalten auch seit Anfang 2023 immer noch die gelben Scheine. Das könnte daran liegen, dass nicht alle Arztpraxen auf das elektronische System umgestellt sind.“ In der Regel treffen, so der Gladbecker Verwaltungssprecher, Krankheitsmitteilungen telefonisch im Rathaus ein. Und was ist mit der eAU? „Die Verwaltung startet bei der jeweiligen Krankenkasse eine Abfrage und bekommt ein, zwei Tage später eine Antwort“, erläutert Hennig. Die Verwaltung müsse die Daten nachprüfen. Der Rathaussprecher: „Sobald sie im System stehen, pflegt die Personalabteilung sie ins Abrechnungsverfahren ein.“ Wie Ärztesprecher Nagel stellt auch Hennig fest: „Für uns bedeutet dieses Vorgehen deutlichen Mehraufwand als vorher. Eventuell muss man da noch nachschärfen.“ Oder der Ablauf müsse sich erst einspielen.
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Vielen Menschen scheint die eAU nicht geheuer zu sein, so dass sie lieber etwas schwarz auf weiß in die Hand bekommen wollen. Beim Gladbecker Unternehmen Völker Tiefbau GmbH läuft laut Geschäftsführerin Carolina Volk alles weiter wie bisher: Die AU wird in Papierform eingereicht. Es sei geplant, dies auch in einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat festzuschreiben.
Claudia Röttlingsberger, Geschäftsführerin der Röttlingsberger Gesellschaft für Innenausbau mbH & Co. KG und Vorstandsmitglied im Verein zur Förderung der Gladbecker Wirtschaft (VGW), schildert, dass der elektronische Prozess alles andere als optimal vonstatten gehe. Die Personalabrechnungen in diesem Unternehmen laufen über ein Steuerbüro. „Wir konnten bisher noch nicht einmal ein gedachtes Einsparpotenzial erkennen.“ Im Gegenteil: Nachteile seien deutlich. „Der Arbeitgeber muss Daten bei der Krankenkasse abrufen. Das dauert manchmal so lange, dass es eng für die monatliche Abrechnung wird. Arbeitgeber müssen also aktiv hinterhersein“, erzählt Claudia Röttlingsberger.
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Die Kommunikationskette sieht sie als Problem und Fehlerquelle. Die Geschäftsführerin meint: „Der Mitarbeiter muss sehr genau wissen, wie lange er krankgeschrieben ist, wie es mit Anschlusskrankenscheinen aussieht. Anderenfalls könnte es zu Unstimmigkeiten und sogar Zeitlücken kommen, für die es im schlimmsten Fall keine Lohnfortzahlung gibt.“ Damit widerspricht Röttlingsberger dem DAK-Fachmann Löhr, der ein geringeres Risiko als Pluspunkt anführt.
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Dass der kranke Beschäftigte 80 Cent Porto spare, könne doch nicht der gesamte Nutzen der eAU sein. Zumal die neue Regelung auch Missverständnisse nach sich ziehe. Claudia Röttlingsberger: „Ich habe schon von Beschäftigten gehört: ,Ich dachte, ich brauche keine Krankmeldung mehr.’ Von wegen!“ Die Pflicht, den selbst den Arbeitgeber umgehend zu informieren, bleibt. Röttlingsberger: „Der Mitarbeiter kann anrufen. Oder er macht ein Foto vom Krankenschein und schickt es mir per Whatsapp. Das reicht mir vollkommen.“ Eine Methode, die prima funktioniere.