Gladbeck. Die geplante Reform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verschärft die Lage der Apotheker. Sie befürchten ein Apotheken-Sterben.

Denkt Dorothee Pradel an die Zukunft der Apotheken, bekommt sie Bauchschmerzen. Was einst als geradezu lukrativer Beruf galt, ist vom Aussterben bedroht. Die Sprecherin der Apotherkerschaft in Gladbeck gibt unmissverständlich zu: „Wir sind verzweifelt!“ Sie spricht gar von „Katastrophe“. Verursacher der Misere ist in den Augen der Pharmazeutinnen und Pharmazeuten niemand Geringerer als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach höchstpersönlich. Seine anstehende Reform bewirke, so die Befürchtung, das Aus für mehr als die Hälfte der Apotheken in Gladbeck.

„Wenn man von Apotheken-Sterben spricht, ist das wirklich nicht übertrieben“, sagt Dorothee Pradel. Ihr kommt die Galle hoch, blickt sie auf Lauterbachs Pläne, „die er schnell durchbringen will“. Aus wirtschaflichen Gründen und weil keine Nachfolge für Apotheken-Betreiber realisierbar ist, würden ab November mit dem Reform-Gesetz von derzeit neun Pharmazien fünf geschlossen.

Seit 20 Jahren keine Erhöhung der Vergütung

Seit 20 Jahren habe es keine Erhöhung der Vergütung gegeben. Und jetzt solle obendrein sogar eine Kürzung vorgenommen werden. Man bedenke: Posten wie Energie und Personal steigen. Pradel: „Lauterbach sagt uns: Sparen Sie, indem Sie Leute entlassen.“ Dabei kennen die Sprecherin und Kollegen die Problematik wie in vielen anderen Berufszweigen: Fachpersonal wird händeringend gesucht – und will anständig bezahlt sein. Wo große Nachfrage bei kleinem Angebot, können Interessenten die Arbeitskonditionen diktieren.

Dorothee Pradel Apothekerin der Elefanten Apotheke Apothekerin Dorothee Pradel aus Gladbeck bleibt Vertrauensapothekerin im Kreis Recklinghausen am Mittwoch, 14. Juni 2023 in Gladbeck.
 Foto: Christoph Wojtyczka / Funke Foto Services

„Lauterbach will eine Apotheke light einführen“

Dorothee Pradel

„Lauterbach will eine Apotheke light einführen“, betont Pradel. Acht Stunden in der Woche solle eine ausgebildete Kraft wie sie präsent sein. Neben der Kürzung der Öffnungszeiten „wird eine Pharmazeutisch Technische Assistentin eine Art Filialleiterin vor Ort“. Die Apothekerin: „Ich muss online erreichbar sein.“

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Immer wieder blieben Apotheken in Gladbeck geschlossen: Die Streiks sollten die Kundschaft darauf hinweisen, was ihnen zukünftig blüht. Aber das dürften viele Menschen bereits am eigenen Leib erfahren habe. „Die Wege werden schon spürbar weit, und wir schaffen unsere Dienste nicht mehr“, erzählt die 61-Jährige mit Blick auf Feiertags- und Wochenend-Arbeit. In der Innenstadt mag das Angebot noch komfortabel sein, in den Stadtteilen sei es merklich ausgedünnt.

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Apropos ausgedünnt: Ein Dauer-Problem sind Liefer-Engpässe. Asthmasprays, Herz- und Zuckermedikamente, Insulin – da wird‘s eng. Pradel: „Novalgin ist ein essentielles Schmerzmittel. Mit dem Weggang der Produktion aus Deutschland geben wir es aus der Hand.“ Dabei hieß es während der Corona-Pandemie, dass man sich hierzulande nicht mehr (nur) auf Arzneien aus dem Ausland verlassen wolle.

Ben Libor gehört zu der offensichtlich schwindenden Spezies junger Apotheken-Betreiber. Anfang des Jahres hat er die Einhorn-Apotheke an der Friedrichstraße übernommen. Hat der diesen Schritt inzwischen bereut? Die Antwort kommt prompt: „Nein, für mich läuft es gut.“ Aber? „Ich kann die Probleme nachvollziehen“, die seit Jahren aufs Tapet kommen.

Apotheker Benjamin Liebor am Mittwoch den 27. Dezember 2023 in der Einhorn Apotheke in GladbeckFoto : Frank Oppitz / FUNKE Foto Services

„Das Apotheken-Sterben ist im Gange und wird noch weiter zunehmen.“

Ben Libor

Ein Gelingen hänge von vielen Faktoren ab. „Der Standort ist wichtig. Gibt es Ärzte in der Nähe, die Rezepte schreiben?“, so der 33-Jährige. Das sei das Hauptgeschäft in den Apotheken. Er habe bei der Übernahme auf eine Stammkundschaft bauen können, die „eine Beratung wertschätzt“.

Aber auch Libor erkennt das wirtschaftliche Problem: „Seit 20 Jahren keine Anpassung der Vergütung – das ist weltweit einmalig.“ Das sei „das Gegenteil von dem, was nötig wäre“. Der 33-Jährige meint: „Das Apotheken-Sterben ist im Gange und wird noch weiter zunehmen. Wir kümmern uns jeden Tag darum, dass die Versorgung aufrechterhalten wird.“

Doch dafür braucht‘s eben das entsprechende Personalwomit wir beim bereits angesprochenen Nachwuchsmangel wären. Das Pharmazie-Studium sei interessant, sonst wäre es wohl kaum mit einem Numerus clausus belegt. Was heißt: Das Interesse ist größer als das Angebot. Libor: „Angeboten wird Pharmazie landesweit nur an drei Standorten – in Düsseldorf, Münster und Bonn, wo ich studiert habe.“ Vielleicht stelle auch diese übersichtliche Auswahl eine Hürde für potenziell Interessierte dar.

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Trotz der angespannten Situation ist Libor froh über seine Entscheidung: „Ich habe einen Gesundheitsberuf. Wir helfen jeden Tag und bekommen die Bestätigung, dass wir gebraucht werden.“ Das sei ein „sehr gutes Gefühl“. Inhaber wie er müssten den Spagat zwischen Heilberufler und Kaufmann, der das wirtschaftliche Risiko trägt, hinbekommen. „Angestellte Apotheker können den ganzen Tag pharmazeutisch arbeiten.“ Das mag vielen attraktiver als die Selbstständigkeit erscheinen, vor allem in der akuten schwierigen Lage.