Gelsenkirchen. Oliver Kahlert ist Präsident des Sozialgerichts Gelsenkirchen. Was der „Neue“ über Bürgergeld-Klagen und Renten-Urteile nach Covid-19 denkt.
Ob Bürgergeld für Menschen aus der Ukraine, Rentenanträge nach Covid 19-Folgeschäden oder Grundsicherung für arbeitsuchende Ukraine-Flüchtlinge: Diese Themen werden Dr. Oliver Kahlert besonders beschäftigen. Seit Juni ist der 56-Jährige Präsident des Sozialgerichts Gelsenkirchen, das für Gladbeck zuständig ist. Er folgt Dr. Dörte Bergmann, die zur Vizepräsidentin des Landessozialgerichts aufgestiegen ist.
Nach der Corona-Epidemie: 26 Richter urteilen, ob Gesundheitsprobleme eine Folge der Ansteckung sind
Auf 26 Richterinnen und Richter werden vor allem im Zusammenhang mit Post-Covid-Erkrankungen komplizierte Sachverhalte zukommen. „Wir werden uns mit körperlichen und psychischen Problemen auseinandersetzen müssen, die Klägerinnen und Kläger als Folgen der Pandemie beklagen“, weiß der Präsident. Es könne Jahre dauern, glaubt Oliver Kahlert, bis endgültige Entscheidungen bis zum Bundessozialgericht getroffen worden seien. Im Lauf der Verfahrenszeit können Gutachter zu unterschiedlichen Erkenntnissen gelangen, was eine Folge von Long Covid ist und was eventuell die Folge einer anderen Erkrankung sein kann. Erste Schulungen über den Stand der medizinischen Wissenschaft haben alle richterlichen Kolleginnen und Kollegen bereits hinter sich. Auch die Frage, welche Gutachter vor der Urteilsfindung oder einem möglichen Vergleich bestellt werden, müssen die Gerichte sorgfältig prüfen. Oliver Kahlert geht davon aus, dass auch Unfallversicherungsträger bei Klagen Leitlinien entwickeln werden.
Gelsenkirchener Gericht erwartet starke Zunahme von Bürgergeld-Klagen von Flüchtlingen
Eine starke Zunahme erwartet das Gericht auch im Zusammenhang mit dem Bürgergeld, das Ukraine-Flüchtlinge beantragt hatten. Sie wollen vor Gericht ihre Rechte einklagen. „Die Klagen werden zunehmen, je länger der Krieg dauert“, befürchtet der Präsident. „Die vielen offenen Fragen schrecken uns nicht“, sagt der Jurist. Die Belastung für die Gerichte würden zwar zunehmen, aber man fühle sich als gutes Team, das alle Fälle effizient bearbeiten werde. Die Klagenden sollen ihre Anliegen in kompetenten Händen wissen, sagt Kahlert. Zumal der Ton vor Gericht alles andere als einschüchternd sei. Die Verhandlungsführung und -atmosphäre wie auch die Position der Klagenden sieht der Präsident eher im Sinne von „betreutem Klagen“. Kahlert: „Wir bevorzugen eine offene, zugewandte Prozessführung, geben Hinweise und erläutern den Sachverhalt.“
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Justiz vor dem Umbruch: Chancen bei Klageverfahren durch Künstliche Intelligenz
Als Herausforderung sehen die Gerichte den technischen Bereich. Die elektronische Akte hat mittlerweile die Papierberge von den Richtertischen verbannt. Es sei der größte Umbruch in der Arbeitsweise der Justiz gewesen, meint der Präsident. Vorteile sieht er in Videoverhandlungen, wenn sich Krankenhäuser und Krankenkassenträger um Abrechnungen streiten. Die Fälle dürften weiter zunehmen. Umstellen müssen sich die Mitarbeiter seit Einführung des Tele-Arbeitstages. Ein zweiter Tag, ist Kahlert sicher, werde kommen. Er glaubt, dass der Informationsaustausch im Kollegenteam darunter leidet. So sucht er nach Wegen, wie man sich dennoch häufiger vor Ort austauschen könne. „Wir wollen das Wir-Gefühl behalten“, sagt Kahlert. Viele Chancen sieht der Jurist bei Klageverfahren durch die Künstliche Intelligenz. Er ist sicher, dass KI zunächst auf der Klägerseite ein Thema sein wird, ehe auch die Justiz sie nutzen könnte.
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Zum Werdegang: Oliver Kahlert war vor Beginn seiner richterlichen Karriere sieben Jahre als Anwalt tätig. Mit 34 wurde der 56-Jährige, der in Hamm geboren wurde, Richter. Zunächst war er sechs Jahre am Sozialgericht Detmold, dann ab 2010 neun Jahre am Landessozialgericht in Essen tätig. Bevor Kahlert zum Präsidenten in Gelsenkirchen ernannt wurde, war er seit 2019 im Justizministerium für den IT-Betrieb zuständig.
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