Bochum. Bochums erste Oberbürgermeisterin überhaupt hat im Amt viele herausfordernde, sogar stürmische Zeiten erlebt. Erinnerungen an eine Unermüdliche.

Trauer um Ottilie Scholz: Die SPD-Politikerin, die von 2004 bis 2015 Oberbürgermeisterin der Stadt Bochum war, ist am 15. Oktober im Alter von 76 Jahren gestorben.

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Ottilie Scholz war Bochums erste Oberbürgermeisterin

Über Parteigrenzen hinweg zollen Weggefährten der promovierten Sozial- und Verwaltungswissenschaftlerin Respekt und Anerkennung. Unermüdlich habe sie sich für die Belange Bochums eingesetzt, uneitel sei ihre Amtsführung gewesen. „Sie war eine Oberbürgermeisterin zum Anfassen, die ein Gespür hatte für die Sorgen und Nöte der Bochumerinnen und Bochumer – für ihre Wünsche und Erwartungen“, würdigte sie Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD).

Die erste Frau an der Spitze Bochums überhaupt hat im Amt besonders herausfordernde, ja stürmische Zeiten erlebt. In Erinnerung bleibt, wie sie im Januar 2008 an der Seite einer weinenden Betriebsrätin auf der Bühne stand, als rund 20.000 Bochumerinnen und Bochumer gegen die Nokia-Werksschließung in Riemke protestierten. Nicht der erste wirtschaftliche Nackenschlag: Gleich an ihrem ersten Arbeitstag als Oberbürgermeisterin verkündete Opel 2004, in Bochum Stellen streichen zu wollen. Es war der Einstieg in den endgültigen Ausstieg des Unternehmens aus der Autostadt im Ruhrgebiet.

Rund 20.000 Menschen kamen am 21. Januar 2008 zu einer Demonstration gegen die geplante Nokia-Werksschließung in Riemke. Ottilie Scholz auf der Bühne neben der weinenden Betriebsratsvorsitzenen Regine Achenbach.
Rund 20.000 Menschen kamen am 21. Januar 2008 zu einer Demonstration gegen die geplante Nokia-Werksschließung in Riemke. Ottilie Scholz auf der Bühne neben der weinenden Betriebsratsvorsitzenen Regine Achenbach. © WAZ | Ingo Otto

Von Opel fühlte sich Scholz oft hingehalten

Dass Opel sie nicht zur letzten Jubilarehrung vor der Werksschließung im Dezember 2014 eingeladen hatte, empfand sie gleichermaßen als Affront wie als i-Tüpfelchen des schlechten Stils, den das Unternehmen bisweilen an den Tag gelegt habe. Hingehalten hatte sie sich oft von Opel gefühlt.

Dabei war sie jahrelang auch so etwas wie eine Botschafterin Opels: Als OB saß sie natürlich in einem Dienstauto mit dem Blitz am Kühlergrill. Und als sie noch Kämmerin in Castrop-Rauxel war, fuhr Scholz sogar einen Manta. Auch das ganz uneitel.

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Die vielleicht größte Herausforderung ihrer gesamten Amtszeit war die schwierige Haushaltslage. Dennoch gelang es Bochum in ihrer Amtszeit, Zeichen des Aufbruchs zu senden: Das Biomedizin-Zentrum wurde eröffnet, im Mai 2009 bekam die Stadt von der Landesregierung den Zuschlag für den Gesundheitscampus NRW, im gleichen Jahren wurde die Hochschule für Gesundheit gegründet.

Fürs Musikforum setzte sich „Otti“ leidenschaftlich ein

Auch das bis dato umstrittenste Bauprojekt Bochums gehörte zu ihrer Amtszeit: das Musikforum. Als OB Eiskirch bei der Eröffnung der Spielstätte für die Bochumer Symphoniker 2016 „Otti“, wie sie liebevoll von Bochumerinnen und Bochumern genannt wird, für ihre Bemühungen ausdrücklich lobte, hat sie das aufrichtig gefreut: „Immerhin habe ich mich zehn Jahre lang für das Musikforum stark gemacht.“

Sich für die Kultur einzusetzen, war für die passionierte Krimileserin mehr als eine Pflicht. „Sie hat uns Bochumer Symphoniker in einer entscheidenden Phase der Entwicklung unterstützt und begleitet und sich damit in unsere Geschichte eingeschrieben - das werden wir ihr nicht vergessen“, sagt Christiane Peters, Sprecherin der Bochumer Symphoniker.

Und: Ottilie Scholz war lange Zeit im Kuratorium der Stiftung Situation Kunst. „Das Bild Gartenecke in der Sonne von Max Stevogt mochte sie am liebsten“, erinnert sich die Vorsitzende Silke von Berswordt. Das farbenfrohe Bild versprüht geradezu verschwenderisch den Charme von Farbe, Sonne und Leichtigkeit. Und doch steckte noch mehr dahinter.

Erinnerungen an Ottilie Scholz: Das war ihr Lieblingsbild
Die Stiftung Situation Kunst erinnert an „eine kluge und engagierte Weggefährtin“ und zeigt Ottilie Scholz‘ Lieblingsbild aus der Sammlung: „Gartenecke in der Sonne“ von Max Slevogt aus dem Jahr 1917. „Nur auf den ersten Blick scheint der sonnige Garten friedlich dazuliegen“, schreibt die Vorstandsvorsitzende Silke von Berswordt. „Hinter dem offenen Tor drohen schwarze Schatten, das Unheil lässt sich auch von der Gartenmauer nicht aufhalten.“ Und weiter: „Ottilie Scholz hatte ein Gespür für das, was hinter dem Offensichtlichen liegt.“ © Stiftung Situation Kunst | Stiftung Situation Kunst

Für die Absage der Loveparade 2009 in Bochum gab es erst Häme – und später Respekt

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Danach gefragt, was die schlimmste Erinnerung an ihre Amtszeit ist, erinnerte sie sich an den Atriumtalk, die Affäre um eine Veranstaltungsreihe der Stadtwerke, bei der Gäste – anders als nach außen kommentiert – mit üppigen Zahlungen entlohnt wurden. Und sie erinnert sich an die Absage der Loveparade und den „Vorwurf, wir seien provinziell. Ein Jahr später nach der Katastrophe in Duisburg haben sich viele im Nachhinein bei mir entschuldigt.“

Einschneidend auch dies: Im Januar sagte Ottilie Scholz (hier mit dem leitenden Polizeidirektor Martin Jansen und Rechtsdezernentin Diane Jägers) die für den Sommer 2009 geplante Loveparade in Bochum wegen Sicherheitsbedenken ab. Dafür hagelte es zunächst Häme und Kritik. Nach der Katastrophe bei der Loveparade 2010 in Duisburg hingegen wurde die Entscheidung als weitsichtig und verantwortungsvoll anerkannt.
Einschneidend auch dies: Im Januar sagte Ottilie Scholz (hier mit dem leitenden Polizeidirektor Martin Jansen und Rechtsdezernentin Diane Jägers) die für den Sommer 2009 geplante Loveparade in Bochum wegen Sicherheitsbedenken ab. Dafür hagelte es zunächst Häme und Kritik. Nach der Katastrophe bei der Loveparade 2010 in Duisburg hingegen wurde die Entscheidung als weitsichtig und verantwortungsvoll anerkannt. © WAZ Bochum | Ingo Otto

Den Ruhestand genoss Ottilie Scholz

Und womöglich haben einige nachträglich auch Abbitte geleistet, die es gerne gesehen hätten, wenn sie schon 2014 – ein Jahr vor dem Ende der Wahlperiode – ihr Amt zur Verfügung gestellt hätte. „Die Bochumerinnen und Bochumer haben mich bis 2015 gewählt. Und daher habe ich mich entschieden, auch so lange im Amt zu bleiben“, verkündete die 65-Jährige am Ende der Ratssitzung im November 2013. Basta.

Sie konnte zuhören und Ratschläge annehmen. Sie konnte aber auch Entscheidungen treffen – auch wenn die nicht allen passten.

Den Ruhestand hat „Otti“ genossen, wie sie dem damaligen Lokalredaktionsleiter Thomas Schmitt einmal verraten hat. „Ich liebe es heute, einfach mal nichts zu tun!“, sagte sie 2017. Und das einzige, was sie als ehemalige OB vermisse, seien Fahrer und Dienstwagen: „Sich hinten ins Auto zu setzen und um nichts kümmern zu müssen, das hatte was.“

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Ottilie Scholz – Stationen ihres Lebens

Geboren wurde Ottilie Scholz am 26. August 1948 in Recklinghausen. 1967 hat sie das Abitur gemacht und ist zum Studium der Soziologie nach Heidelberg gezogen. 1975 promovierte sie zum Dr. phil. an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Heidelberg.

Als Kämmerin kam sie 1999 aus Castrop-Rauxel zur Stadt Bochum, wo sie fünf Jahre später die erste Oberbürgermeisterin wurde. Nach ihrem Abschied aus dem Rathaus im Oktober 2015 blieb sie einigen Ämtern weiter verbunden: So war sie unter anderem bis zuletzt Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Situation Kunst. 2019 wurde Scholz zur Präsidentin des DRK-Kreisverbands Bochum gewählt. Auch dort war sie die erste Frau im höchsten Amt des Präsidiums.

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