Der unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen soll den Krisenstaaten helfen. Doch nicht nur der Bundesbank-Chef lehnt die Draghi-Pläne ab.

Frankfurt/Main. Die Europäische Zentralbank (EZB) will die Schuldenkrise mit dem unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen aus Euro-Problemländern bekämpfen. Im Gegenzug müssen die Länder unter den Rettungsschirm EFSF oder seinen Nachfolger ESM schlüpfen und strikte Reformauflagen erfüllen. Die Notenbank hat sich zudem auf eher kurz laufende Papiere von ein bis drei Jahren beschränkt.

Auch bei dem gegen den massiven Widerstand der Bundesbank durchgedrückten EZB-Programm stehen Regierungen und Parlamente weiter in der Pflicht. Für Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) ist dies dennoch eine Gratwanderung. In der schwarz-gelben Koalition sehen Viele wieder einmal eine „rote Linie“ überschritten. Merkel muss erneut um Mehrheiten kämpfen:

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Wo stehen Merkel und Schäuble in dem Konflikt eigentlich?

Das Ganze ist einmal mehr ein komplizierter Spagat für die Kanzlerin. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann als schärfstem Kritiker der Anleihekäufe stärken Merkel und Schäuble den Rücken. Denn das ist auch im Sinne vieler Wähler und Abgeordneter in den Koalitionsfraktionen, die in einer EZB-Hilfsaktion ohne jedes Limit Inflationsgefahren beschwören, vor einer Rettungspolitik mit der Notenpresse und dem Ende einer unabhängigen Notenbank warnen. Weidmanns Skepsis wird auch von vielen Bürgern geteilt.

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Geht Berlin auf Distanz zum obersten Notenbanker Draghi?

Das nun wieder nicht. Auch Kritik am EZB-Chef wird vermieden. Schließlich kann sich Berlin nicht leisten, als notorischer Nein-Sager in der Euro-Krise dazustehen und nur aus vermeintlicher Prinzipienreiterei die Währungsunion zu gefährden. Denn Alternativen haben auch Bundesbank und Berlin nicht. Auch weiß Draghi aber: Der Euro lässt sich nicht gegen Deutschland retten.

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Wie steht die Kanzlerin zu Draghis jüngsten Ankündigungen?

Merkel äußerte sich am Donnerstag in Madrid quasi zeitgleich zu Draghis Pressekonferenz. Sie beließ es dabei, wiederholt die Unabhängigkeit der EZB zu betonen. Diese bewege sich im Rahmen ihres Mandats, Preisstabilität zu wahren. Politiker müssten ihre Hausaufgaben machen, da die EZB politische Aktionen nicht ersetzen können. Auf mahnende Worte verzichtete Merkel.

Und Finanzminister Wolfgang Schäuble?

Der war – nur etwas später nach Draghis Erläuterungen bei einer Ehrung des EZB-Chefs am Abend in Potsdam – ein wenig deutlicher: Wenn man beginnen würde, Schwierigkeiten der Finanzpolitik durch das Mittel der Geldpolitik lösen zu wollen, gäbe es ein Problem: „Wir haben die Autonomie der Notenbanken, damit der bequemere Weg der Banknotenpresse den Politikern verwehrt bleibt.“

Wie stellt sich die Stimmung in der schwarz-gelben Koalition dar?

Uneinheitlich, wie so oft in der Schuldenkrise. Eine Ausweitung des EZB-Anleiheprogramms – die Draghi schon vor Wochen angekündigt hatte – wurde bisher von den meisten Koalitionspolitikern als Sündenfall und Einstieg in die verbotene EZB-Staatsfinanzierung durch die Hintertür abgelehnt. Notorische Totalverweigerer gibt es weiter, die Spitzen von CDU, CSU und FDP aber schwenken auf den neuen Kurs ein: Nicht die Schleusen öffnen – Stützungskäufe nur in Notfällen. Rechtlich wird argumentiert: Die Notenbank gewähre Krisenstaaten die Hilfen schließlich nicht direkt, sondern auf dem Umweg über den Markt.

Woran kann man diese neue Kompromisslinie festmachen?

Zwar warnt Draghi-Kritiker und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, Staatsfinanzierung durch die Notenpresse sei „falsch und brandgefährlich“. Das ist aber kein wirklicher Widerspruch zur neuen Linie. Unions-Chefhaushälter Norbert Barthle (CDU) gibt sich zunächst unnachgiebig: Anleihekäufe dürften die Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht dauerhaft ersetzen. Aber: Als kurzfristiges Instrument gegen die Krise und in Ausnahmen seien sie sinnvoll. Oder FDP-Chef Philipp Rösler: Anleihekäufe seien keine Dauerlösung, vorübergehende Käufe müssten an Bedingungen geknüpft werden. Ablehnung klingt anders. Die Mehrheitsbeschaffer von der Unions-Spitze meinen: „Wir gehen davon aus, dass die EZB ihre Aufgaben im Rahmen ihres Statuts erfüllt.“ FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle warnt aber vor großen Risiken.

Überlässt die Politik jetzt allein der EZB die Euro-Rettung?

Nein. Mit dem durchaus historischen Beschluss des EZB-Rats sind Notenbanker und Politiker zusammen in der Pflicht. Die Notenbank sichert sich vor Stützungskäufen ab. Das Programm wird nur aktiviert, wenn Staaten Hilfsanträge beim EFSF/ESM stellen und sich Spar- und Reformauflagen unterwerfen. Die anderen Euro-Länder müssen die Hilfen billigen, in Deutschland muss der Bundestag dies absegnen. Letztlich können die Koalitionsfraktionen auch Stützungskäufe verhindern.