Während die Eurozone stöhnt, kassiert der Staat einen milliardenschweren Überschuss ein. Warum schneidet Deutschland derzeit besser ab?
Frankfurt/Main. Für Europas größte Volkswirtschaft läuft es gut – trotz der Finanz- und Schuldenkrise im Euroraum. Die Wirtschaft der europäischen Konjunkturlokomotive wächst, der Staat kann sich über einen Milliardenüberschuss freuen. Wie erklärt sich das?
Warum läuft es in Deutschland besser als in anderen EU-Staaten?
Know-how „Made in Germany“ ist weltweit gefragt: Fahrzeuge, Präzisionsmaschinen, Spezialchemikalien. Positiv in der aktuellen europäischen Schuldenkrise: Seit Jahren wächst für Deutschlands Exporteure die Bedeutung von Ländern außerhalb der Europäischen Union. Dass kriselnde Eurostaaten wie Italien und Spanien weniger Produkte aus Deutschland kaufen, fällt somit weniger stark ins Gewicht.
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Im ersten Halbjahr 2012 gingen insgesamt mehr deutsche Waren nach Asien, Amerika, Russland oder Australien als in die Länder der Eurozone. Während die Ausfuhren in den Euroraum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,1 Prozent auf 212,0 Milliarden Euro schrumpften, gab es im Handel mit Staaten außerhalb Europas ein kräftiges Plus von 11,1 Prozent auf 231,4 Milliarden Euro.
Welche Rolle spielt die Politik?
Lange galt Deutschland als „kranker Mann Europas“. Die Trendwende läutete nach Überzeugung vieler Volkswirte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit der „Agenda 2010“ ein: Das Maßnahmenpaket half, die Sozialsysteme zu sanieren, Lohnnebenkosten zu senken, den deutschen Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und die Staatsfinanzen zu konsolidieren.
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Deutschland stärkte so nach Ansicht von Ökonomen früher als andere Nationen seine Wettbewerbsfähigkeit. Von Vorteil war, dass die – durchaus harten – Reformen in einem relativ starken weltwirtschaftlichen Umfeld umgesetzt wurden. Zuletzt zeigte sich der deutsche Arbeitsmarkt sehr robust. In diesem Juli lag die Zahl der Arbeitslosen mit 2 876 000 so niedrig wie zuletzt vor elf Jahren. Der positive Trend entlastet die Sozialsysteme. Das erste Halbjahr 2012 brachte bei der Sozialversicherung 11,6 Milliarden Euro Überschuss.
Was haben die Reformen Deutschland gebracht?
Europas größte Volkswirtschaft schaffte 2011 trotz eines turbulenten Umfelds einen Exportrekord: Erstmals wurden Waren im Wert von mehr als einer Billion Euro ins Ausland verkauft. In diesem Jahr soll das Ergebnis noch übertroffen werden: Der Außenhandelsverband BGA geht von gut vier Prozent Exportwachstum aus.
Auch bei den Lohnstückkosten, die als wichtiger Indikator für die Produktivität gelten, braucht Deutschland den Vergleich mit der Konkurrenz nicht zu scheuen: Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts stiegen die Lohnstückkosten pro Arbeitnehmer in der EU von 2005 bis 2010 um 6,2 Prozent. In Deutschland gab es auch wegen moderater Lohnabschlüsse nur einen Zuwachs von 3,6 Prozent.
Inwiefern profitiert Deutschland von der Euro-Schuldenkrise?
Der seit Monaten relativ niedrige Euro-Dollar-Kurs kann die deutsche Exportwirtschaft ankurbeln, weil deutsche Waren auf den Weltmärkten tendenziell günstiger werden. Andererseits verteuern sich importierte Waren – zum Beispiel alles, was am Öl hängt. Autofahrer spüren das beim Tanken. Das schwächt die Kaufkraft der Verbraucher und könnte den wichtigen Binnenkonsum bremsen.
+++ Deutsche Wirtschaft spürt Schuldenkrise +++
Dem deutschen Staat werfen Investoren derzeit wegen der großen Verunsicherung das Geld quasi hinterher: Am Mittwoch konnte sich der Bund erneut gut vier Milliarden Euro zu Nullzinsen am Markt besorgen. Viele Investoren sehen Deutschland als einen der letzten sicheren Häfen in Europa.
Wie sind die weiteren Aussichten für 2012?
Die größte Sorge bei Unternehmern und Investoren bleibt, dass es den Europäern nicht gelingt, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Die Rezession in der Eurozone breitete sich zuletzt aus - nach Einschätzung von KfW-Chefvolkswirt Norbert Irsch auch deshalb, weil die notwendige Haushaltssanierung in vielen Ländern nicht ausreichend von Wachstumsimpulsen flankiert worden sei: „Selbst Frankreich schrammt nur knapp an einer Rezession vorbei. Das schlägt auf Deutschland durch.“
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Einige Ökonomen erwarten für das dritte Quartal ein leichtes Schrumpfen der deutschen Wirtschaft, etwa weil Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten. „Die eigentlich wettbewerbsstarke deutsche Wirtschaft leidet unter der von der Staatsschuldenkrise ausgehenden Unsicherheit und dem geringeren Wachstum der Weltwirtschaft“, erklärte zum Beispiel die Commerzbank.