Europas größte Volkswirtschaft bleibt dank der Ausfuhren der Absturz noch erspart. Staat kann sich sogar über einen Überschuss freuen.
Wiesbaden/Frankfurt. Die Eurozone kämpft mit der anhaltenden Finanz- und Schuldenkrise – doch die Exportnation Deutschland bleibt die europäische Konjunkturlokomotive: Die Wirtschaft wächst, der Staat profitiert vom ersten Milliardenüberschuss seit Jahren .
Zwar bremsen die Turbulenzen Europas Konjunkturmotor, wie aus Daten des Statistischen Bundesamtes vom Donnerstag hervorgeht. Mit 0,3 Prozent Wachstum im zweiten Quartal steht Deutschland aber noch besser da als die meisten anderen Eurostaaten.
+++ Staat erzielt Überschuss im ersten Halbjahr 2012 +++
+++ Deutsche Konjunkturaussichten trüben sich ein +++
Für das zweite Halbjahr 2012 allerdings erwarten Ökonomen Rückschläge : Die Rezession in den Euro-Krisenländern werde zunehmend in Deutschland spürbar. Anfang 2012 hatte die hiesige Wirtschaft real noch um 0,5 Prozent zugelegt.
Die noch stabile Konjunktur lässt die Steuereinnahmen sprudeln: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann sich über den ersten Überschuss seit Anfang 2008 freuen. Nach vorläufigen Berechnungen der Wiesbadener Statistiker nahm der Staat im ersten Halbjahr 8,3 Milliarden Euro mehr ein, als er ausgab.
Damit erwirtschafteten Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen den zweithöchsten Halbjahresüberschuss seit der Wiedervereinigung. Nur die Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen im zweiten Halbjahr 2000 füllte die Staatskassen noch kräftiger.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) errechneten die Statistiker eine Überschussquote von 0,6 Prozent. Während sich etliche Eurostaaten mit drastischen Sparprogrammen bemühen, aus dem Schuldensumpf zu kommen, ist Berlin weit entfernt von der Drei-Prozent-Defizitmarke, die die europäischen Verträge maximal erlauben. Für 2011 hatten sich für Deutschland revidiert 0,8 Prozent Defizit ergeben.
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Ausschlaggebend für das Plus im ersten Halbjahr 2012 war ein Überschuss der Sozialversicherung von 11,6 Milliarden Euro. Dem stand ein Defizit der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden von 3,3 Milliarden Euro gegenüber. Wichtigste Einnahmequelle des Staates bleiben Steuern: Steuergelder von 308,7 Milliarden Euro flossen im ersten Halbjahr 2012 in die Staatskassen, 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Dank der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt legten die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer überdurchschnittlich kräftig um 6,3 Prozent auf 109,1 Milliarden Euro zu.
„Die positive Entwicklung wird weiterhin durch den Arbeitsmarkt getrieben“, erklärte Unicredit-Ökonom Alexander Koch. Zum Gesamtjahr 2012 befand er: „Selbst ein kleines Plus scheint immer wahrscheinlicher.“ Das wäre eine Seltenheit: Seit der Euro-Einführung erwirtschaftete die öffentliche Hand erst zweimal einen Überschuss: Im Jahr der UMTS-Versteigerungen 2000 (1,1 Prozent) sowie 2007 (0,2).
Positive Impulse für das preis-, saison- und kalenderbereinigte BIP kamen im zweiten Quartal vor allem von den Ausfuhren. Deutschland exportierte von April bis Ende Juni 2,5 Prozent mehr Waren und Dienstleistungen als in den ersten drei Monaten des Jahres. Zugleich stiegen die Importe mit 2,1 Prozent geringer. Die Elektroindustrie berichtete für Juni und das gesamte erste Halbjahr von Exportrekorden– vor allem dank kräftiger Nachfrage aus den USA und Japan.
Nach den Zahlen der Wiesbadener Statistiker waren auch die privaten (plus 0,4 Prozent) und die staatlichen Konsumausgaben (plus 0,2 Prozent) im zweiten Vierteljahr höher als im Vorquartal. Auf einer robusten Binnennachfrage ruhen die Hoffnungen von Volkswirten für die zweite Jahreshälfte. „Das gilt für den privaten Konsum und den privaten Wohnungsbau, jedoch nicht für Ausrüstungsinvestitionen“, sagte der Chefvolkswirt der staatlichen KfW, Norbert Irsch. Im zweiten Quartal gingen die Investitionen in Gebäude, Maschinen und Fahrzeuge zum dritten Mal in Folge zurück.
+++ Dämpfer für Außenhandel – Rekordjahr aber im Blick +++
„Die Konjunktur wird schlechter in Deutschland, es breitet sich Investitionsunsicherheit aus“, erklärte Irsch. „Die Unsicherheit hat sehr stark zugenommen, weil noch keine klare Lösungsperspektive erkennbar ist, die für die Mehrheit der Unternehmer und der Investoren am Finanzmarkt überzeugend ist.“
Unicredit-Ökonom Koch sieht neben einem Einbruch der Aufträge aus Euro-Krisenstaaten wie Spanien und Italien auch Anzeichen für sinkende Nachfrage aus anderen wichtigen Absatzmärkten wie China. Die KfW ist nach Irschs Angaben jedoch ziemlich sicher, dass am Ende des Jahres 2012 nach Herausrechnen des Kalendereinflusses beim Wachstum eine eins vor dem Komma stehen wird. Im Jahr 2011 hatte die deutsche Wirtschaft um 3,1 Prozent zugelegt.