Die Liberalen haben Hilfen der Länder zur Gründung von Auffanggesellschaften verhindert. 11.000 Schlecker-Frauen stehen auf der Straße.
Stuttgart. Mehr als 11.000 Schlecker-Frauen stehen auf der Straße, die FDP steht in der Kritik. Die Liberalen haben Hilfen der Bundesländer zur Gründung von Auffanggesellschaften quasi im Alleingang verhindert. Am Donnerstag lehnte Bayern nach einem Veto von FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil eine Beteiligung an der Bürgschaft der Länder in Höhe von 70 Millionen Euro für einen Kredit der staatlichen Förderbank KfW ab. Die Liberalen wurden dafür harsch kritisiert. Der Insolvenzverwalter der Drogeriemarktkette, Arndt Geiwitz, verschickte nach dem negativen Bescheid die Kündigungsschreiben.
+++ Transfergesellschaft für Schlecker gescheitert +++
+++ Beteiligung Bayerns weiter offen – Rösler sagt Nein +++
„Der bayerische Wirtschaftsminister hat mir mitgeteilt, dass er diese Lösung nicht mittragen wird“, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in Berlin. Zeil berief sich auf einen Beschluss des schwarz-gelben Kabinetts, wonach Bayern nur bürgt, wenn sich alle Länder beteiligen. Zeil bekräftigte: „Die Bedingungen des Kabinettsbeschlusses sind nicht erfüllt.“ Es dürfe aus Gründen der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung keine Insolvenzen erster und zweiter Klasse geben.
In der bayerischen Koalition herrschte jedoch offenbar Uneinigkeit. Noch am Donnerstagmorgen hieß es aus dem CSU-geführten Finanzministerium, „Bayern verschließt sich nicht grundsätzlich einer Lösung“. Finanzminister Markus Söder sagte, die Argumente der Verhinderer einer Lösung seien mehr formaler und politischer Natur gewesen. Denn inhaltlich wäre eine solche Bürgschaft nach seiner Einschätzung vertretbar gewesen.
Zeil bewegte sich mit seiner Entscheidung auf Parteilinie. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler kritisierte die Bemühungen in Stuttgart um die Hilfen als verantwortungslos. „Das Land Baden-Württemberg hat falsche Hoffnungen bei den Schlecker-Beschäftigten geweckt, die jetzt jäh enttäuscht werden“, sagte der FDP-Chef. Den Beschäftigten empfahl er, „schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden“.
Am Mittwoch war bereits eine gemeinsame Finanzierung aller Bundesländer am Widerstand von Sachsen und Niedersachsen gescheitert - beide wie Bayern mit FDP-geführten Wirtschaftsministerien. Daraufhin hatte Baden-Württemberg der Übernahme der Garantie zugestimmt und den Anteil des Landes auf 25 Millionen Euro aufgestockt.
Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) zeigte sich enttäuscht. „Heute ist der bayerische FDP-Wirtschaftsminister von der Fahne gegangen, obwohl sich Bayern für keinen Cent mehr verbürgen musste“, sagte er. Denn Baden-Württemberg habe seinen Anteil um den Betrag aufgestockt, den ansonsten Sachsen und Niedersachsen übernommen hätten.
Nach Angaben von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz wurden am Donnerstag Kündigungen an 10.000 Mitarbeiter verschickt. Weitere etwa 1.000 Mitarbeiter hätten bereits gekündigt, sagte sein Sprecher. Geiwitz sagte, er bedaure die politische Entscheidung, keine Bürgschaft für den Aufbau von Transfergesellschaften zur Verfügung zu stellen. Ohne die Bürgschaft sei eine Transfergesellschaft jedoch nicht finanzierbar.
Für ihre Haltung wurden die Liberalen heftig gescholten. Die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, warf der FDP eine unverantwortliche Blockadehaltung vor. „Die FDP darf ihren Überlebenskampf nicht länger auf dem Rücken der Schlecker-Verkäuferinnen austragen“, sagte Künast. Die Gesamtbetriebsratschefin von Schlecker, Christel Hoffmann, sagte der Essener WAZ-Mediengruppe (Freitagausgabe): „Was die FDP abgeliefert hat, ist ein Armutszeugnis. Sie hat das letzte bisschen Hoffnung der Frauen zerstört.“
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) zürnte nach einem Treffen der Länder-Regierungschefs in Berlin: „Das ist ein Skandal der deutschen Politik.“ Sein baden-württembergischer Amtskollege von den Grünen, Winfried Kretschmann, meinte, die Bevölkerung werde nicht verstehen, dass für die Euro-Rettung Milliarden bewegt würden, die Frauen von Schlecker jetzt aber leer ausgingen. Er mutmaßte: „Wem das Wasser bis zum Hals steht, der neigt zu höchst irrationalen Taten. ... Das wird der FDP sicher nicht nützen. Aber ich denke, sie spekuliert darauf, dass sie jetzt bei marktradikalen Kräften dadurch wieder Boden gewinnt.“
Doch so ganz irrational dürfte das von der FDP nicht gewesen sein. Sicherlich kann man, so heißt es immer wieder, Schlecker und Opel nicht vergleichen. Aber damals war es zum Beispiel der CSU-Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich als einziger im schwarz-roten Kabinett unter großem Beifall auch aus den eigenen Reihen gegen Staatshilfen für das angeschlagene Unternehmen wandte. Und schließlich war es Rainer Brüderle, der nach dem Wechsel von Schwarz-Rot zu Schwarz-Gelb als FDP-Wirtschaftsminister Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Abfuhr erteilte, als diese immer noch dem in amerikanischer Hand befindlichen Autobauer Hilfen zukommen lassen wollte.
Brüderle dürfte auch dieses Mal treibende Kraft gewesen sein, wenn aus der FDP-Zentrale in Berlin die Losung ausgegeben wurde, dass den Frauen zwar geholfen werden müsse – aber über die Bundesagentur für Arbeit und nicht über eine von staatlicher Seite gestützte Auffanggesellschaft. Im Grunde genommen haben die Liberalen gar keine andere Möglichkeit, als auch hier die reine Ordnungspolitik zu vertreten, wollen sie glaubwürdig bleiben. Ihr Argument damals wie heute: Wenn ein Unternehmen Not leidet wird es nach den Marktgesetzen irgendwann von anderen verdrängt, die dann im Zweifel erfolgreichere Ketten aufbauen und sicherere Arbeitsplätze schaffen. Für diese Position dürften sich nicht nur Marktradikale finden lassen.
„Das Nein zur Finanzierung der Transfergesellschaft ist für die Schlecker-Frauen eine Katastrophe“, klagte Stefanie Nutzenberger, ver.di-Bundesvorstandsmitglied für den Handel. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, „für 11.000 Frauen war es nicht möglich, aufgrund des Dogmatismus der FDP zu einer Lösung zu kommen“.
Parteichef Philipp Rösler wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass gerade im Handel in den vergangenen Jahren 60.000 neue Stellen geschaffen worden seien und dass den betroffenen Schlecker-Frauen ohne weiteres über die Bundesagentur in Nürnberg geholfen werden könne. Bayerns FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unterstreicht zugleich, es sei falsch, Arbeitsplätze durch den Staat zu erhalten, wenn sie keine Zukunft haben.
Dabei wird den Liberalen auch die Möglichkeit an die Hand gegeben zu zeigen, was sie unter Wahlkampf durch Abgrenzen verstehen. In Nordrhein-Westfalen, wo am 13. Mai Neuwahlen sind, dürfte dies auch relativ leicht fallen. Denn hier müssen die Liberalen auf keine Koalitionspartner Rücksicht nehmen. Der designierte FDP-Landeschef Christian Lindner hatte sich in der Debatte denn auch schnell zu Wort gemeldet. Man dürfe nicht mit Steuergeldern Arbeitsplätze in einer Transfergesellschaft garantieren. Wolfgang Kubicki, in dessen Bundesland Schleswig-Holstein am 6. Mai gewählt wird, muss da wohl etwas vorsichtiger argumentieren. Zumindest meinte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), ihm und auch Kubicki tue es sehr leid, dass keine Lösung der Länder zustande gekommen sei.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wie auch der Handelsverband Deutschland (HDE) sehen für die gekündigten Schlecker-Mitarbeiter allerdings auch ohne Transfergesellschaften durchaus Chancen auf eine neue Arbeitsstelle.
Mit Material von dpa und dapd