Die EU-Kommission legt einen Konsolidierungspakt vor. Haushaltskontrolle, härtere Strafen und Rettung vor Staatspleiten geplant.
Hamburg/Brüssel. Der Präsident der EU-Kommission greift durch. Als Konsequenz aus der hohen Verschuldung vieler Euro-Länder und dem milliardenschweren Hilfsprogramm zur Überwindung der Euro-Krise will José Manuel Barroso die Mitgliedstaaten künftig stärker an die Kette legen. Ungenauigkeiten in der Haushaltsführung, ausuferndes Schuldenmachen oder gar Schummeleien mit Zahlen sollen in Zukunft der Vergangenheit angehören. Dazu will die EU-Kommission künftig die Haushaltsentwürfe aller Euro-Länder schon im Vorfeld kontrollieren, um Ausreißer und Fehlplanungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls gegenzusteuern.
"Wir müssen das Problem bei seinen Wurzeln packen", verkündete Barroso die neue Marschrichtung, nachdem Griechenland mit seiner übermäßigen Schuldenlast den Euro-Raum in seine schwerste Krise stürzte. Der Währungspakt sei "ein robustes Regelwerk, aber er leidet unter dem chronischen Versagen der Staaten, sich an die Regeln zu halten", ergänzte Währungskommissar Olli Rehn. Als Zeichen der Entschlossenheit, den Euro stabil zu halten, präsentierten Barroso und Rehn einen konkreten Maßnahmenkatalog - den "Konsolidierungspakt".
Wie dringend Kontrollen sind, zeigt ein Blick auf die Bilanzen der Mitgliedstaaten: Alle tragen Schuldenberge vor sich her. Derzeit laufen allein gegen 20 der insgesamt 27 EU-Länder Defizitverfahren wegen übermäßiger Haushaltsdefizite - darunter auch gegen Deutschland. Der Barroso-Rehn-Plan muss allerdings noch von den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament genehmigt werden - was keineswegs ein Selbstläufer werden dürfte.
Das Paket enthält drei wesentliche Schritte, um Schuldensünder zu mehr Haushaltsdisziplin zu zwingen. Die Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten soll künftig stärker beobachtet werden. Schon von 2011 an müssten die EU-Regierungen ihre Haushaltsentwürfe in den ersten Monaten eines Jahres in Brüssel vorlegen, bevor ihre nationalen Parlamente darüber abstimmen. Entdeckt die Kommission zu große Risiken, die den gesamten Währungsraum beeinträchtigen, könnte sie einschreiten und Korrekturen anmahnen.
Leben die Euro-Länder über ihre Verhältnisse und überschreiten die festgelegten Obergrenzen zur Staatsverschuldung, Neuverschuldung oder Inflation, will Brüssel nach dem Barroso-Rehn-Plan in Zukunft rigoroser bestrafen. Bereits vorhandene Sanktionen - wie Defizitverfahren - sollen beschleunigt und konsequent angewendet werden. Reißt ein Mitglied durch seine Neuverschuldung die Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), könnte dieses Land automatisch sanktioniert werden und nicht wie bisher erst nach mehrheitlicher Zustimmung der Finanzminister. Strukturschwachen Staaten könnten auch EU-Zuschüsse gestrichen werden, als Druckmittel für mehr Disziplin.
Aber auch für krisengeschüttelte Länder ist vorgesorgt. Hoch verschuldete Länder sollen mit einem unbefristeten Kreditprogramm vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Erste Fakten für einen solchen Plan wurden bereits mit dem auf drei Jahre befristeten 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket gelegt, das die EU zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Anfang der Woche zur Rettung der Gemeinschaftswährung beschlossen hatte. 500 Milliarden steuern die Euro-Länder bei, 250 Milliarden Euro der IWF.
Die neuen Regelungspläne der EU-Kommission stoßen in der Politik jedoch nicht nur auf Freunde. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die vorgeschlagenen Kontrollen als "ein Schritt in die richtige Richtung" und "nicht schlecht" findet, zeigte sich ihr Vizekanzler kritisch. Das Budgetrecht zähle zum "Kernbestand der Souveränität der Staaten", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und kündigte Widerstand an: "Nicht die Europäsche Kommission beschließt die Haushalte, sondern der Deutsche Bundestag." Der Hamburger Wirtschaftsprofessor Karl-Werner Hansmann bezeichnet vor allem schärfere Strafen als richtigen Weg. "Sie führen in der Regel sofort zu einer Verhaltensänderung." Allerdings bezweifelt er, dass sich die Mitgliedsländer von einer übergeordneten EU-Instanz in ihre Bücher schauen lassen werden. "Das wird keine Regierung mit sich machen lassen." Der Konjunkturchef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Michael Bräuninger, bezeichnet "Strukturreformen und stärkere Kontrollen zur Konsolidierung der Haushalte für notwendig".
Die EU-Kommission will darüber hinaus auch die zunehmend auseinanderklaffende Wirtschaftskraft der Länder in Augenschein nehmen. "Wir haben gesehen, wie große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten den Zusammenhalt stören", sagte Barroso. Die Kommission will Empfehlungen geben, wie die Ungleichgewichte abzubauen sind. Ziel sei dabei nicht, starke Länder zu bremsen, sondern schwache Länder fit zu machen. "Wir müssen ein Frühwarnsystem schaffen. Damit das Land etwas tun kann, bevor sich die Lage weiter verschlimmert."
Ein positives Zeichen für den Euro kam unterdessen aus dem Baltikum. Estland erfüllt - trotz Krise - alle Kriterien, um zum 1. Januar 2011 als 17. Land dem Euro-Raum beizutreten. Der Kleinstaat mit 1,3 Millionen Einwohnern sei ein Beleg für die Krisenfestigkeit des Euro, meint Rehn. Es gebe keine Schlange für Austritte aus dem Euro, sondern vielmehr eine Schlange für Beitritte. Bevor der Wunsch der Esten in Erfüllung geht, müssen jedoch sowohl die EU-Kommission als auch die Europäische Zentralbank ihr Ja geben.