Für den Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Griechenland der achte Einsatzort in Europa seit Ausbruch der Finanzkrise. Keine der Milliarden-Missionen hat der IWF bisher abgeschlossen. Ob die Sparprogramme in Athen und oder in anderen Staaten wirken werden, ist völlig offen.
Der Missionschef des Internationalen Währungsfonds (IWF) gab sich optimistisch, als er die Rettung Griechenlands verkündete. Die 110-Milliarden-Euro-Hilfe werde, so Poul Thomsen, die nervösen Finanzmärkte in "Schockstarre" versetzen: wegen der finanziellen Größenordnung einerseits und drakonischer, glaubwürdiger Sanierungsschritte der griechischen Regierung andererseits. "Das Programm wird das Vertrauen wiederherstellen", war Thomsen sicher. Die Krise werde sich auf Griechenland beschränken und "keine Ansteckung in Europa stattfinden". Das war am vergangenen Sonntag.
In den folgenden Tagen zerbrach Thomsens zur Schau gestellte Zuversicht. Erst gaben griechische Anleihen und Aktien weiter nach, dann machte Portugal mit einer möglichen Herabstufung seiner Zahlungsfähigkeit Schlagzeilen. Spanien musste für eine Anleihe deutlich höhere Zinsen zahlen. Der Euro stürzte gegenüber dem Dollar auf den niedrigsten Stand seit einem Jahr. Und selbst Aktienanleger wurden nervös und ließen weltweit die Kurse fallen. Ängstlicher als bei jeder anderen Rettungsaktion des IWF der vergangenen Jahre fragen die Märkte im Fall Griechenland: Wird, ja kann, sein Eingreifen überhaupt Erfolg haben?
Niemand weiß besser als Thomsen, der seit knapp drei Jahrzehnten im Dienst des IWF steht, dass demonstrativer Optimismus zum Handwerk gehört. Schließlich kommt die Finanz-Feuerwehr erst, wenn ein Haus in Flammen steht. Da hilft es wenig, den Besitzern zu sagen, es habe keinen Zweck, mit dem Löschen zu beginnen, weil das Haus ohnehin abbrennt. Der rothaarige Däne Thomsen ist ein Veteran von IWF-Einsätzen in Europa: Er löschte in Russland, Island, Rumänien und nun in Griechenland.
Bemüht um neue Glaubwürdigkeit, veröffentlichte das griechische Finanzministerium seine Abkommen mit den Euroländern und dem IWF. Setzen die Griechen alle Sparschritte und Reformen um, dann errichten sie eine neue Wirtschaft: mit weniger Beamten und Staatsfirmen, einem geschrumpften Renten- und reformierten Steuersystem, mehr Wettbewerb im Energie- und Transportsektor. Es ist ein Programm, das Ausgaben sparen, mehr Steuern in die Staatskasse bringen und Griechenlands zerrüttete Finanzen retten soll.
Poul Thomsen weiß freilich, dass nicht jedes Programm funktioniert. In Russland zum Beispiel sagte der IWF 1995 und 1996 Kredite von 16,8 Milliarden Dollar zu. Dafür versprach Präsident Boris Jelzin, das Haushaltsdefizit 1996 auf vier Prozent, 1997 auf drei und 1998 auf zwei Prozent herunterzufahren. Tatsächlich war das Loch jeweils doppelt so groß. Auch zugesagte Reformen blieben weitgehend aus.
Beispiel Russland
Die Russen bekamen dennoch weiter Geld. Als im Juli 1998 die Schuldenkrise in Asien auf Russland überzugreifen drohte, setzte US-Präsident Bill Clinton den IWF unter Druck. Der Fonds, mit Poul Thomsen als Chef der Russland-Sektion, gewährte dem Land ein Hilfspaket im Wert von 22,5 Milliarden Dollar - wieder gegen das Versprechen geringerer Haushaltsdefizite und Reformen.
Es half nichts: Gut einen Monat später wertete die russische Regierung den Rubel ab und erklärte sich zahlungsunfähig. Auch Reformen blieben aus. Später erholte sich der Staatshaushalt, der Kreml konnte sogar dank hoher Überschüsse Reserven aufbauen. Doch das lag nicht am IWF, sondern am Preis für Russlands Exportschlager Rohöl, der sich vervierfacht hatte.
Die IWF-Pleite in Russland war kein Einzelfall. Das unabhängige Bewertungsbüro des IWF untersuchte 133 Programme des Fonds zwischen 1993 bis 2001. Fazit: Bei rund 60 Prozent der Einsätze setzten Regierungen die Vorgaben zum Defizitabbau nicht um. "Der Ruf des IWF, einen kargen Sparkurs durchzusetzen, ist großteils eine Illusion", urteilt auch Harvard-Professor Kenneth Rogoff, früherer IWF-Chefökonom und Experte für die Geschichte von Staatspleiten.
Für den Fonds ist Griechenland bereits das achte europäische Land, in das er seit Beginn der Finanzkrise 2008 einrückt. Von Island über Ungarn, Ukraine, Lettland und Weißrussland, bis nach Serbien und Rumänien ist der IWF bereits mit Summen zwischen 500 Millionen und 17 Milliarden Dollar engagiert. Fast in jedem Fall standen die Regierungen vor dem Bankrott, bevor sie den Fonds um Geld baten.
Beispiel Ungarn
Keines der Programme ist bisher abgeschlossen. Und die Bewertung hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Beispiel Ungarn: Dort erfüllte der parteilose Premierminister Gordon Bajnai die Auflagen und setzte einen harten Sparkurs durch. Beamten strich er das 13. Monatsgehalt, er kürzte die Altersbezüge und erhöhte das Rentenalter. Zumindest bei den Staatsfinanzen steht der frühere Pleitekandidat jetzt vergleichsweise gut da.
Ungarns Haushaltsdefizit sank von 9,2 Prozent im Jahr 2006 auf nun 3,8 Prozent. Das Land hat erst zwei Drittel der IWF-Kredite in Anspruch nehmen müssen und konnte schon im vergangenen Sommer wieder erfolgreich eine Staatsanleihe in Euro verkaufen. Ende Februar war Bajnais Fazit eindeutig: "Das Kreditpaket hat uns Luft zum Atmen gegeben. Es hat uns Zeit gekauft." Auch der Ökonom Peter Kreko ist zufrieden. Die Prüfungen durch den IWF, alle drei Monate, seien "ein wichtiger Grund für das steigende Vertrauen" in das Land.
Allerdings sind die Kosten des Programms hoch. Die Arbeitslosigkeit hat sich mehr als verdoppelt und lag Ende Februar bei knapp zwölf Prozent. Mit der Wirtschaft brachen 2009 auch die Steuereinnahmen ein. Eigentlich sollte der IWF schon im März abziehen, dann verlängerte er seine Mission bei Oktober 2010. Jetzt sieht es so aus, als bliebe er nicht länger. Ungarns neuer Premier Viktor Orban will das Haushaltsdefizit erhöhen, um die Konjunktur zu beleben, und darüber mit dem IWF verhandeln.
Wahrscheinlich lässt sich der Fonds darauf ein. Zwar werfen ihm Kritiker vor, er verschärfe mit seinen Sparprogrammen vor allem in kleineren Ländern Wirtschaftskrisen. In Studien des Zentrums für Wirtschafts- und Politikforschung in Washington (CEPR) heißt es auch, der IWF solle Regierungen mit seinem Geld Maßnahmen zur Konjunkturstützung ermöglichen und erst später auf Haushaltssanierung bestehen.
Geldausgeben hilft nicht immer
Dass allerdings großzügiges Geldausgeben in der Krise nicht ohne Nebenwirkungen bleibt, erfahren gerade Länder wie Spanien und England. Sie gaben in der Krise Milliarden aus, um eine große Rezession zu vermeiden, sitzen nun aber auf noch höheren Schulden und geraten zunehmend unter Druck. Bevor die Briten am vergangenen Donnerstag in die Wahllokale zogen, rief die "Times" den nächsten Premier auf, den IWF wie schon einmal Mitte der siebziger Jahre, ins Land zu holen. Denn Englands Staatsschulden seien noch höher als bisher zugegeben. Weil die IWF-Spezialisten unparteiisch sind, würde ihr Urteil zu England die Hand jedes Politikers stärken, der tapfer genug ist, um die richtigen Entscheidungen zur Senkung der Staatsschuld zu treffen.
Kritiker wie die Ökonomen des CEPR bemängeln, dass die Maßnahmen des IWF oft eine schmerzhafte "innere Deflation", also fallende Löhne und Preise bewirken. So erfahren die 2,2 Millionen Letten derzeit Lohn- und Rentenkürzungen, Entlassungen und Schließungen von Krankenhäusern. Mit knapp 22 Prozent hat Lettland die höchste Arbeitslosigkeit der EU.
Muss Lettland doch abwerten?
Diese Probleme der Letten allein sind jedoch nicht Folge des IWF-Programm. Der Fonds riet den Letten im Dezember 2008, ihre Währung Lat abzuwerten, um lettische Produkte billiger zu machen und den Export anzukurbeln. Doch die am Milliardenkredit beteiligte EU war dagegen. Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen setzten durch, dass Lettland nur unter der Bedingung Hilfe bekam, dass der Lat nicht abwertet. Ihre Banken hatten in Lettland großzügig Kredite vergeben, meist in Euro. Nach einer Abwertung wären noch mehr Letten in Zahlungsverzug gekommen. Nordische Banken hätte das empfindlich getroffen. Ökonomen wie Rogoff glauben indes, dass die Sanierung nicht gelingt - und Lettland später doch abwerten muss.
In ihrer Untersuchung von 133 Programmen stellten die hauseigenen IWF-Prüfer 2003 eine generelle Schwäche ihrer Sanierungsprogramme fest, nämlich "fiskalische Ziele festzuschreiben, die auf zu optimistischen Annahmen zur ... wirtschaftlichen Erholung beruhen". Diese zentrale Schwäche hat der Fonds bis heute nicht abgelegt.
Die Griechen sollen nun unter der Annahme sparen, dass ihre Wirtschaft 2010 nur um vier Prozent schrumpft. Sollten Thomsen und seine Kollegen hier wieder irren, sind die Pläne für die Sanierung der griechischen Finanzen Makulatur. Spätestens dann dürfte wohl Plan B zum Einsatz kommen: die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit und ein Ausfall für alle Gläubiger Athens.