Die Afghanistan-Konferenz bereitet den Abzug der Truppen vor: Die Afghanen sollen mehr Verantwortung übernehmen und sich mit den Taliban versöhnen.
London. Im neunten Jahr des Afghanistan-Einsatzes versinkt das Land in Gewalt und Korruption, die Zentralregierung unter Hamid Karsai ist schwach und die radikal-islamischen Taliban sind auf dem Vormarsch. Die internationale Gemeinschaft ist müde geworden und will den Abzug der ISAF-Truppen vorbereiten. „Afghanisierung“ lautet die Devise, die der britische Premierminister Gordon Brown dafür auf der internationalen Afghanistan-Konferenz ausgegeben hat.
Im Bemühen um eine Wende will die internationale Gemeinschaft dabei auch kriegsmüden Mitläufern der Taliban die Hand zur Versöhnung reichen. Wer der Gewalt abschwöre, solle wirtschaftliche Hilfe auf dem Weg zurück in ein normales Leben bekommen, kündigte Brown auf der internationalen Afghanistan-Konferenz mit Ministern aus 60 Staaten in London an. Die Mittel dafür sollen aus einem Reintegrationsfonds mit 500 Millionen Dollar kommen. Die Aufständischen aber, die sich der Aussöhnung verweigerten, würden weiter vom Militär verfolgt. Dies gelte besonders für Anhänger der Extremistenorganisation al-Qaida.
Im Kern der neuen Strategie steht aber nicht nur die Wiedereingliederung der Taliban, sondern auch die beschleunigte Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten. Die Sollstärke der afghanischen Armee bezifferte Brown auf 300.000 Soldaten. Bis Oktober 2010 sollten 134.000 ausgebildet sein, bis Oktober nächsten Jahres rund 172.000. Damit das gelingt, stocken die ISAF-Staaten die Zahl ihrer Soldaten zunächst massiv auf, bevor sie sie ab Mitte 2011 wieder zurückziehen können. Die USA haben eine Aufstockung um 30.000 angekündigt, die restlichen NATO-Staaten und ISAF-Partner um 9.000. Alles in allem sollen die internationalen Truppen laut Brown auf 135.000 anwachsen. Deutschland will bis zu 850 Soldaten zusätzlich entsenden. Wohl wissend, wie schwer der Bundesregierung dieser Schritt gefallen ist, hob Brown die deutsche Aufstockung besonders lobend hervor.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der die Bundesregierung in London vertrat, betonte allerdings immer wieder, dass man künftig stärker auf zivile als auf militärische Mittel setze. So verdoppelt die Bundesregierung die Entwicklungshilfe auf 430 Millionen Euro jährlich, stockt die Zahl der Polizeiausbilder von 123 auf 200 auf und zahlt 50 Millionen Euro in den Fonds für die Reintegration moderater Taliban.
Auch Brown warb eindringlich dafür den Afghanen mehr Verantwortung zu übertragen: Distrikt für Distrikt, Region für Region. Die Regierung in Kabul soll zudem über die Hälfte der internationalen Hilfsgelder künftig selbst verfügen, wie aus dem Entwurf des Abschlusserklärung der Konferenz hervorging. Sollte der Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft im Land allerdings keine Fortschritte machen, wollen die Geberstaaten die Verwaltung der Gelder wieder stärker an sich ziehen.
Der afghanische Präsident Hamid Karsai kündigte in London einen nationalen Aussöhnungsprozess für sein Land an. „Wir reichen allen unseren Landsleuten die Hand“, sagte er. Voraussetzung sei allerdings, dass diese bereit seien, die Waffen niederzulegen, die afghanische Verfassung anzuerkennen und fortan weder al-Qaida noch andere Terrornetzwerke zu unterstützen.
Die Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte wird nach Karsais Ansicht in fünf bis zehn Jahren abgeschlossen sein. Einige Jahre darüber hinaus werde die internationale Gemeinschaft aber noch für die Finanzierung der Truppen gebraucht. Zugleich versicherte Karsai, den Kampf gegen die Korruption zu verstärken. Nach dem Entwurf der Abschlusserklärung sollen internationale Beobachter als Teil einer Kommission dies vor Ort überwachen. Einen ersten Besuch solle es in den nächsten drei Monaten geben.